22.02.2011

 

Worum es geht

Im Streitfall hatte eine Familienstiftung Zahlungen an Familienmitglieder geleistet. Das Finanzamt verlangte dafür die Abgabe einer Kapitalertragsteueranmeldung und nahm die Stiftung, nachdem diese sich geweigert hatte, eine solche einzureichen, für die abzuführende Kapitalertragsteuer – als Vorauszahlung auf die Einkommensteuerschuld der Zahlungsempfänger – in Haftung. Die Klage gegen die Haftungsbescheide war vor dem FG Berlin-Brandenburg erfolgreich (siehe Beitrag vom 17.06.2010 auf dieser Homepage). Die Leistungen der Familienstiftung stellen keinen Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG dar, Kapitalertragsteuer sei deshalb nicht einzubehalten gewesen.

Der BFH hob dieses Urteil mit seiner am 23.02.2011 veröffentlichten Entscheidung vom 03.11.2010 auf (BFH-Urteil vom 3.11.2010, I R 98/09).

 

Die Entscheidung

Entgegen der Auffassung des FG war nach Auffassung des BFH die klagende Familienstiftung nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG zur Einbehaltung der Kapitalertragsteuer auf die Zahlungen an die Destinatäre verpflichtet. Denn die Zahlungen waren im Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG

Nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören.

Die klagende Familienstiftung ist eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG 2002 unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Stiftung, die nicht von der Körperschaftsteuer befreit ist. Ihre Zahlungen an die Destinatäre stellen Leistungen dar, die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind.

Aus der Gesetzesbegründung lasse sich schließen, dass nur solche Leistungen nicht von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst sein sollen, denen im weitesten Sinne eine Gegenleistung des Leistungsempfängers – z.B. in Form eines Mitgliedsbeitrags – gegenübersteht.

Demgegenüber spiele es keine Rolle, ob die Leistungsempfänger am Vermögen beteiligt sind. Dies folgt u.a. aus § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG selbst, der ausdrücklich Leistungen von „Vermögensmassen“ aufführt, demnach auch selbständige Stiftungen, obwohl bei diesen eine Beteiligung der Leistungsempfänger am Vermögen nicht möglich ist und auch Mitgliedschaftsrechte nicht bestehen.

Damit ist es unbeachtlich, ob die Destinatäre rechtlich die Stellung eines Anteilseigners innehaben. Ausschlaggebend ist, ob ihre Stellung wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspricht. Zumindest dann, wenn die Leistungsempfänger – wie hier – unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können, handelt es sich um „hinter der Stiftung stehende Personen“ und sind die Leistungen wirtschaftlich Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vergleichbar.

Die Schwächen der Entscheidung

Für die per Haftungsbescheid in Anspruch genommene Familienstiftung kam es aber noch dicker, denn der BFH unterstellte ihr aufgrund der nicht abgeführten Kapitalertragsteuer grobe Fahrlässigkeit – und das, obwohl die Rechtslage streitig war und immerhin ein mit drei Berufsrichtern besetzter Senat des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg ebenfalls der Auffassung der Stiftung war. Damit wird das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit im Steuerrecht endgültig der Beliebigkeit preisgegeben.

Der BFH führt hierzu aus:

Die Familienstiftung hat entgegen ihrer Verpflichtung nach § 44 Abs. 1 Satz 3 und 5 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG die Kapitalertragsteuer auf die ausgezahlten Kapitalerträge nicht einbehalten und an das FA abgeführt. Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG haftet sie für die nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer, es sei denn, sie weist nach, dass sie die ihr auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Dieser Nachweis ist ihr entgegen der Auffassung des FG nicht gelungen.

Das FG hat ausgeführt, ein schuldhaftes Verhalten der Familienstiftung liege deshalb nicht vor, weil „namhafte Autoren“ der Auffassung gewesen seien, die streitbefangenen Zahlungen stellten keine Einkünfte i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG dar. Dem ist nicht zu folgen. Zumindest ab dem Zeitpunkt, ab dem der Familienstiftung bekannt war oder über ihre steuerlichen Berater hätte bekannt sein müssen, dass im Fachschrifttum auch „namhafte Autoren“ die gegenteilige Auffassung vertreten, wäre es angesichts der im Auszahlungszeitpunkt bestehenden rechtlichen Ungewissheit allein pflichtgerecht gewesen, zur Vermeidung von Haftungsfolgen die Kapitalertragsteuer auf die Zahlungen an die anspruchsberechtigten Familienmitglieder einzubehalten und an das FA abzuführen. Kommt ein Steuerpflichtiger bei umstrittener Rechtslage seiner Verpflichtung, Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen, nicht nach, handelt er regelmäßig grob fahrlässig. Seinen gegenteiligen rechtlichen Standpunkt kann er ggf. durch Anfechtung der Kapitalertragsteuerfestsetzungen geltend machen.

Fazit

Die Frage der rechtlichen Einordnung von Destinatszahlungen aus Familienstiftungen dürfte mit dieser Entscheidung vorerst geklärt sein. Es handelt sich um Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, auf die von der leistenden Familienstiftung nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG in Verbindung mit § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen sind.

Ob in den Fällen, in denen ausnahmsweise keine auch nur mittelbare Einflussnahme auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung möglich ist, anders zu entscheiden wäre, erscheint nunmehr höchst zweifelhaft. Denn wenn nur solche Leistungen nicht von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst sein sollen, in denen im weitesten Sinne eine Gegenleistung des Leistungsempfängers – z.B. in Form eines Mitgliedsbeitrags – gegenübersteht, sind Destinatszahlungen wohl allesamt erfasst.

 

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