Zum Hintergrund:

Trotz des der Börseneuphorie der Jahre 1999 und 2000 folgenden nachhaltigen Einbruchs der Aktienmärkte dürfte der Trend unumkehrbar sein: Sog. Kleinanleger legen ihr Geld vermehrt in Aktien bzw. Aktienfonds statt in Festgeld oder andere festverzinsliche Papiere an, weil sich damit auf lange Sicht die besten Renditen erzielen lassen. Dies ändert freilich nichts daran, dass ein Engagement in Aktien mit zum Teil erheblichen Risiken verbunden ist, die nicht jeder Anleger gleichermaßen tragen will bzw. tragen kann. Diese Risiken haben eine enorme Bandbreite und reichen von kurz- und mittelfristigen Verlusten, die sich erst nach Monaten und Jahren wieder kompensieren bis zu sehr hohen Verlusten, die eine vollständige Erholung des Papiers unvorhersehbar machen. Schließlich ist sogar der Totalverlust des investierten Geldes möglich. Die Risiken kann der häufig unerfahrene Anleger nur abschätzen, wenn er zunächst über die zahlreichen Produkte des Kapitalmarkts und deren Chancen bzw. deren Risiken informiert wird.

 

Üblicherweise lassen sich Anleger von ihrer Hausbank beraten und entscheiden dann gemeinsam mir dem Berater, welche Anlageform am besten zu ihnen passt. Der „Börsenpapst“ André Kostolany hat die verschiedenen Anlegertypen griffig wie folgt zusammengefasst:

„Wer wenig hat, der darf nicht spekulieren, wer viel hat, der kann spekulieren, und wer gar nichts hat, der muss spekulieren (weil er sonst zu nichts kommt).“

In den Beratungsgesprächen gilt es dementsprechend auch und vor allem herauszufinden, in welchem Maße der Kleinanleger spekulieren möchte und sollte, m.a.W., welche Wertpapiere einem Kleinanleger aufgrund seines Anlegertyps zu empfehlen sind.

 

Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor, dass Beratungsgespräche nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden, was nicht zuletzt auch daran liegen mag, dass die Banken häufig daran interessiert sind, an dem lukrativen Geschäft mit dem Wertpapierhandel mitzuverdienen, sei es, dass eigene Fondsprodukte aufgelegt und den Kleinanlegern zum Kauf empfohlen werden oder sei es, dass Gebühren für den An- und Verkauf von Wertpapieren veranschlagt werden. Die falsche Anlageberatung führt häufig dazu, dass Anleger sich auf Investitionen einlassen, die sie bei Kenntnis der allgemeinen oder spezifischen Risiken nicht getätigt hätten.

 

Doch wann gilt eine Beratung als fehlerhaft bzw. unzureichend? Welche rechtlichen Möglichkeiten hat der Kleinanleger, der aufgrund einer fehlerhaften Beratung Wertpapiere kauft, die in der Folge ganz erhebliche Werteinbußen erleiden? Die Frage der Haftung für eine nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anlageberatung ist gerade in jüngster Zeit häufig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Jüngst hat sich das OLG Nürnberg (Urteil vom 13. Oktober 2003, AZ: 8 O 399/03) in dem hier vorgestellten Fall mit dieser Thematik beschäftigt. Dabei legte es die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze und Leitlinien zugrunde.

 

Die Leitlinien:

Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass zwischen Anlageinteressent und Bank ein Beratungsvertrag konkludent zustande kommt, wenn der Anlageinteressent an die Bank herantritt, um im Hinblick auf eine Anlageentscheidung die besonderen Kenntnisse und Verbindungen der Bank in Anspruch zu nehmen und über die Anlage eines bestimmten Geldbetrages beraten zu werden und wenn die Bank dann mit der gewünschten Tätigkeit beginnt (BGH WM 2000, 1441). In seiner hier mitgeteilten Entscheidung hat das OLG Nürnberg befunden, dass nichts anderes in dem umgekehrten Fall gilt, dass die Initiative zunächst von der Bank ausgeht, indem diese dem späteren Anleger zunächst vorschlägt, ein auf dessen Girokonto bestehendes Guthaben gewinnbringend anzulegen und der Bankkunde das hierin liegende Angebot auf Abschluss eines Beratungsvertrags in der Weise annimmt, dass er sich auf die Beratung einlässt.

