In Anlegerschutzprozessen kommt es leider häufig vor, dass die von Anlegern beauftragten Kanzleien den Sachverhalt nicht so schildern, wie er sich tatsächlich zugetragen hat, sondern so, wie er zu den vorgefertigten Schriftsätzen der Kanzlei passt. Ob dies dem Umstand geschuldet ist, dass manche Kanzleien mehr Mandate annehmen, als sie könnten, wenn sie in jedem Einzelfall den Sachverhalt gründlich aufarbeiten würden, oder ob dahinter die Absicht steckt, den Sachverhalt möglichst „passend zu machen“, sei dahingestellt.

Die Unsitte, zur Schilderung des Sachverhalts floskelhafte Textbausteine zu verwenden, mag auch durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) begünstigt worden sein. Dieser hatte im Jahr 2012 die Anforderungen an Schlüssigkeit und Substantiiertheit des Anlegervortrags (leider) sehr niedrig gesetzt (BGH, Urteil vom 06.12.2012 − III ZR 66/12).


Dem allzu offensichtlichen Verwenden von Textbausteinen in Schriftsätzen hat jüngst das OLG Celle Einhalt geboten. 

Manchmal wird allerdings auch die Geduld der Gerichte überstrapaziert, wie eine aktuelle Entscheidung des OLG Celle zeigt (OLG Celle, Urteil vom 01.03.2018 − 11 U 108/17). Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es steht zu hoffen, dass der BGH seine Rechtsprechung aus 2012 überdenkt und allzu wilden Auswüchsen auf Seiten von Anlegerschutzkanzleien Einhalt gebietet.

Die fragliche Kanzlei war bereits in der Vergangenheit vielfach dadurch aufgefallen, dass persönlich angehörte Kläger nicht bestätigen konnten, was ihre Anwälte zuvor geschrieben hatten. So hatte das OLG Celle schon im Jahr 2017 in einem anderen, auf Anlegerseite von derselben Kanzlei geführten Verfahren Folgendes ausgeführt (OLG Celle, Beschluss vom 10.07.2017 – 11 U 141/16):

„Ergänzend zu jenen Ausführungen ist anzumerken, dass – wie den Prozessbevoll-mächtigten des hiesigen Klägers bekannt ist, die auch in dem nachfolgend genannten Verfahren die dortige Klägerin vertreten haben – zeitlich nach Erlass des Hinweisbeschlusses am 21. April 2017 der Senat in dem (Kapitalanlage-)Verfahren 11 U 147/16 in der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2017 die dortige Klägerin persönlich angehört und diese in diesem Rahmen eingeräumt hat, dass Teile des schriftsätzlichen tatsächlichen Vorbringens, das ihre Prozessbevollmächtigten in ihrem Namen gehalten haben, nicht auf Angaben beruhen, die sie gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten gemacht hat, sie im Übrigen zumindest zum Teil gar nicht verstanden habe, was ihre Prozessbevollmächtigten in ihrem Namen vorgetragen haben. Auch dieses Ergebnis zeigt die Sinnhaftigkeit der vom Landgericht durchgeführten Anhörung auf …“ (Hervorhebung durch uns)

In seiner aktuellen Entscheidung vom 01.03.2018 – 11 U 108/17 findet das OLG Celle sehr deutliche Worte für das Verhalten der den dortigen Anleger vertretenen Rechtsanwälte:

„3. Soweit die Klägerin ihre mit der Klage verfolgten Ansprüche auf eine nicht anlagegerechte Beratung stützt, liegt im Ergebnis kein schlüssiger Vortrag vor.

a) Allerdings wäre das Vorbringen der Klägerin schlüssig, soweit man isoliert allein auf die von ihren Prozessbevollmächtigten angefertigten Schriftsätze abstellen würde. Die Klägerin lässt in diesen Schriftsätzen diverse Aspekte anführen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufklärungsbedürftig sind und über die sie angeblich nicht aufgeklärt worden ist, auch nicht durch (rechtzeitige) Übergabe des streitgegenständlichen Emissionsprospektes, …

b) Indes steht dieses schriftsätzliche Vorbringen mit dem weiteren Akteninhalt in einem nicht auflösbaren Widerspruch. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben die für ihre Mandantin gefertigten Schriftsätze so aufgebaut, dass sie namens der Klägerin die Behauptung aufgestellt haben, dass hinsichtlich jedes einzelnen der Risiken, die in dem streitgegenständlichen Emissionsprospekt aufgeführt sind, keine Aufklärung erfolgt sei. (…)
Dazu im diametralen Widerspruch steht das Vorbringen, dass die Klägerin vorgerichtlich durch eine andere Anwaltskanzlei, als die, von der sie sich in dem vorliegenden Verfahren vertreten lässt, in einem Schreiben vom 25. Juni 2014 (…) gehalten hat. …

c) Angesichts des vorgenannten – eklatanten – Widerspruches in dem Vorbringen der Klägerin wäre der Senat normalerweise so vorgegangen, dass er – zugleich seiner Hinweispflicht nach § 139 ZPO nachkommend – die Klägerin nach § 141 ZPO angehört und in diesem Rahmen dazu befragt hätte, welcher dieser beiden sich gegenseitig ausschließenden Vorträge, die dritte Personen in ihrem Namen gehalten haben, zutreffend ist, und insbesondere, soweit das Vorbringen in dem vorgerichtlichen Schreiben vom 25. Juni 2014 zutreffend sein sollte, über konkret welche der in dem Prospekt aufgeführten Risiken ihr Ehemann seitens des Beraters S. denn aufgeklärt worden ist.

