Technische Einrichtungen bedürfen bekanntlich nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates. In vielen Fällen werden zu entsprechenden technischen Einrichtungen Betriebsvereinbarungen zwischen den Betriebspartnern vereinbart. Diese Betriebsvereinbarungen regeln auch bestimmte Auswertungsmöglichkeiten und häufig bestehen Verwertungsverbote. In der Praxis kommt es dann zu Konstellationen, in denen Mitarbeiter einerseits wegen eines dringenden Verdachtes oder sogar wegen des Nachweises von Fehlverhalten überführt werden, andererseits aber das Verwertungsverbot in der Betriebsvereinbarung besteht. Dürfen dann die gegen die Betriebsvereinbarung erlangten Erkenntnisse verwertet werden? Mit einem solchen Fall hatte sich jetzt das Sächsische Landesarbeitsgericht zu befassen und ein Beweisverwertungsverbot – in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – abgelehnt (Sächsisches Landesarbeitsgericht v. 21.3.2022, 1 Sa 374/20).
I. Der Fall (verkürzt):
Hotel- und Frühstückskosten
Der klagende Mitarbeiter ist seit fünf Jahren als Fachspezialist Produktion Kunststoff bei dem beklagten Automobilhersteller beschäftigt. Er ist 33 Jahre alt.
Im Jahre 2019 besuchte der Kläger gemeinsam mit sechs Arbeitskollegen einen Programmierkurs. Während des Kurses waren die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung in einem Hotel für eine Woche untergebracht. Die Teilnehmer nahmen in dem Hotel auch das Frühstück ein. Am letzten Tag händigte der Hotelmanager dem Bruder des Klägers und zwei weiteren Kollegen die Hotelrechnung aus. Die Hotelrechnung war auf das beklagte Unternehmen ausgestellt und wies einen Gesamtpreis von 380,00 € aus. Die Frühstückskosten waren in dieser Rechnung separat ausgewiesen.
In der Folge entwickelte sich am Hotelpool ein Gespräch zwischen den Teilnehmern darüber, ob die Kosten für das Frühstück in Höhe von 4,80 € pro Tag in den Rechnungen richtig ausgewiesen sind. Der Inhalt des Gespräches im Einzelnen ist streitig geblieben. Der Hotelmanager hörte das Gespräch und bot an, eine neue Rechnung auszustellen. Dies wurde dann auch veranlasst. Das Hotel stellte anschließend für alle Teilnehmer auf das Unternehmen lautende Einzelrechnungen aus, die nicht mehr erkennen ließen, dass neben den Kosten der Übernachtung auch Kosten für das Frühstück enthalten waren.
Abrechnung
Bei dem Unternehmen wird für Reisekostenabrechnungen ein elektronisches Abrechnungssystem genutzt. Das Unternehmen gewährt den Mitarbeitern auch eine Verpflegungspauschale. Diese wird allerdings anteilig gekürzt, wenn den Mitarbeitern für eingenommene Mahlzeiten (hier das Frühstück) keine Kosten entstanden sind, weil diese über die Hotelrechnung erstattet werden. Damit die Verpflegungspauschale richtig berechnet werden kann, muss dann der jeweilige Mitarbeiter im elektronischen Abrechnungssystem durch Setzen eines Hakens angeben, für welche Mahlzeit keine Kosten entstanden sind.
Der Kläger beantragte mittels dieses elektronischen Abrechnungssystems Kostenerstattung. Er legte seine Hotelrechnung vor, der nicht zu entnehmen ist, dass auch ein Frühstück berechnet wurde. Der Kläger unterließ es dann aber durch Setzen eines Hakens kenntlich zu machen, dass für das Frühstück keine Kosten angefallen waren.
Bei der Abrechnung sind dadurch zusätzliche Kosten für das Unternehmen in Höhe von 19,20 € entstanden. Bei korrekter Angabe der Frühstückskosten wäre die Verpflegungspauschale von 24,00 € pro Tag und 12,00 € am An- und Abreisetag um diesen Betrag gekürzt worden.