 

Sobald ein Beratungsvertrag zwischen der Bank und ihrem Kunden zustande gekommen ist, gelten für dessen Inhalt und Umfang die von der BGH – Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Als richtungsweisend gilt in diesem Zusammenhang das Bond-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH WM 1993, 14 55). In diesem Urteil hat sich der BGH an Art. 11 der EG-Wertpapierdienstleistungs- Richtlinie orientiert, die inzwischen vom Deutschen Gesetzgeber in § 31 Abs. 2 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) umgesetzt wurde.

 

Hiernach schuldet die Bank eine sorgfältige Anlageberatung, dessen Inhalt und Umfang von einer Reihe von Faktoren abhängig sind, die sich auf die Person des Kunden und auf das Anlageobjekt beziehen. Die Beratung muss sowohl anlegergerecht als auch anlagegerecht sein. Die Bank darf beispielsweise ein Wertpapier nur dann empfehlen, wenn die Bonität des Emittenten entweder bekannt oder zumindest abschätzbar ist (OLG Nürnberg, ZIP 2002, 611, 612).

 

Zu den Faktoren, die den Umfang der Beratungspflicht der Bank bestimmen, gehören vor allem der Wissensstand des Kunden über das beabsichtigte Geschäft und seine Risikobereitschaft, die verschiedene Stufen haben kann. Es gilt insbesondere zu berücksichtigen, ob es sich bei dem Kunden um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handelt und welches Anlageziel er verfolgt. Bei unerfahrenen Kunden bestehen nach der Rechtsprechung gesteigerte Anforderungen an die Beratung. Das heißt, dass die Bank im Zweifel den Wissensstand und das Anlageziel des Kunden erfragen muss, und zwar insbesondere, ob das beabsichtigte Wertpapiergeschäft einer sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat (vergleiche § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpHG „über ihre mit den Geschäften verfolgten Ziele“). Das von der Bank empfohlene Wertpapier muss auf die zuvor bekannten oder erfragten persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten und damit anlegergerecht sein. Damit hängt der Umfang der Beratungspflicht immer sehr stark vom jeweiligen Einzelfall ab, denn sowohl die Vorkenntnisse als auch die Anlageziele der jeweiligen Kunden variieren mehr oder weniger stark.

 

Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Bank sich mit Rücksicht auf ihre Beratungspflicht über die Qualität des empfohlenen Wertpapiers jeweils auf dem neuesten Stand zu halten hat. Gerade bei Wertpapieren, deren Werthaltigkeit nicht nachhaltig bekannt ist (z.B. Anleihen nichtstaatlicher Emittenten), hat sich die Bank über deren Bonität ein eigenes Urteil zu bilden und hierzu auch Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse auszuwerten. Sie darf sich nicht auf die Qualität des Wertpapiers nur deshalb verlassen, weil das Papier zum amtlichen Markt an einer Deutschen Börse zugelassen ist, denn die Prüfung durch die Börsenzulassungsstelle ist keine Bonitätsprüfung (Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Auflage, Randnummer 16.559). Die Beratung kann zwar grundsätzlich mündlich erfolgen. Eine schriftliche Beratung verlangt der BGH allerdings bei besonders risikoreichen Geschäften, wie dem Handel mit Derivaten (BGH, NJW 1994, 907).

 

Entspricht die Anlageberatung nicht diesen Maßstäben und entsteht dem Kunden durch ein auf die mangelhafte Beratung abgeschlossenes Wertpapiergeschäft ein Schaden, so kann er diesen von der Bank ersetzt verlangen. Der Kunde ist dann von der Bank so zu stellen, wie er stünde, wenn er ordentlich beraten worden wäre. Stellt sich hierbei heraus, dass der Anleger im Fall einer vollumfänglichen Beratung und in Kenntnis aller relevanten Umstände die empfohlene Anlage nicht erworben und den erforderlichen Geldbetrag hierfür nicht aufgewendet hätte, dann hat die Bank ihm den investierten Betrag Zug um Zug gegen Überlassung der erworbenen Wertpapieranlage zurückzuzahlen. Den Einwand, dass der Kunde das Wertpapiergeschäft auch bei ordnungsgemäßer Beratung durchgeführt hätte, hat die Bank zu beweisen. Es besteht insofern die Vermutung, dass sich der Geschädigte, wenn er ordentlich beraten worden wäre, dann auch aufklärungsrichtig verhalten hätte (BGH, 61, 118; 124, 159).

