04.03.2020 -

Wir hatten über die Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts zu den neuen Hinweispflichten für Arbeitgeber zu Urlaubsansprüchen bereits ausführlich berichtet. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich allerdings bislang noch nicht mit der Frage zu befassen, ob diese Hinweispflichten auch dann gelten, wenn ein Mitarbeiter über das Kalenderjahr hinaus arbeitsunfähig erkrankt ist. Kann man einen erkrankten Mitarbeiter auf die Pflicht, den Urlaub zu nehmen, überhaupt hinweisen? Diese wichtige und praxisrelevante Frage hat das Landesarbeitsgericht Hamm in einem aktuellen Urteil verneint (LAG Hamm v. 24.07.2019, 5 Sa 676/19).


Können Hinweispflichten zum Verfall des Urlaubsanspruchs auch dann gelten, wenn ein Mitarbeiter über das Kalenderjahr hinaus arbeitsunfähig erkrankt ist? (Copyright toeytoey/istockphoto)

Der Fall

Die Parteien streiten über das Bestehen eines Resturlaubsanspruchs der Arbeitnehmerin aus dem Jahre 2017.

Die Arbeitnehmerin ist bei dem beklagten Arbeitgeber, einem Krankenhaus, mit einem Bruttomonatsgehalt von 1.647 Euro beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis besteht ungekündigt fort. Die Klägerin ist allerdings seit 2017 erkrankt und konnte im Jahr 2017 von dem ihr zustehenden Urlaubsanspruch 14 Tage nicht mehr wegen der Arbeitsunfähigkeit nehmen. Seitdem ist sie durchgehend erkrankt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. November 2018 forderte die Klägerin zunächst die Abgeltung des Urlaubs für das Jahr 2017. Der Arbeitgeber lehnte dies ab. Daraufhin reichte die Arbeitnehmerin Klage beim Arbeitsgericht Paderborn ein und hat dann den Abgeltungsanspruch auf Hinweise des Gerichts auf einen Feststellungsantrag umgestellt und beantragt, festzustellen, dass ihr aus dem Jahre 2017 noch ein Urlaubsanspruch in Höhe von 14 Urlaubstagen zusteht. Die Arbeitnehmerin ist der Auffassung, der Urlaub wäre trotz ihrer dauerhaften Urlaubsunfähigkeit nicht untergegangen, da der Arbeitgeber es unterlassen habe, sie nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darauf hinzuweisen, dass nicht genommener Urlaub am Jahresende verfalle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Hinweispflichten gelte nicht für langzeiterkrankte Arbeitnehmer.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Hamm die Entscheidung des Arbeitsgerichts in vollem Umfange bestätigt.

I. Urlaubsansprüche bei dauerkrankten Arbeitnehmern

Nach der bislang gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verfallen Urlaubsansprüche bei langzeiterkrankten Mitarbeitern 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Ein Urlaubsanspruch aus dem Jahre 2017 verfällt bei einem dauererkrankten Arbeitnehmer damit 15 Monate später, also am 31. März 2019. Dieser Verfall tritt nach bisheriger Rechtsprechung automatisch ein. Hinweise und/oder Belehrungen für den Arbeitnehmer sind nicht erforderlich.

Hinweis für die Praxis

Diese Rechtsprechung gilt zunächst nur für den zwingenden gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen im Jahr. Freiwilliger Mehrurlaub kann auch schon früher verfallen, im Rahmen der gesetzlichen Übertragungsfristen. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass im Arbeitsvertrag oder im einschlägigen Tarifvertrag ein eigenes Urlaubsregime vereinbart ist. (Mehr dazu hier)

II. Hinweispflicht nach der neuen Rechtsprechung

Das Bundesarbeitsgericht hat nun in mehreren Grundsatzentscheidungen am 19. Februar 2019 im Anschluss an eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2018 klargestellt, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer klar und deutlich über diesen Verfall belehrt hat. Das BAG im Wortlaut:

„Der Arbeitgeber kann sich nach der vom Gericht vorgenommenen Auslegung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers deshalb nur berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten.“

Hinweis für die Praxis

Diese neue Rechtsprechung ist von größter praktischer Bedeutung. Wir können jedem Arbeitgeber nur dringend empfehlen, sich mit den Hinweispflichten zu befassen und entsprechende Belehrungen nachweisbar jedem Arbeitnehmer, z.B. über die Lohnabrechnung, zukommen zu lassen. (Konkrete Hinweise zur Umsetzung finden sich hier)

III. Keine Hinweispflichten bei dauererkrankten Mitarbeitern

Das LAG Hamm hat nun klargestellt, dass diese neuen Belehrungspflichten nicht gelten, wenn ein Mitarbeiter dauerhaft erkrankt ist. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer kann auch bei einer förmlichen Aufforderung, den Jahresurlaub zu nehmen, diesen wegen seiner Arbeitsunfähigkeit gerade nicht antreten. Eine Belehrung als Obliegenheit des Arbeitgebers ergibt somit nur dann Sinn, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Lage ist, auf diese zu reagieren und den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dies ist im Falle einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht der Fall.

Bei einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit verbleibt es daher nach zutreffender Auffassung des LAG Hamm bei dem Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres. Eine Pflicht, auf diese 15-Monats-Frist hinzuweisen, besteht nicht.

Hinweis für die Praxis

Etwas Anderes kann dann gelten, wenn ein Mitarbeiter aus einer langen Erkrankung genesen wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Dann leben die übertragenen Urlaubsansprüche wieder auf. Daher greifen dann ab diesem Zeitpunkt auch die oben genannten neuen Hinweispflichten. Die Belehrungspflicht besteht aber so lange nicht, wie die Arbeitsunfähigkeit andauert.

Fazit

Der Entscheidung des LAG ist zuzustimmen. Allerdings fehlt bislang eine ausdrückliche Bestätigung durch das Bundesarbeitsgericht. Das Verfahren ist dort in der Revision unter dem Az. 9 AZR 401/19 anhängig. Wir werden über die Entwicklung zu dieser wichtigen Rechtsfrage weiter berichten.

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