Das Unternehmen hat im Anschluss den Betriebsrat angehört und das Arbeitsverhältnis mehrfach fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Die mehrfachen Kündigungen wurden auch wegen versuchten Prozessbetrugs und Zurückweisungen nach § 174 BGB ausgesprochen.
Das Arbeitsgericht hat das Arbeitsverhältnis erst durch eine zweite außerordentliche Kündigung beendet.
II. Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hatte hingegen das Landesarbeitsgericht schon die erste außerordentliche Kündigung für wirksam erachtet.
1. Wichtiger Grund Spesenbetrug
Das LAG hat nach durchgeführter Beweisaufnahme festgestellt, dass der Mitarbeiter die Vermögensinteressen seines Arbeitgebers objektiv verletzt hat. Er hat die Reisekostenerstattung über das elektronische Abrechnungssystem beantragt. Dabei hat er durch das Unterlassen des Setzens von Haken den Eindruck erweckt, Kosten für das Frühstück seien nicht angefallen.
Ein solcher Spesenbetrug stellt einen wichtigen Grund „an sich“ für einen Spesenbetrug dar.
Hinweis für die Praxis:
Im Zusammenhang mit einem Spesenbetrug kommt immer wieder die Frage auf, ob die Höhe des Schadens Auswirkungen auf den Kündigungsgrund hat. Die Rechtsprechung diskutiert diese Frage unter der Thematik „Bagatellschaden“. In der Regel reicht auch ein Bagatellschaden für einen wichtigen Grund „an sich“ aus. So lag der Fall auch hier. Die Höhe von 19,20 € hinderte nicht den mit dem Spesenbetrug eingetretenen Vertrauensverlust.
2. Beweisverwertungsverbot durch entgegenstehende Betriebsvereinbarung?
Die Auswertung des elektronischen Abrechnungssystems erfolgte unter Verstoß gegen eine geltende IT-Betriebsvereinbarung. Der Kläger berief sich daher auf ein Beweisverwertungsverbot im Prozess. Das LAG hat ein solches Beweisverwertungsverbot – in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt z.B. BAG v. 24.8.2023, 2 AZR 17/23) – abgelehnt. Das deutsche Zivilprozessrecht kennt ein Verwertungsverbot von Sachvortrag nicht. Ordnungsgemäß in den Prozess eingeführter Sachvertrag muss daher von dem entscheidenden Gericht stets berücksichtigt werden. Ein Verwertungsverbot würde vielmehr den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig einschränken. Weder das Betriebsverfassungsgesetz noch die Zivilprozessordnung kennen ein prozessuales Beweisverwertungsverbot für mitbestimmungswidrig erlangte Informationen und Beweismittel.
Hinweis für die Praxis:
Ein Verwertungsverbot kann allenfalls und in seltenen Fällen dann in Betracht kommen, wenn die Verwendung rechtswidrig erlangter Informationen einen sehr schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der anderen Partei darstellen würde. Dies ist im Einzelfall durch eine Güterabwägung zu ermitteln. Ein solch schwerer Eingriff lag hier erkennbar nicht vor. Das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters war hier nicht durch die Auswertung des elektronischen Abrechnungssystems, schon gar nicht schwer, berührt.
III. Fazit:
Die Betriebspartner streiten sich bei der Einführung von technischen Überwachungseinrichtungen, wie z.B. einer neuen Software, häufig besonders heftig über etwaige Auswertungsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite. Dieser Streit steht in keinem Zusammenhang mit der Bedeutung ein solchen Auswertungsverbotes. Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass auch vereinbarte Auswertungsverbote nichts daran ändern, dass betriebsverfassungswidrig erlangte Informationen dennoch in einem Kündigungsschutzprozess verwertet werden dürfen. Wir empfehlen daher, Regelungen zu Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten in Betriebsvereinbarungen erst gar nicht aufzunehmen. Sie sind ohne Relevanz für eine spätere gerichtliche Verwertung.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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