 

Die Entscheidung des OLG Nürnberg:

Der Entscheidung des OLG Nürnberg liegt ein Fall zugrunde, in dem sich die beklagte Bank zur Wahrnehmung ihrer Erkundigungspflichten eines persönlichen Analysebogens bedient hatte, der von ihrem Mitarbeiter nach den Angaben des Klägers ausgefüllt und vom Kläger unterschrieben wurde. Diesem Analysebogen zufolge verfügte der Kläger über keinerlei Erfahrung mit Wertpapiergeschäften gleich welcher Art, er verfolgte die Anlageziele langfristiger Wertzuwachs sowie Steuervorteile und schätzte sich als begrenzt risikobereit ein. Das von der Bank verwendete Formular sah für die Einstufung des Anlegers nach seinem Anlageverständnis drei Abstufungen von sicherheitsorientiert über begrenzt risikoreich bis spekulativ vor.

 

Nach der dem Anlagebogen beigefügten Definition nahm der begrenzt risikobereite Anleger Erfolgsschwankungen und mögliche Kursverluste in Kauf, er strebte aber keine Kursgewinnmaximierung zum Preis erhöhter Verlustgefahr an, während der spekulative Anleger für die Kursgewinnmaximierung Erfolgsschwankungen und Verluste in Kauf nahm. Der Kläger entschloss sich auf Grund der ihm zu Teil gewordenen Beratung zum Abschluss eines Fond – Vermögensverwaltungsvertrages des Depottyps 3. Wie aus dem dazu verwendeten Vertragsformular ersichtlich, stellte die Bank einem Anleger, der einen derartigen Vertrag abschließen wollte, 5 verschiedene Depottypen zur Wahl, wobei die Typen 1  – 3 in dieser Reihenfolge nach ihrem spekulativen Charakter abgestuft waren.

 

Der Depottyp 1 wurde als renditeorientiert bezeichnet und enthielt mindestens 60 % Renten/Cashfonds, jedoch nur 10 % Aktienfonds. Dieser Depottyp eignet sich nach der Beschreibung im Vertragsformular für Auftraggeber, die eine renditebewusste Anlageform suchen bei der spekulative Elemente möglichst ausgeschlossen werden. Der Depottyp 2 wird als wachstumsorientiert bezeichnet, enthält mindestens 30 % Aktienfonds und 30 % Rente/Cashfonds und empfiehlt sich für den Auftraggeber, der bestimmte Risiken eingeht und sich dabei bewusst ist, dass höhere Risiken zwar höhere Chancen aber auch Verluste bedeuten können. Der Depottyp 3 wurde von der Bank als chancenorientiert bezeichnet. Er enthielt mindestens 50 % Aktienfonds, ein Mindestanteil von Rentenfonds war nicht vorgesehen. Einen Auftraggeber, der sich für diesen Depottyp entscheidet, beschreibt das Vertragsformular als spekulativ eingestellt; er gehe bewusst höhere Risiken ein, um eine hohe Rendite zu erzielen, wobei ihm bekannt sei, dass den höheren Chancen auch größere Verlustrisiken gegenüberstünden. 

 

Aufgrund der vorgehenden Beratung durch die Bank entschied sich der Kläger für den Depottyp 3 („chancenorientiert“). Die Bank empfahl dem Kläger mithin eine Wertpapieranlage, die sich nach ihrer eigenen Einschätzung an spekulationsbereite Auftraggeber richtete, obwohl der Kläger zuvor noch angegeben hatte, dass er nur begrenzt risikobereit war. Das Oberlandesgericht verurteilte die Bank deshalb unter Zugrundelegung der eingangs beschriebenen Leitlinien und Grundsätze zur Zahlung von Schadensersatz.

