BFH Urteil mit praktischer Relevanz auch für andere Verträge als Eheverträge

Der BFH hat entschieden, dass eine im Rahmen eines Ehevertrags versehentlich ausgelöste Steuerlast rückwirkend entfallen kann (Urteil vom 09.05.2025, IX R 4/23). Voraussetzung ist, dass die Vertragsparteien bei Vertragsschluss einem Irrtum über die steuerlichen Folgen unterlagen und der Vertrag deswegen angepasst wird. Nicht nur für Ehepaare, die einen Ehevertrag mit Zugewinnausgleich vereinbaren (bspw. für Zwecke der Güterstandsschaukel) ist dieses Urteil von großer praktischer Bedeutung.
1. Sachverhalt
Die Kläger, zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, waren ursprünglich im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Auf Grundlage einer erbschaftsteuerrechtlichen Beratung entschieden sie sich im Jahr 2019, Gütertrennung zu vereinbaren. Daraus ergab sich ein Zugewinnausgleichsanspruch der Ehefrau. Zur Erfüllung übertrug der Ehemann GmbH-Anteile.
Vor Abschluss des Ehevertrags hatten die Eheleute ihren Steuerberater befragt, der ihnen schriftlich bestätigte, dass die Übertragung keine Einkommensteuer auslösen werde. Der beurkundende Notar wies lediglich auf mögliche schenkung- oder grunderwerbsteuerrechtliche Konsequenzen hin, nicht jedoch auf einkommensteuerliche.
Das Finanzamt (FA) behandelte die Anteilsübertragung als steuerpflichtigen Veräußerungsvorgang gemäß § 17 Abs. 1 EStG und setzte einen erheblichen Veräußerungsgewinn an. Gegen diesen Steuerbescheid legten die Eheleute Einspruch ein. Parallel schlossen sie 2020 eine notarielle Änderungsvereinbarung: Statt der Anteilsübertragung wurde eine Geldzahlung nebst Stundung vereinbart, und die Ehefrau übertrug die GmbH-Anteile an den Ehemann zurück. Zur Begründung führten die Eheleute an, sie hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend angenommen, dass keine Einkommensteuer anfalle – dieser Irrtum habe die Geschäftsgrundlage des Vertrags gebildet.
Das Finanzamt hielt dennoch an der Steuerfestsetzung fest. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab jedoch den Klägern Recht und erkannte die Rückabwicklung als rückwirkendes Ereignis an. Gegen dieses Urteil legte das FA Revision ein.
2. Entscheidung des BFH
Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Revision des Finanzamts zurück. Der IX. Senat bestätigte, dass kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn vorliegt, da die Rückabwicklung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage steuerlich auf den ursprünglichen Vertrag zurückwirkt.
Nach § 17 Abs. 1 EStG ist die Übertragung von GmbH-Anteilen grundsätzlich steuerpflichtig, wenn der Veräußerer mindestens 1 % innerhalb der letzten fünf Jahre gehalten hat. Im Streitfall lag unstreitig eine steuerliche Veräußerung vor. Denn mit der Hingabe der Beteiligung erfüllte der Ehemann den Zugewinnausgleichsanspruch seiner Frau.
Fraglich war allein: Wirkt die spätere Rückabwicklung wegen Irrtums über die Steuerfolgen auf den ursprünglichen Veräußerungsvorgang zurück?
a. Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB):
Der BFH stellte klar, dass auch steuerrechtliche Folgen Vertragsgrundlage sein können. Ein Irrtum über diese Folgen kann den Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen,
- wenn die Parteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von falschen Annahmen ausgingen und
- der Irrtum nicht allein im Risikobereich einer Partei liegt und
- wenn die Vertragserfüllung trotz geänderter Umstände nicht zumutbar ist
Die bloß einseitigen Erwartungen einer Vertragspartei sind unerheblich
b. Keine zwingende Vertragsklausel notwendig:
Entgegen der Auffassung des FA sei es nicht erforderlich, dass die steuerlichen Vorstellungen im Vertragstext ausdrücklich erwähnt werden. Entscheidend sei allein, dass die Frage der steuerlichen Belastung tatsächlich Grundlage der Vereinbarung war.
c. Keine zeitnahe Mitteilung an die Finanzbehörde nötig:
Der BFH stellte klar, dass es unerheblich ist, wann das Finanzamt von den Umständen Kenntnis erlangt. Maßgeblich sei nur, ob der Steuerbescheid noch änderbar ist.
