28.02.2023 -

Der Weg zum Berufungsausschuss: Fristgerechter Widerspruch – und die Widerspruchsgebühr?

Der Weg zum Berufungsausschuss: Fristgerechter Widerspruch - und die Widerspruchgebühr ?
Formalien sind und bleiben im Widerspruchsverfahren zum Berufungsausschuss ausgesprochen wichtig. Das gilt natürlich unverändert für die besonders wichtige Widerspruchsfrist. (credit:adobestock)

Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, aber auch Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und Zahnärzte haben in vielen Situationen den Zulassungsausschuss anzurufen. Hält ein Beteiligter die Entscheidung des Zulassungsausschusses für falsch, kann er Widerspruch zum Berufungsausschuss einlegen, um die Entscheidung des Zulassungsausschusses überprüfen zu lassen. Neben der zu beachtenden Widerspruchsfrist, gilt nach dem Wortlaut der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) eine weitere wichtige Voraussetzung: Die Einzahlung einer Widerspruchsgebühr. Diese wird vom Berufungsausschuss angefordert, zugleich wird eine Frist zur Zahlung gesetzt.

Die Regelung der Ärzte-ZV enthält dazu aber eine Besonderheit. Nach § 45 Abs. 1 der Ärzte-ZV „gilt der Widerspruch als zurückgenommen“, wenn die Gebühr nicht innerhalb der gesetzten Frist entrichtet wird. Über diese Regelung sind schon manche Ärztin und mancher Arzt „gestolpert“: Erfolgt die Zahlung verspätet, greift nach dem Wortlaut der Ärzte-ZV die sog. „Rücknahmefiktion“ – und der Berufungsausschuss entscheidet gar nicht mehr über die Sache. Wird der betreffende Arzt dann über diese angebliche Rücknahme seines Widerspruchs informiert, ist im Regelfall die Widerspruchsfrist abgelaufen – und der Beschluss des Zulassungsausschusses, der eigentlich vom Berufungsausschuss korrigiert werden sollte, wird bestandskräftig und ist nicht mehr anzugreifen. Eine ärgerliche Situation mit teilweise dramatischen Folgen.

Mit einem Urteil vom 07.09.2022, Aktenzeichen B 6 KA 11/21 R hat das Bundessozialgericht kürzlich aber entschieden, dass diese Rücknahmefiktion auf Basis einer Regelung in der Ärzte-ZV rechtswidrig ist.

Der Fall:

Die Trägerin eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) beantragte im September 2017 beim Zulassungsausschuss unter anderem die Nachbesetzung der Stelle einer angestellten Ärztin. Diese hatte etwa fünf Monate zuvor zugunsten der Anstellung im MVZ auf ihre Zulassung verzichtet. Die Ärztin wollte nun zeitnah krankheitsbedingt ausscheiden. Der Zulassungsausschuss lehnte die Nachbesetzung der Arztstelle mit der Begründung ab, dass die Ärztin nach dem Verzicht auf ihre Zulassung weniger als drei Jahre in dem MVZ tätig gewesen sei. Er entschied u.a. auch, dass die Genehmigung zur Beschäftigung der Ärztin sowie der Versorgungsauftrag endeten. Das MVZ sollte also diese Arztstelle verlieren.

Dagegen wehrte sich die Trägerin des MVZ und legte Widersprüche beim Berufungsausschuss ein. Dieser forderte die Trägerin des MVZ zur Zahlung einer Verwaltungsgebühr von je 200 Euro bis zum 5.4.2018 auf. Er wies darauf hin, dass die Widersprüche als zurückgenommen gälten, wenn die Gebühren nicht innerhalb der gesetzten Frist entrichtet seien. Es kam, wie es kommen musste, die entsprechenden Überweisungen gingen erst am 9.4.2018 auf dem Empfängerkonto ein.

Der Berufungsausschuss stellte daraufhin fest, dass die Widersprüche „als zurückgenommen gälten“, da die Zahlungsfrist nicht eingehalten sei.

Die Trägerin des MVZ beantragte eine rückwirkende Verlängerung der Frist: Sie hätte die Überweisungen fristgerecht am 2.4.2018 vorgenommen und auch eine Überweisungsbestätigung der Bank bekommen. Die Überweisung sei aber wegen fehlender Deckung des Kontos nicht ausgeführt worden. Der Berufungsausschuss lehnte die Verlängerung der Frist ab. Eine Entscheidung über die Widersprüche der Trägerin des MVZs traf der Berufungsausschuss dann nicht mehr.

