Widerspruch gegen einen Betriebsübergang auch nach Ablauf der Monatsfrist?
Jeder Arbeitnehmer muss anlässlich eines Betriebsübergangs ordnungsgemäß unterrichtet werden. Dies folgt aus § 613a BGB. Bei ordnungsgemäßer Unterrichtung besteht dann eine einmonatige Widerspruchsfrist. Ist die Frist abgelaufen, kann ein Mitarbeiter dem Betriebsübergang nicht mehr widersprechen. Diese an sich klaren Voraussetzungen gelten aber nicht uneingeschränkt. Wird der Mitarbeiter nicht oder nur unvollständig informiert, bleibt das Widerspruchsrecht bestehen! Welche Anforderungen an ein solches fortbestehendes Widerspruchsrecht bestehen, hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zu entscheiden (LAG Düsseldorf v. 26.7.2022, 8 Sa 68/20).
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer war zunächst seit 1. Juli 2004 bei dem Betriebsveräußerer beschäftigt. Im Rahmen eines Betriebsübergangs ist er dann auf einen neuen Arbeitgeber (Betriebserwerber) übergegangen. Anlässlich des Betriebsübergangs erhielt er ein Unterrichtungsschreiben am 2. Dezember 2016. In dem Unterrichtungsschreiben wurde er auch über die Fortgeltung tariflicher Regelungen informiert.
Erst im Jahre 2019, nämlich mit Schreiben vom 13. Mai 2019, widersprach er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. Die Ausführungen in dem Unterrichtungsschreiben zur Fortgeltung der tariflichen Regelungen seien für ihn nicht eindeutig und unklar. Sein Arbeitsverhältnis bestehe daher weiter beim Betriebsveräußerer.
Wir verzichten hier auf die Darstellung der sehr umfangreichen und speziellen Details zur betrieblichen Regelungen aus einem Interessenausgleich und Sozialplan und zu den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen. Maßgeblich ist die Frage, ob eine unvollständige oder unklare Unterrichtung zu einem Widerspruch berechtigt, der erst 2,5 Jahre später nach dem Betriebsübergang ausgeübt wird.
Das Arbeitsgericht hat die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen. Es hat ausführt, dass kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden habe, weil der Betriebsübergang stattgefunden und der Arbeitnehmer den Widerspruch nicht fristgerecht ausgeübt habe. Die Widerspruchsfrist habe am 2. Dezember 2016 zu laufen begonnen. Der Kläger habe aus dem Schreiben die von ihm beanstandeten Informationen zur tariflichen Fortgeltung entnehmen können.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht hingegen den Widerspruch für zulässig erachtet. Damit besteht das Arbeitsverhältnis wegen des Widerspruchs zu dem Betriebsveräußerer fort.
I. Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist
Die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB wird nur durch eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB in Lauf gesetzt. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 BGB, wonach der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats „nach Zugang der Unterrichtung nach Abs. 5“ widersprechen kann.
Damit setzt § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB eine den Anforderungen des Abs. 5 entsprechende Unterrichtung voraus.
Hinweis für die Praxis:
Der Mitarbeiter soll sich durch die Unterrichtung eine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung seines Widerspruchsrechts erhalten. Dem Arbeitnehmer soll auch die Möglichkeit eröffnet werden, sich weitergehend zu erkundigen und ggf. beraten zu lassen und dann auf dieser Grundlage über einen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu entscheiden. Der Inhalt der Unterrichtung richtet sich nach dem Kenntnisstand des Veräußerers und des Erwerbers zum Zeitpunkt der Unterrichtung.
II. Gerichtliche Überprüfung
Die ordnungsgemäße Unterrichtung unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Genügt aber die Unterrichtung zunächst formal den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere denen des § 613a Abs. 5 BGB und ist sie nicht offensichtlich fehlerhaft, so ist es Sache des Arbeitnehmers, seine behaupteten Mängel näher darzulegen.
Hinweis für die Praxis:
Diese Mängel hatte hier der Mitarbeiter konkret dargelegt und sich dabei insbesondere auf die unvollständigen und nicht verständlichen Ausführungen zur tariflichen Fortgeltung von Tarifverträgen berufen. Das hatte das Gericht für ausreichend angesehen.
III. Verwirkung des Widerspruchsrechts wegen Zeitablauf?
Der Widerspruch gegen einen Betriebsübergang kann verwirken. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und tritt ein, wenn ein Umstands- und ein Zeitmoment erfüllt sind. Für das Umstandsmoment ist insbesondere erforderlich, dass der Arbeitgeber davon ausgehen konnte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Für das Zeitmoment reicht ein längerer Zeitablauf, wobei die Rechtsprechung hier von einem Zeitraum von sieben Jahren ausgeht, wenn ein Umstandsmoment nicht gegeben ist. Das Umstandsmoment wird regelmäßig schon dann bejaht, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitsvertrag bei dem Betriebserwerber disponiert hat, bspw. durch Vertragsänderungen oder neue Abreden inhaltlicher Art.
Hinweis für die Praxis:
Im vorliegenden Fall fehlte es an einem Umstandsmoment. Der Mitarbeiter hatte lediglich bei dem Betriebserwerber ohne weitere Änderungen weitergearbeitet. Für das Zeitmoment reichte der Zeitablauf zwischen dem 2. Dezember 2016 und dem Zeitpunkt des Widerspruchs am 13. Mai 2015 noch nicht aus. Die Frist von sieben Jahren war bei weitem nicht erreicht.
Fazit:
Die Anforderungen an ein Unterrichtungsschreiben sind sehr ernst zu nehmen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf macht deutlich, dass eine unvollständige oder auch eine unklare Unterrichtung stets dazu führen, dass die Monatsfrist nicht abläuft. Mitarbeiter können dann auch nach vielen Jahren noch einem Betriebsübergang widersprechen. Die Voraussetzungen für eine Verwirkung sind nur selten erfüllt.
Autor: Nicolai Besgen
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