In Schadenersatzprozessen wegen angeblich fehlerhafter Anlageberatung geht es oft um die Frage, ob der Kunde den Verkaufsprospekt rechtzeitig erhalten hat. Denn darin findet er regelmäßig ausführliche Hinweise zu den Risiken der Kapitalanlage.


Der Verkaufsprospekt genügt zur Aufklärung des Anlegers über mögliche Risiken der geplanten Geldanalge. Ist er darüber hinaus fehlerfrei und wird rechtzeitig übergeben, erkennt dies auch der BGH an.  

Sofern der Prospekt keine Fehler enthält und dem Kunden rechtzeitig übergeben wurde, reicht er zur Aufklärung des Anlegers aus (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2007 − III ZR 145/06). Die Frage der Rechtzeitigkeit hängt davon ab, wie viel Zeit zwischen Prospektübergabe und Zeichnung liegt. In vielen Fällen ist der Zeitpunkt der Prospektübergabe aber nicht schriftlich dokumentiert, weil zum damaligen Zeitpunkt hierzu noch keine Pflicht bestand. Kommt es dann Jahre später zum Prozess, tragen Anlegeranwälte oft standardmäßig vor, dass der Prospekt gar nicht bzw. nicht rechtzeitig übergeben worden sei.

Banken, Berater und Vermittler stehen vor der Herausforderung, diese Behauptung zu widerlegen. Enthält die schriftliche Dokumentation keinerlei Angaben zum Übergabezeitpunkt und besteht kein Kontakt mehr zu dem früheren Vertriebsmitarbeiter, ist zu klären ob und ggflls. wie das beklagte Unternehmen der Behauptung des Anlegers überhaupt entgegentreten darf.

In dem vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedenen Fall konnte die Beklagte die relevanten Sachverhaltsdetails nicht mit ihr zumutbaren Mitteln in Erfahrung bringen. Denn der Vermittler war nicht mehr für sie tätig und hatte auf konkrete schriftliche Nachfragen nicht geantwortet.

Das Oberlandesgericht Celle hatte hierzu – mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG schwerlich vereinbar – die Auffassung vertreten, dass das Beratungsunternehmen die Schilderung des Anlegers nicht bestreiten kann, wenn hierzu keine eigenen Kenntnisse vorliegen.

Dem hat der Bundesgerichtshof eine deutliche Absage erteilt und einige auch für Parallelfälle wichtige Grundsätze aufgestellt.


Pocht der Anleger auf eine nicht rechtzeitige Prospektübergabe, so trägt er laut BGH hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Der Fall:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aufgrund behaupteter fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.

Der Kläger beteiligte sich im Jahr 2008 an einer geschlossenen Beteiligung (Schiffsfonds). Unstreitig hatten zwei Beratungsgespräche stattgefunden. Der Kläger bestätigte in der Beitrittserklärung in einem gesondert unterschriebenen Empfangsbekenntnis den Erhalt des Prospekts (vor Unterzeichnung). Im Prozess behauptet der Kläger hingegen, gar keinen Prospekt erhalten zu haben. Die Beklagte führt unter Bezugnahme auf die Beitrittserklärung aus, dass dem Kläger der Prospekt übergeben wurde. Zudem ist sie der Auffassung, dass sie den Vortrag des Klägers mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) bestreiten können müsse. Denn der selbstständige Handelsvertreter, der die Beratung für die Beklagte vorgenommen hatte und mehrfach zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, äußerte sich zu der Angelegenheit nicht.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Das Oberlandesgericht führt in seinen Entscheidungsgründen im Wesentlichen aus, dass die Beklagte die vom Kläger behauptete Nichtübergabe des Prospekts nicht mit Nichtwissen bestreiten dürfe. Wenn ein Anspruchsteller eine negative Tatsache behaupte, müsse der die Tatsache bestreitende Anspruchsgegner aktiv darlegen, wann und wie sich die Tatsache (hier die Prospektübergabe) verwirklicht habe. Sonst sei zu seinem Nachteil davon auszugehen, dass die darzulegende positive Tatsache nicht vorliege. Dabei komme es insbesondere nicht darauf an, ob der Anspruchsgegner sein Unvermögen zu substantiiertem Sachvortrag zu vertreten habe. Antworte der Berater auf Nachfragen nicht oder teile er mit, dass ihm jede Erinnerung fehle, dürfe der Anspruchsgegner eine rechtzeitige Prospektübergabe nicht ohne Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht ins Blaue hinein behaupten.