 

Das Gericht hielt die Beratung der Bank für offensichtlich fehlerhaft, weil sie nicht anlegergerecht erfolgt war, denn der Kläger hatte mit Depottyp 3 eine Anlageform gewählt, die seinem zuvor angegebenen Risikoziel „begrenzt risikobereit“ klar widersprach. Die Bank wäre verpflichtet gewesen, dem Kläger eine andere Anlage zu vermitteln, die seinen Anlagezielen entsprochen hätte, hier z. B. der Depottyp 1, der von der Bank als renditeorientiert bezeichnet nur 10 % Aktienfonds, dafür aber 60 % Rentenfonds enthielt. Der Senat weist im Übrigen daraufhin, dass es auch keine Rolle spiele, ob der Kläger darauf hingewiesen wurde, dass es keine garantierte Grundverzinsung gäbe und auch Kursschwankungen auftreten könnten, die allenfalls nach einer längeren Laufzeit wieder ausgeglichen werden. Eine solche Aufklärung habe sich lediglich auf das Wesen jeder Anlage in Aktien und das damit verbundene Grundrisiko bezogen, was die Bank aber nicht von ihrer Verpflichtung entbunden habe, den Kläger entsprechend des von diesem geäußerten Anlageziels bei der Auswahl der in Betracht kommenden Anlageformen zu beraten.

 

Es genüge auch nicht, dass die Bank behauptet, dem Kläger sei durch verschiedene Mitarbeiter der unterschiedliche Risikogehalt der verschiedenen Depottypen erläutert worden. Dies alleine lasse noch nicht erkennen, welchen Risikohinweis der Kläger gerade in Bezug auf den Depottyp 3 konkret erhalten habe. Doch selbst wenn die Beklagte dem Kläger den Risikogehalt des Depottyp 3 zutreffend erläutert haben sollte, entlastet sie dies nicht, denn aufgrund der von ihr selbst zuvor erhobenen Angaben des Klägers zu seinen Anlagezielen und seiner Risikobereitschaft hätte sie die den Kläger zusätzlich darauf aufmerksam machen müssen, dass der Depottyp 3 von den Vorgaben des Klägers abweiche.

 

 

Fazit:

Die Entscheidung des OLG Nürnberg macht noch mal sehr deutlich, dass dem Anleger keine Anlage empfohlen werden darf, die offensichtlich nicht zu den von ihm angegeben Anlagezielen bzw. zu seinem Anlegertyp passt. Von einer Anlage, die offensichtlich nicht dem Profil des Anlegers entspricht, hat die Bank abzuraten. Der Anlageberater hat mithin dafür Sorge zu tragen, dass (der im Beratungsgespräch ermittelte) Anlagetyp und Anlageprodukt zusammenpassen. Dass heißt, einem risikoscheuen Anleger darf kein Wertpapier vermittelt werden, das Restrisiken in sich birgt, und seien diese noch so gering und überschaubar. Dabei gilt es auch die jeweils von der Bank verwendeten Definitionen zu berücksichtigen. Hält sich die Bank nicht hieran, hilft auch eine allgemeine Aufklärung über die Risiken einer Anlage in Aktien nicht über den Beratungsfehler hinweg.

 

Weitere Rechtsprechung zu diesem Thema:

BGH MDR 2000, Seite 1021

BGH WM 2001, Seite 1718 ff. (Aufklärungspflichten der Bank bei Ablauf einer Optionsfrist)

OLG Saarbrücken, Urteil vom 14. Januar 2003, AZ: 7 U 278/02

OLG Nürnberg ZIP 2002, Seite 611

OLG Düsseldorf, WM 1996, Seite 1082

 

Verfasser: Rechtsanwalt Alexander Wolf, LL.M.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • Anwalt des Jahres in NRW (Alexander Knauss) für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2022)

  • TOP-Kanzlei für Bank- und Finanzrecht 
    (WirtschaftsWoche 2022)

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