20.09.2023 -

Sozialplan: Zulässigkeit einer Sozialplankürzung für rentennahe Jahrgänge?

Das LG Nürnberg hat darüber geurteilt, welche Differenzierungen in einem Sozialplan hinsichtlich des Alters oder der Betriebszugehörigkeit für rentennahe Jahrgänge zulässig sind.
Das LG Nürnberg hat darüber geurteilt, welche Differenzierungen in einem Sozialplan hinsichtlich des Alters oder der Betriebszugehörigkeit für rentennahe Jahrgänge zulässig sind (credits: adobestock).

Sozialpläne haben den Sinn einer Überbrückungshilfe bis hin zu einer wirtschaftlichen Absicherung der von Kündigungen betroffenen Arbeitnehmern, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Den Betriebspartnern kommt dabei ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Ausdrücklich sieht auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 10 S. 3 Nr. 6 AGG Differenzierungen nach Alter oder Betriebszugehörigkeiten für rentennahe Jahrgänge vor. Welche Differenzierungen zulässig und möglich sind, ergibt sich aber aus diesen Vorschriften nicht. Die dazu bereits existierende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat jetzt das Landesarbeitsgericht Nürnberg in einem neuen Urteil weiter präzisiert (LAG Nürnberg v. 11.11.2022 – 8 Sa 164/22).

Wir möchten die Rechtsprechung hier besprechen und mit konkreten Praxishinweisen ergänzen.

Der Fall (verkürzt):

Der am 16.12.1958 geborene Kläger war bereits seit 1995 bei dem beklagten Arbeitgeber als Knüpfer mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.494,97 € beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte fristgerecht das Arbeitsverhältnis zum 31.8.2021. Die Wirksamkeit der Kündigung steht fest.

Die Parteien streiten aber noch über die Höhe der Abfindung aus einem Sozialplan. Für rentennahe Jahrgänge hat der Sozialplan einen geringeren Abfindungsfaktor festgelegt. So hat der Sozialplan folgende Regelung vorgesehen:

㤠3 Abfindungen

(1) Erfasste Arbeitnehmer erhalten zum Ausgleich des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Brutto-Abfindung gemäß den nachfolgenden Regelungen, soweit nachfolgend nicht etwas Abweichendes geregelt ist.

(2) Die Höhe der Abfindung berechnet sich wie folgt:

Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x 0,6 x Altersfaktor

Die Betriebspartner vereinbaren folgende Altersfaktoren:

– bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres: 1,0

– ab Vollendung des 62. Lebensjahres: 0,25

Bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres beträgt die Abfindung jedoch höchstens EUR 70.000,00 (brutto), ab Vollendung des 62. Lebensjahres beträgt die Abfindung höchstens EUR 35.000,00 (brutto). Darüber hinausgehende Beträge werden gekappt (Höchstbeträge).“

Der Kläger hatte zum Stichtag im Sinne der vorgenannten Regelungen das 62. Lebensjahr vollendet. Auf dieser Basis errechnete der Arbeitgeber die Abfindung mit dem Altersfaktor 0,25. Dies ergab eine Abfindung in Höhe von 9.249,21 € brutto.

Der Kläger kann seine Regelaltersrente ab 1.1.2025 beanspruchen. Laut der von ihm selbst vorgelegten Rentenauskunft weist er eine Wartezeit von 516 Monaten und damit 43 Jahren auf. Er hat daher auch die Möglichkeit, als langjährig Versicherter eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr, d.h. ab 1.1.2022, zu beanspruchen.

Aus diesen Gründen ist der Kläger der Auffassung, die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes sei altersdiskriminierend und auch nicht nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt. Er sei durch seine Rentenberechtigung nicht ausreichend abgesichert. Er könne die Regelaltersrente erst ab 1.1.2025 in Anspruch nehmen. Der frühere Renteneintritt führe zu einer erheblichen Kürzung seiner Rente. Der angesetzte geringere Faktor von lediglich 0,25 sei daher nicht geeignet, die entstehenden wirtschaftlichen Nachteile zumindest ansatzweise auszugleichen.