Die Entscheidung:

Der BGH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht muss nun Beweis erheben. Zur Begründung führt der BGH Folgendes aus:

Der Anleger trage für die nicht rechtzeitige Prospektübergabe die Darlegungs- und Beweislast. Die mit dem Nachweis der negativen Tatsache der – angeblich nicht erfolgten – Prospektübergabe verbundenen Schwierigkeiten würden damit ausgeglichen, dass die andere Partei (also Bank bzw. Vermittler) die behauptete fehlende Übergabe substantiiert bestreiten müsse. Der maßgebliche Gesichtspunkt der Möglichkeit und Zumutbarkeit sei auch auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen. Denn von ihr könne nicht mehr verlangt werden als von dem Anspruchsteller selbst, sonst würde die Darlegungslast vollständig umgekehrt und dem Anspruchsgegner – unabhängig von seinen Kenntnissen und Erkenntnismöglichkeiten – auferlegt. Begegne auch die nicht beweispflichtige Partei – mit zumutbarem Aufwand nicht überwindbaren – Schwierigkeiten, gehe dies zu Lasten der Partei, welche die Darlegungslast trägt. Dies ist, wenn es um die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten geht, der Anspruchsteller d.h. der Anleger.

Der Bundesgerichtshof stellte außerdem klar, dass der Beklagten abgesehen von dem (erfolglosen) Erkundigungsschreiben keine weiteren Maßnahmen zur Aufklärung gegenüber ihrem früheren Vermittler zugemutet werden dürfen, etwa – wie das Oberlandesgericht noch gemeint hatte – durch Androhung von Schadenersatzansprüchen.

Vom Kläger unterzeichnete Erklärungen (im dortigen Fall: die Empfangsquittung für den Prospekt) und die Unzumutbarkeit weiterer Aufklärungsmaßnahmen auf Seiten der Bank bzw. des Beratungsunternehmens reduzieren die Anforderungen, die an den Vortrag der Beklagten gestellt werden können. Insbesondere handele es sich nicht um – prozessual unzulässigen – Vortrag ins Blaue hinein.

Fazit:

Die Entscheidung macht deutlich, dass der vom Anleger in der Beitrittserklärung unterzeichneten Erklärung und der Unzumutbarkeit weiterer Aufklärungsmaßnahmen bei den Anforderungen Rechnung zu tragen ist, die an die Widerlegung der Behauptungen des Anlegers gestellt werden können.

Ausblick:

Die vom BGH aufgestellten Grundsätze gelten nicht nur für die Prospektübergabe. Ergeben sich aus der Beratungsdokumentation beispielsweise Anhaltspunkte für eine mündliche Aufklärung über Risiken „anhand des Prospekts“, stellt dies ebenfalls einen greifbaren Anhaltspunkt dar, um den Vortrag des Anlegers widerlegen zu können, über den deshalb nach der Rechtsprechung des BGH erforderlichenfalls Beweis zu erheben ist.

Das Oberlandesgericht Celle hat seine Rechtsprechung zwischenzeitlich – unter Bezugnahme auf die hier besprochene Entscheidung des BGH – geändert. Nunmehr erachtet es das Oberlandesgericht Celle selbst als ausreichend, wenn sich nur aus dem vorgedruckten Text der Beratungsdokumentation Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Anleger mit Hilfe des Prospekts über die Risiken aufgeklärt wurde (vgl. OLG Celle, Urteil vom 01.03.2018 – 11 U 108/17).

Es lohnt sich daher, im Einzelfall genau hinzusehen und sich nicht zu schnell auf einen Vergleich einzulassen, nur weil man vermutet, dass man den Vortrag des Anlegers nicht wirksam bestreiten könne.

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  • Anwalt des Jahres in NRW (Alexander Knauss) für Bank- und Finanzrecht
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  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2022)

  • TOP-Kanzlei für Bank- und Finanzrecht 
    (WirtschaftsWoche 2022)

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