05.02.2025 -
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet bei betriebsbedingten Änderungskündigungen, dem Mitarbeiter vorrangig freie Arbeitsplätze im Unternehmen anzubieten.
Muss der Arbeitgeber auch dann den Vorrang der Änderungskündigung wahren, wenn der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung ein Änderungsangebot ablehnt? (credits: adobestock)

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet bei betriebsbedingten Änderungskündigungen, dem Mitarbeiter vorrangig im Wege der Änderungskündigung freie Arbeitsplätze im Unternehmen anzubieten. Wie verhält es sich aber, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter bereits vor Zugang der Kündigung ein Änderungsangebot unterbreitet hat und der Mitarbeiter das Angebot ablehnt? Kann dann direkt die betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen werden oder ist der Arbeitgeber dennoch verpflichtet, eine Änderungskündigung auszusprechen? Das Landesarbeitsgericht Köln hat die Frage eindeutig beantwortet und klargestellt, dass die Änderungskündigung in allen Fällen stets vorgeht (LAG Köln v. 20.6.2023, 4 Sa 20/23). Wir möchten hier die wichtigen Grundsätze besprechen.

Der Fall:

Die klagende Mitarbeiterin war bei der beklagten Altenpflegeeinrichtung als Pflegekraft bereits seit dem 1.4.2003 mit einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.600,00 € beschäftigt. Der Arbeitgeber unterhält zwei Einrichtungen in D und in R die ca. 110 km voneinander entfernt liegen.

Den Betrieb, in dem die Pflegekraft beschäftigt war, hat der Arbeitgeber zum 31.12.2022 geschlossen. In der Folge ging dann der Arbeitnehmerin die betriebsbedingte ordentliche Beendigungskündigung zum 31.12.2022 zu.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei bereits deshalb sozial nicht gerechtfertigt, da man sie in dem anderen Betrieb hätte weiter beschäftigen können. Der Arbeitgeber hat hingegen dargelegt, der Klage fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem die Klägerin eine ihr an diesem anderen Ort nach Ausspruch der Kündigung angebotene Tätigkeit abgelehnt habe.

Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Die Kündigung war schon deshalb unwirksam, weil keine Änderungskündigung ausgesprochen worden war.

I. Vorrang der Änderungskündigung

Eine Beendigungskündigung ist aus betriebsbedingten Gründen nur dann gerechtfertigt, wenn keine andere Möglichkeit besteht (ultima ratio), die Mitarbeiter zu anderen Konditionen weiter zu beschäftigen. Aus diesem Grund ist der Vorrang der Änderungskündigung dringend und zwingend zu beachten. Eine ordentliche Beendigungskündigung ist daher nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz, auch zu geänderten Arbeitsbedingungen, weiter zu beschäftigen. Eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anzubieten.

Hinweis für die Praxis:

Ein solches Angebot kann lediglich in Extremfällen unterbleiben. Extremfälle sind aber selten und liegen nur dann vor, wenn sich einem objektiven Dritten ohne weiteres aufdrängt, dass der Mitarbeiter die neue Beschäftigung ablehnen muss, z.B. bei völlig unterwertiger Beschäftigung (Beispiel: einem Personalleiter wird eine Pförtnerstelle angeboten).

II. Entscheidung über das Änderungsangebot trifft allein der Arbeitnehmer!

Der Arbeitgeber hatte sich vorliegend darauf berufen, die Pflegekraft hätte die 110 km entfernte andere Arbeitsstätte ohnehin nicht angetreten. Fahrtzeiten jeden Tag von 220 km seien inakzeptabel und würden einen Extremfall in diesem Sinne darstellen. Zudem hätte die Mitarbeiterin schon vor Ausspruch der Kündigung ein entsprechendes Angebot abgelehnt.

Das Landesarbeitsgericht hat klargestellt, dass der Arbeitgeber auch dann, wenn dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung ein Angebot unterbreitet wurde, eine Änderungskündigung aussprechen muss. Auf die Frage, ob die Arbeitnehmerin tatsächlich das Änderungsangebot abgelehnt hat, kam es daher hier nicht an.

Es lag auch kein Extremfall vor. Der Arbeitnehmer hat selbst zu entscheiden, ob er eine Weiterbeschäftigung unter möglichen erheblichen verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht. Ein Extremfall im Sinne der Rechtsprechung lag daher hier nicht vor. Es ist zwar dem Arbeitgeber zuzugestehen, dass sich die Reisezeit der Klägerin erheblich erhöht hätte. Bei vernünftiger Betrachtung hätte sie das Angebot sicherlich nicht angenommen. Es ist jedoch allein

Aufgabe der Klägerin, hierüber zu entscheiden. Weder der Arbeitgeber noch das Gericht sind befugt, diese Überlegungen zu übernehmen.

Fazit:

Sind im Unternehmen freie Arbeitsplätze vorhanden, müssen diese angeboten werden. Es gilt der Grundsatz des Vorrangs der Änderungskündigung. Selbst wenn ein Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung ein entsprechendes Angebot ablehnt, ist der Arbeitgeber nach dieser Entscheidung weiterhin verpflichtet, trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen. In Rechtsprechung und Literatur wird diese Frage immer wieder unter dem Gesichtspunkt diskutiert, ob eine eindeutige Ablehnung auch in Fällen, in denen der Arbeitgeber den späteren Ausspruch einer Beendigungskündigung bereits in Aussicht gestellt hat, zu einem anderen Ergebnis führt. Wegen des hier besprochenen Urteils können wir der Praxis nur dingend empfehlen, in allen Fällen stets eine Änderungskündigung formal auszusprechen, um Rechtsrisiken auszuschließen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

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