04.05.2009 -

 

Rechtsstreitigkeiten zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hängen überwiegend mit unerlaubten Stellenanzeigen und/oder Altersdiskriminierungen zusammen. Entgegen der ursprünglichen Befürchtung ist es nicht zu der erwarteten Prozesslawine gekommen. Dennoch finden immer wieder spektakuläre Prozesse Eingang in die Tagespresse. Ein solcher Prozess liegt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zugrunde ([1] LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26.11.2008 – 15 Sa 517/08). In der über 30 Seiten umfassenden Entscheidung ging es um Fragen der Geschlechterdiskriminierung. Das LAG hat den beklagten Arbeitgeber zu einer hohen Schadensersatzzahlung über 20.000,00 € und der dauerhaften Erstattung einer Vergütungsdifferenz verurteilt. Angesichts des Umfangs der Entscheidung beschränken wir uns auf die Kernaussagen.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Die klagende Arbeitnehmerin war in einem Unternehmen beschäftigt, in dem die Belegschaft überwiegend, d.h. zu 2/3, aus Frauen bestand. Alle 27 Führungspositionen waren mit Männern besetzt. Die Klägerin bewarb sich auf einen Beförderungsposten (Personalleiter eines Unternehmens mit über 1.100 Beschäftigten). Die Bewerbung verlief erfolglos. Sie verlangte daraufhin von dem beklagten Arbeitgeber, einem Verein, wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung eine Entschädigung nach dem AGG und Schadensersatz.

Der Arbeitgeber bestritt eine Diskriminierung. Zudem sei die Klägerin nicht die am besten geeignete Bewerberin gewesen. Eine Stellenausschreibung oder schriftlich dokumentierte Auswahlkriterien waren nicht vorhanden.

Das LAG hat den Verein verurteilt, der Arbeitnehmerin zeitlich unbegrenzt auch für die Zukunft die Vergütungsdifferenz zu dem Beförderungsposten zu zahlen. Zusätzlich wurde der Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 20.000,00 € verurteilt. Die Revision zum BAG wurde teilweise zugelassen.

 

Die Entscheidung:

Die der Entscheidung zugrunde liegenden Ausführungen möchten wir hier thesenartig zusammenfassen.

 

1. Statistische Nachweise

Das LAG hat klargestellt, dass als Indiz für eine Geschlechterdiskriminierung bei einer Beförderung auf einen Führungsposten insbesondere auch eine Statistik über die Geschlechtsverteilung auf den einzelnen Hierarchieebenen herangezogen werden kann. Sind alle 27 Führungspositionen nur mit Männern besetzt, obwohl Frauen 2/3 der Belegschaft stellen, ist dies ein ausreichendes Indiz im Sinne von § 22 AGG. Nach Auffassung des LAG müssen solche statistischen Nachweise schon deshalb berücksichtigungsfähig sein, da andernfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen nicht ermittelbar wäre.

 

2. Objektivierbare Auswahlkriterien erforderlich

Der Arbeitgeber kann sich gegen ein solches Indiz nach dem AGG nur auf solche Tatsachen zur sachlichen Rechtfertigung seiner Beförderungsentscheidung berufen, die er zuvor im Auswahlverfahren nach außen ersichtlich hat werden lassen. Erfolgt also eine Auswahl ohne eine objektivierbare Stellenausschreibung oder sonstige schriftlich dokumentierte Auswahlkriterien, kann der Arbeitgeber nach Ansicht des LAG regelmäßig mit seinen Einwendungen nicht gehört werden. Dies gilt insbesondere für den Einwand des Arbeitgebers, die klagende Arbeitnehmerin sei nicht die bestgeeignete Kandidatin gewesen.

 

3. Schadensersatz zeitlich unbegrenzt

Der nach § 15 Abs. 1 AGG zu leistende materielle Schadensersatz ist die Vergütungsdifferenz zwischen der tatsächlich erhaltenen und der Vergütung, die auf der höherwertigen Stelle gezahlt wird. Entgegen der überwiegenden Rechtsauffassung in der Literatur hat das LAG Brandenburg diesen materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch zeitlich unbegrenzt ausgeurteilt.

 

4. Persönlichkeitsrechtsverletzung

Das LAG hat ferner entschieden, dass eine geschlechtsdiskriminierende Beförderungsentscheidung immer auch eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt. Wegen dieses immateriellen Schadens kann daher auch zusätzlich eine Entschädigung verlangt werden, die hier mit 20.000,00 € festgesetzt wurde. Im vorliegenden Fall war insoweit zu Lasten des Arbeitgebers erschwerend zu berücksichtigen, dass der klagenden Arbeitnehmerin im laufenden Verfahren durch Führungskräfte (Personalleiter, Justitiar und ein Mitglied des Vorstands) u.a. nahe gelegt wurde, über ihre berufliche Zukunft wegen der AGG-Vorwürfe nachzudenken. Darin lag ein herabwürdigendes und einschüchterndes Vorgehen, das ebenfalls eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt.

 

Fazit:

Das LAG hat in weiten Teilen die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob die strengen Grundsätze des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg im Revisionsverfahren bestätigt werden. Wir werden berichten.

 

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