Die Trägerin des MVZs legte Klage zum Sozialgericht ein. Diese war erfolgreich. Das Sozialgericht Gotha entschied, dass die „Rücknahmefiktion“ von der gesetzlichen Ermächtigung, auf der die Zulassungsverordnung beruhe (§ 98 Abs. 2 Nr. 3 SGB V) nicht gedeckt sei und der Zugang zu den Sozialgerichten in einer nicht vorgesehenen Art und Weise erschwert werde.

Der Berufungsausschuss legte Sprungrevision zum Bundessozialgericht (BSG) ein. Die Regelung zur „Rücknahmefiktion“ sei als Sonderregelung zulässig.

Die Entscheidung des BSG:

Das BSG stellte sich auf die Seite der Trägerin des MVZ. Die Rücknahmefiktion greife nicht, der Berufungsausschuss müsse sich also mit den Widersprüchen der Klägerin in der Sache beschäftigen.

Die Begründung des BSG:

Das BSG sah die Sache so, wie das Sozialgericht Gotha. Rechtlich führte das BSG im Wesentlichen aus: Die Ärzte-ZV stehe im Rang einer Rechtsverordnung. Aus dem Grundgesetz (Art. 80 GG) ergebe sich, dass es eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage geben müsse. Für die Rücknahmefiktion des § 45 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV bei nicht fristgerechter Zahlung der Widerspruchsgebühr fehle es daran. Der gesetzliche Rahmen der Ermächtigungsgrundlage (§ 98 Abs. 2 Nr. 3 SGB V) werde überschritten. Danach müssen die Zulassungsverordnungen Vorschriften über das Verfahren der Ausschüsse entsprechend den Grundsätzen des Vorverfahrens in der Sozialgerichtsbarkeit enthalten.

Die Rechtsfolge der fingierten Widerspruchsrücknahme entspreche diesen Grundsätzen gerade nicht. Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV berechtige den Berufungsausschuss über die im Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelten Vorgaben für das Widerspruchsverfahren hinaus, bei nicht fristgerechter Einzahlung der Widerspruchsgebühr den Widerspruch als fingiert zurückgenommen zu behandeln, selbst wenn es um grundrechtsintensive Entscheidungen in Zulassungssachen gehe.

Regelungen, die den effektiven Rechtsschutz derart gravierend beschränken, bedürften einer klaren und bestimmten gesetzlichen Grundlage, an der es nach derzeitiger Rechtslage fehle. Zwar sehe das SGG eine fiktive Klage- bzw. Berufungsrücknahme vor, wenn Kläger das Verfahren trotz gerichtlicher Aufforderung länger als drei Monate nicht betreiben. Bei diesen Rücknahmefiktionen handele es sich aber um eng begrenzte gesetzlich geregelte Ausnahmefälle, die nicht auf das Widerspruchsverfahren übertragen werden könnten. Etwas Anderes folge auch nicht aus den Besonderheiten des Verfahrens vor dem Berufungsausschuss. Auch wenn das Vorverfahren in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts ein „besonderes Verwaltungsverfahren“ sei und gewisse Besonderheiten aufweise, schaffe die Ermächtigungsgrundlage für die Zulassungsverordnungen (§ 98 Abs. 2 Nr. 3 SGB V) keine umfassende Kompetenz zur Regelung vom sozialgerichtlichen Vorverfahren abweichender Vorschriften und erlaube insbesondere keine Regelung, durch die die Gewährleistung umfassenden Rechtsschutzes erheblich eingeschränkt werde.

Der Volltext der Entscheidung ist hier kostenfrei abrufbar.

Praxishinweis:

Formalien sind und bleiben im Widerspruchsverfahren zum Berufungsausschuss ausgesprochen wichtig. Das gilt natürlich unverändert für die besonders wichtige Widerspruchsfrist. Wichtig ist auch zu wissen: Natürlich hat das BSG nicht die Pflicht zur Zahlung der Widerspruchsgebühren als solche „gekippt“. Die Zahlungsverpflichtung besteht also weiterhin. Eine verspätete Zahlung führt aber eben derzeit nicht mehr dazu, dass der Widerspruch als zurückgenommen gilt und es gar keine Entscheidung des Berufungsausschusses mehr gibt. Es ist dem Gesetzgeber darüber hinaus unbenommen, eine klare Ermächtigungsgrundlage für die Fiktion einer Widerspruchsrücknahme bei verspäteter Gebührenzahlung zu schaffen. Solange er das nicht tut, wird die vom BSG geprüfte Regelung aber keine Anwendung finden können.

Autor: Wolf Constantin Bartha

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