e) Der Senat möchte klarstellen, dass er beabsichtigt, den klagenden Anleger nach § 141 ZPO zum Ablauf des Beratungsgesprächs einschließlich der Frage der Prospektübergabe anzuhören, sofern dies nicht bereits erstinstanzlich hinreichend geschehen ist.

aa) Der Senat sieht es zumeist als geboten und erforderlich an, insbesondere die jeweilige Klagepartei, die – wie vorliegend die Klägerin – von der Rechtsanwaltskanzlei (…) vertreten wird, persönlich nach § 141 ZPO anzuhören. Das hat seinen Grund darin, dass die Rechtsanwaltskanzlei … in aller Regel für ihre jeweiligen, klagenden Mandanten in Bezug auf jedes einzelne der Risiken, die in den jeweiligen Emissionsprospekten aufgeführt sind, schriftsätzlich die Behauptung aufstellt, dass diese hierüber nicht aufgeklärt worden sei und der (jeweilige) Kläger die Anlage nicht gezeichnet hätte, wenn er hierüber aufgeklärt worden wäre. Das Landgericht Hannover und der Senat sind in der jüngeren Vergangenheit dazu übergegangen, die jeweiligen Klageparteien, die sich von der Rechtsanwaltskanzlei … vertreten lassen, nach § 141 ZPO persönlich dazu anzuhören, was sich tatsächlich im Rahmen der jeweiligen Beratungsgespräche mit den Beratern der Beklagten zugetragen hat. Diese Anhörungen haben in einer Vielzahl von Fällen zu dem Ergebnis geführt, dass die jeweilige Klagepartei Erklärungen abgegeben hat, die zum Inhalt haben, dass das (tatsächliche) Vorbringen, das die Rechtsanwaltskanzlei … in ihrem Namen schriftsätzlich gehalten hat, nicht zutreffend ist.

Beispielhaft verweist der Senat auf seine Ausführungen in dem veröffentlichten Beschluss vom 03. Juli 2017 (11 U 164/16, juris Rn. 54). Als weiteres Beispiel sei auf das – den Prozessbevollmächtigten beider Parteien bekannte – Verfahren 11 U 135/17 hingewiesen. Auch in diesem Verfahren hat der dortige Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht Angaben gemacht, die in mehrfacher Hinsicht (…) im Widerspruch zu dem vorherigen schriftsätzlichen Vorbringen stehen.

bb) Seiner jeweiligen Entscheidung zugrunde zu legen hat der Senat sodann nur noch den Tatsachenvortrag, den die Partei im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung gemacht hat. Vorheriger schriftsätzlicher Tatsachenvortrag, der mit diesen persönlichen Angaben im Widerspruch steht, ist prozessual unbeachtlich. Widersprüche, die sich daraus ergeben, dass die Prozessbevollmächtigten des anlegenden Klägers schriftsätzlichen Vortrag gehalten haben, der im Widerspruch zu den Angaben steht, die der anlegende Kläger sodann im Rahmen einer Anhörung macht, können zudem vom Senat im Rahmen einer etwaigen Beweiswürdigung zu Lasten des anlegenden Klägers berücksichtigt werden, soweit der Kläger den wechselnden Parteivortrag nicht nachvollziehbar erklärt und ggf. – falls derartige Erklärungen streitig werden sollten – beweist (vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 13. März 2012 – II ZR 50/09, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 1. Juli 1999 – VII ZR 202/98, juris Rn. 9 a.E.)“ (Hervorhebungen durch uns).
Vor dem OLG Celle war die fragliche Kanzlei bereits in der Vergangenheit dadurch aufgefallen, dass persönlich angehörte Kläger nicht bestätigen konnten, was ihre Anwälte zuvor geschrieben hatten. 

Empfehlung für die Praxis

Es empfiehlt sich in Anlegerschutzprozessen bei Vertretung des beklagten Vermittlers oder Unternehmens, den Vortrag des Anlegers auf Widersprüche hin zu untersuchen und diese dem Gericht ebenso aufzuzeigen wie ähnliche Widersprüche in Parallelprozessen, in denen andere Anleger von derselben Kanzlei vertreten wurden. Nur so kann dem Gericht die systematische Verwendung von floskelhaften Textbausteinen anstelle konkreten Sachvortrags verdeutlicht und das Gericht veranlasst werden, durch eine Anhörung des jeweiligen Anlegers nach § 141 ZPO zu prüfen, ob der schriftsätzliche Vortrag überhaupt einen Bezug zum Einzelfall hat. Lassen sich die Widersprüche zwischen den Schriftsätzen der Anlegeranwälte einerseits und den Einlassungen des Anlegers im Rahmen seiner Vernehmung nicht aufklären, kann dies im Einzelfall dazu führen, dass die Klage schon mangels Schlüssigkeit abgewiesen wird, ohne dass es noch auf eine Beweisaufnahme ankommt.

Prozesstaktisch ist es deshalb sinnvoll, auch auf Passivseite Verfahren zu bündeln und durch Rechtsanwälte bearbeiten zu lassen, die mit den betreffenden Anlegerkanzleien bereits Erfahrungen haben, um sich wiederholenden floskelhaften Vortrag von Anlegerschutzkanzleien aufzudecken.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • Deutschlands beste Kanzleien für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2024)

  • Alexander Knauss bei „Beste Anwälte Deutschlands 2024“ für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2024)

  • Anwalt des Jahres in NRW (Alexander Knauss) für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

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