Mit einem Urteil vom 06.10.2009 (Az.: IX ZR 191/05) hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Gläubigerbefriedigung aus Mitteln, die der Schuldner aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung geschöpft hat, aufgegeben.

Gemäß § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten.

Eine Gläubigerbenachteiligung tritt ein, wenn die Insolvenzmasse durch eine Rechtshandlung verkürzt wird, so dass sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten. Eine solche Verkürzung der Masse ist grundsätzlich auch in Fällen zu bejahen, in denen der Schuldner mit den Mitteln eines ihm zuvor zur Disposition gestellten Kredits einen Gläubiger befriedigt hat. Denn der Anspruch auf Auszahlung eines zugesagten Darlehens ist mit dessen Abruf pfändbar und daher vom Insolvenzbeschlag erfasst.

Mit Urteil vom 11.01.2007 (Az.: IX ZR 31/05) hatte der BGH die Auffassung vertreten, dass bei einer Tilgung von Gläubigerforderungen mit Mitteln aus einer ungenehmigten Kontoüberziehung, eine Gläubigerbenachteiligung zu verneinen ist. Der BGH hatte damals ausgeführt, dass eine Verfügung des Schuldners über Gegenstände, die aus Rechtsgründen nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, weil sie nicht gepfändet werden können, eine Gläubigerbenachteiligung nicht bewirken könne, da sie zur Gläubigerbefriedigung von vornherein ungeeignet sei und nicht zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35 ff. InsO gehöre. Die bloße Duldung einer Kontoüberziehung gebe dem Kunden gegendie Bank keinen Anspruch auf Kredit und schafft damit keine pfändbare Forderung.

Der BGH bejaht nunmehr die Gläubigerbenachteiligung mit der Argumentation, dass bei einer Direktauszahlung des Überziehungskredits von der Bank an den begünstigten Gläubiger die Kreditmittel nicht in das Vermögen des Schuldners gelangen und dort für den Zugriff der Gläubigergesamtheit verlieben sind.

I.        Der Fall

Wegen Beitragsrückständen pfändete die Beklagte am 09.11.2001 das Geschäftskonto der Schuldnerin bei der Bank B und überwies sich die geschuldeten Beträge zur Einziehung. Das Geschäftskonto war zu diesem Zeitpunkt über die eingeräumte Kreditlinie hinaus belastet.

Am 12.11.2001 erfolgte durch die Beklagte ein fruchtloser Pfändungsversuch bei der Schuldnerin. Die Schuldnerin und die Beklagte vereinbarten am gleichen Tage eine Ratenzahlung über die Beitragsrückstände in fünf Raten.

In den Folgezeit zog die Schuldnerin zugunsten der Beklagten drei Schecks in der Gesamtsumme von 21.353,27 € auf ihr gepfändetes Geschäftskonto. Die eingeräumte Kreditlinie war zu diesem Zeitpunkt überzogen.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde im September 2002 eröffnet.

II.       Die Entscheidung

Der BGH bestätigt mit seinem Urteil im Ergebnis die Ansicht des Berufungsgericht, dass eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne der §§ 129 ff. InsO dann vorliegt, wenn der Schuldner den Gläubiger nach dessen fruchtlosem Vollstreckungsversuch aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung befriedigt.

Eine Rechtshandlung der Schuldnerin im Sinne der §§ 129 ff. InsO lag im Streitfall vor, da bereits zum Zeitpunkt der Begebung des ersten Schecks feststand, dass die Vollstreckungsversuche der Beklagten fruchtlos verlaufen waren. Denn eine Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO liegt in der Regel auch dann vor, wenn der Schuldner der anwesenden Vollziehungsperson zur Vermeidung eines – mangels pfändbarer Gegenstände voraussichtlich erfolglosen – Pfändungsversuchs einen Scheck über den geforderten Betrag übergibt.

Der BGH begründet die Annahme einer gläubigerbenachteiligenden Wirkung insbesondere mit dem Argument, dass Ziel der Insolvenzanfechtung sei, die Masse für den Insolvenzverwalter zu stärken. Dasjenige, was aus dem Vermögen des Schuldners unter Benachteiligung der Insolvenzmasse veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Zugunsten des Gläubigers kann keine allgemeine Vermutung aufgestellt werden, dass über ein Girokonto nur innerhalb eines Guthabens oder einer (tatsächlich) eingeräumten Kreditlinie verfügt wird. Der Gläubiger ist in der Regel bei allen bargeldlosen Zahlungen zu Lasten von Geschäftskonten in Unkenntnis über den Stand des Kontos und den etwaigen Sicherheiten der Bank. Im Ergebnis muss daher für die Frage, ob eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, unerheblich sein – so der BGH – ob eine tatsächlich eingeräumte oder eine lediglich geduldete Kreditlinie zur Verfügung steht.

Die Tatsache, dass die Mittel nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Schuldners stammen sondern vielmehr unmittelbar aus dem Vermögen der Bank, ändert an der Anfechtbarkeit nichts, sofern für den Gläubiger erkennbar war, dass es sich bei der Direktzahlung des Kreditgebers um eine Leistung des Schuldners handelt.

III.      Fazit

Mit seinem Urteil bewirkt der BGH die zukünftige Gleichstellung von allen Insolvenzgläubigern unabhängig davon, ob die empfangene Leistung aus einem Guthaben, einem Dispositionskredit oder eben einer zugelassenen Kontoüberziehung des Insolvenzschuldners erhalten haben.

Den Insolvenzverwalter wird die Entscheidung erfreuen; für den Geschäftspartner der Zahlungen des in Liquiditätsschwierigkeiten befindlichen Schuldners erhöht sie das Risiko einer späteren Anfechtung im Falle der Insolvenz des Schuldners. Dies insbesondere dann, wenn ein erster Vollstreckungsversuch ins Leere gegangenen ist und anschließend eine Vereinbarung über eine Ratenzahlung mit dem Schuldner selbst getroffen wird.

Verfasserin: Rechtsanwältin Dorothée Gierlich – MEYER-KÖRING, Bonn

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