Zustimmungsersetzung nach § 99 BetrVG: Rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrats beachten!
Der Arbeitgeber muss bekanntlich bei personellen Einzelmaßnahmen, insbesondere bei einer Versetzung, den Betriebsrat vor der geplanten Maßnahme unterrichten und dessen Zustimmung einholen, § 99 BetrVG. Zwischen den Betriebspartnern kommt es in vielen Fällen zu Streit über die Frage, ob die Unterrichtung ordnungsgemäß erfolgt ist und welchen Inhalt sie hatte. Der Arbeitgeber ist zudem bei einer Zustimmungsverweigerung unter bestimmten Voraussetzungen befugt, die Maßnahme vorläufig durchzuführen, § 99 Abs. 4 BetrVG. Der Betriebsrat kann dann beim Arbeitsgericht verlangen, die Maßnahme aufheben zu lassen, § 101 BetrVG.
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich jetzt mit der sehr interessanten Frage zu befassen, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, eine aufgehobene personelle Maßnahme zu wiederholen und das Verfahren erneut durchzuführen (BAG v. 11.10.2022, 1 ABR 18/21). Die Entscheidung gibt wertvolle Hinweise zum taktischen Vorgehen und soll daher hier besprochen werden.
Der Fall:
Der Arbeitgeber ist ein konzernangehöriges Unternehmen und beschäftigt in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer.
Im Rahmen einer Umgestaltung der Betriebsorganisation wies der Arbeitgeber den bisherigen Leiter der Abteilung Zielgruppenintelligenz ab dem 25. Mai 2018 die Position des Leiters der neueingerichteten Abteilung Quality Services Dialog Marketing zu. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt. Auf dessen Antrag gab das Arbeitsgericht dem Arbeitgeber durch Beschluss vom 13. Juni 2019 auf, die Maßnahme aufzuheben.
In der Folge nahm der Arbeitgeber im Beschwerdeverfahren die Versetzung des Leiters zurück. Daraufhin erklärten die Beteiligten das zweitinstanzliche Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das Verfahren wurde dann eingestellt.
Am gleichen Tag bat der Arbeitgeber den Betriebsrat, der beabsichtigten erneuten Versetzung des Leiters auf die Stelle des Leiters der Abteilung Quality Services Dialog Marketing zuzustimmen. Zudem teilte er dem Betriebsrat mit, dass er die Versetzung vorläufig durchführen werde.
Der Betriebsrat verweigerte auch dazu seine Zustimmung.
Der Arbeitgeber hat daraufhin vor dem Arbeitsgericht beantragt, die Zustimmung des Betriebsrats zu der Versetzung zu ersetzen und festzustellen, dass die vorläufige Durchführung dieser Versetzung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er hat insbesondere die Auffassung vertreten, seine Zustimmung könne gar nicht gerichtlich ersetzt werden. Die Versetzung des Leiters müsse zunächst auch tatsächlich aufgehoben und rückgängig gemacht werden.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Arbeitgebers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen die Anträge zurückgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Anträge ebenfalls abgewiesen. Die Zustimmung des Arbeitgebers war nicht zu ersetzen. Damit lag auch kein Grund für eine vorläufige Durchführung vor.
I. Begriff der Versetzung
Der Begriff der Versetzung ist in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG definiert. Der dort niedergelegte Begriff ist räumlich und funktional zu verstehen. Bei der Versetzung handelt es sich um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, der entweder die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder aber die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Der Begriff des Arbeitsbereichs umfasst die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und seiner Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs.
Ein anderer Arbeitsbereich liegt immer dann vor, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit so verändert, dass die neue Aufgabe vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich aus der Änderung des Arbeitsinhalts und einer damit verbundenen geänderten Verantwortung, aus einem Wechsel des Arbeitsortes oder der Art der Tätigkeit oder aus einer Änderung der Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit ergeben.
Hinweis für die Praxis:
Ändert sich der Arbeitsbereich, handelt es sich stets um eine Versetzung. Dann gilt die Monatsfrist nicht, sondern auch vorher schon ist der Begriff der Versetzung erfüllt. Die Monatsfrist kommt nur dann zum Tragen, was häufig übersehen wird, wenn sich der Arbeitsbereich nicht wesentlich ändert.
II. Neues Zustimmungsverfahren nur bei Rücknahme möglich!
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber das Zustimmungsverfahren zu einer neuen Versetzung eingeleitet. Grundsätzlich ist ihm dies nicht verwehrt. Der Arbeitgeber kann den Betriebsrat ggf. sogar mehrmals hintereinander um Zustimmung zur Einstellung oder Versetzung desselben Arbeitnehmers auf denselben Arbeitsplatz ersuchen. Er kann dementsprechend auch mehrere Zustimmungsverfahren nacheinander oder auch zeitlich parallel bei Gericht anhängig machen. Zwar haben alle Verfahren dasselbe Ziel, prozessual handelt es sich aber immer um unterschiedliche Verfahrensgegenstände.
Aber: In allen Fällen ist es stets erforderlich, dass der Arbeitgeber von seiner ursprünglichen Maßnahme Abstand genommen und eine neue – eigenständige – Einstellung oder Versetzung eingeleitet hat. Dazu muss er die bisherige Maßnahme tatsächlich aufheben. Es genügt also nicht, wenn er den Betriebsrat lediglich nachträglich erneut ersucht und um Zustimmung bittet und nur mitteilt, er nehme die Versetzung zurück oder er führe sie nunmehr nur noch vorläufig durch. Dies folgt aus der Regelung des § 101 BetrVG.
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber die bereits durchgeführte Versetzung des Leiters auf die neue Stelle zu keinem Zeitpunkt tatsächlich aufgehoben oder dessen Einsatz auf dieser Stelle zwischenzeitlich unterbrochen. Das Bundesarbeitsgericht hat hier klargestellt, dass der Einsatz auf der neuen Stelle unterbleiben muss. Dies setzt voraus, dass der Einsatz auf dieser Stelle nicht mehr stattfindet und der Arbeitgeber dann auch tatsächlich eine Rückversetzung durchführt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der bisherige Arbeitsplatz noch vorhanden ist. Maßgeblich ist, dass die Beschäftigung auf der neuen Stelle unterbleibt.
Fazit:
Die Regelungen der §§ 99 ff. BetrVG sind im Detail sehr kompliziert und fehleranfällig. Die Vorschriften greifen ineinander und nur eine sorgfältige Prüfung vermeidet Rechtsnachteile. Die gute Nachricht ist, dass Fehler im Zustimmungsverfahren durch die Einleitung eines neuen Verfahrens geheilt werden können. Allerdings beinhaltet dies zugleich, dass eine bereits durchgeführte Maßnahme tatsächlich und faktisch rückgängig gemacht werden muss.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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