Der Kläger hat daher eine Sozialplanabfindung in Höhe von insgesamt 36.996,84 € brutto geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Ein weitergehender Abfindungsanspruch besteht nicht.

I. Sinn und Zweck eines Sozialplans

Ein Sozialplan muss die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise möglichst vollständig ausgleichen und alle denkbaren Nachteile entschädigen. Er darf aber auch nicht den Normzweck des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG verfehlen, also die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer zumindest zu mildern. Die Abfindung im Sozialplan stellt aber weder ein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit geleistete Tätigkeit noch eine Kompensation für den Arbeitsplatzverlust dar, sondern ausschließlich eine Überbrückungshilfe bis zu einer wirtschaftlichen Absicherung. Diese Überbrückung kann regelmäßig nur in typisierender und pauschalierender Form geschehen, weil die Betriebspartner die für den einzelnen Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteile nicht konkret voraussetzen können.

Hinweis für die Praxis:

Die durch den Arbeitsplatzverlust eintretenden Nachteile, die bei Arbeitnehmern nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezuges eintreten können, sind für die Betriebsparteien bei den Arbeitnehmern, die im Anschluss daran die Möglichkeit haben, eine Altersrente in Anspruch zu nehmen und bei den Arbeitnehmern, die hierüber nicht verfügen, nicht in gleichem Maße abzuschätzen. Dazu besteht auch keine Pflicht.

II. Kürzung von Sozialplanleistungen für rentennahe Jahrgänge zulässig!

Die Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile können die Betriebsparteien bei lebensälteren Arbeitnehmern, die kurz vor der Rente stehen, anders berechnen, als bei Arbeitnehmern, die nicht die Möglichkeit haben, in eine Rente, auch nicht in eine vorgezogene Rente zu gehen. Die Kürzung von Sozialplanleistungen für rentennahe Jahrgänge bzw. der Ausschluss dieser von Abfindungen ist daher zulässig. Bei der typisierenden Beurteilung, rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer als stärker abgesichert anzusehen, handelt es sich um eine den Betriebsparteien im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zustehenden zulässigen Einschätzung. Die Betriebsparteien können deshalb zwischen rentennahen und rentenfernen Jahrgängen differenzieren. Die Betriebsparteien sind dabei auch nicht gehalten, Rentenabschläge auszugleichen. Es genügt grundsätzlich, eine substantielle Milderung der wirtschaftlichen Nachteile durch den Sozialplan zu erreichen.

III. Keine Altersdiskriminierung nach AGG

Das AGG greift diese Gedanken ausdrücklich in § 10 S. 3 Nr. 6 AGG auf. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass die Regelung im AGG nicht nur die Arbeitnehmer erfasst, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezuges einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente wegen Erreichen der Regelaltersgrenze haben, sondern auch diejenigen, die die Möglichkeit haben, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen (BAG v. 7.5.2019, 1 ABR 54/17).

Hinweis für die Praxis:

Die Betriebsparteien dürfen dabei in Sozialplänen konkrete Stichtage vorsehen. Sie sind nicht verpflichtet, für jeden einzelnen Arbeitnehmer auf Basis seines konkreten Renteneintrittsdatums Berechnungen vorzunehmen.

Fazit:

Abfindungsregelungen, die für rentennahe Jahrgänge im Rahmen von Stichtagsregelungen Sozialplankürzungen vorsehen, sind zulässig. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg stärkt daher zutreffend die Rechte der Betriebspartner, typisierende Regelungen in Sozialplänen zu vereinbaren. Die Entscheidung ist allerdings noch beim Bundesarbeitsgericht in der Revision zu dem Aktenzeichen 1 AZR 15/23 anhängig. Bei einer Änderung der Rechtsprechung werden wir weiter berichten.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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