„Die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, müssen sich weder aus dem Vertragswortlaut ergeben noch zeitnah mit Vertragsabschluss gegenüber der Finanzverwaltung offengelegt werden.“
- Aber: Strenge Voraussetzungen
Der BFH betonte, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur in Ausnahmefällen rückwirkend anerkannt wird. Nicht jede Fehlvorstellung führt zur Rückabwicklung; die Parteien müssen darlegen und nachweisen, dass die falsche Vorstellung „derart evident“ war, dass der Vertrag ohne sie nicht geschlossen worden wäre.
„Ein Steuerpflichtiger, der sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, muss darlegen und nachweisen, dass … der Vollzug des Rechtsgeschäfts mit der gemeinsamen Vorstellung der Parteien ‚steht und fällt‘.“
Als Begründung für die Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens am Vertrag lässt der BFH genügen:
„Schließlich war den Klägern …nicht zumutbar, an dem Ehevertrag unverändert festzuhalten, weil die etwaigen erbschaftsteuerrechtlichen Vorteile durch die Einkommensteuerbelastung … aufgezehrt worden wären.“
3. Praktische Relevanz auch über Eheverträge hinaus
Das Urteil betrifft unmittelbar die Gestaltung von Eheverträgen mit vermögensrechtlichen Folgen (Zugewinnausgleich). Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage betrifft nicht nur für Eheverträge, sondern für jede Art von Vertrag, wenn die steuerlichen Folgen von beiden Parteien zur Geschäftsgrundlage gemacht wurden und sich später als falsch herausstellen.
Nach dieser Logik könnte auch bei Kaufverträgen, Gesellschaftsverträgen, Schenkungsverträgen, Erbauseinandersetzungen oder Unternehmensnachfolgen ein vergleichbarer Irrtum über steuerliche Folgen dazu führen, dass eine steuerliche Belastung rückwirkend entfällt.
Allerdings hat der BFH die Voraussetzungen bewusst sehr streng gefasst. Nicht jeder Irrtum reicht aus.
- Gemeinsamer Irrtum: Beide Vertragsparteien müssen die steuerliche Folge falsch eingeschätzt haben. Ein bloß einseitiger Irrtum genügt nicht.
- Evidenz: Die steuerliche Annahme muss so wesentlich gewesen sein, dass ohne sie der Vertrag nicht geschlossen worden wäre.
- Risikoverteilung: Die steuerliche Belastung darf nicht allein in die Risikosphäre einer Partei fallen (z. B. bei typischen Verkäufen liegt die Steuerlast regelmäßig beim Veräußerer).
- Ausnahmecharakter: Der BFH betont, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage auch im Steuerrecht nur in „besonderen Ausnahmefällen“ anzuerkennen ist.
- Das Urteil eröffnet keinen Freibrief, steuerlich unliebsame Ergebnisse durch nachträgliche Vertragsänderungen zu korrigieren.
- Vielmehr bleibt es eine Ausnahme, die sorgfältig begründet und nachgewiesen werden muss.
4. Fazit:
Das Urteil kann auf andere Vertragswerke übertragen werden, aber nur unter sehr engen Voraussetzungen. Entscheidend ist, dass die steuerliche Vorstellung gemeinsame Geschäftsgrundlage war und dass das Festhalten am Vertrag ohne Korrektur zu einem „unzumutbaren Ergebnis“ führen würde. Eheverträge sind nur ein besonders anschauliches Beispiel – aber nicht der einzige Anwendungsfall.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2024)
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