Die Legislative hat das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVID-19-Gesetz) deutlich nachgebessert und stärkt hiermit vor allem wieder die Aktionärsrechte. Nichtsdestotrotz stehen den Aktionären ihre Beschlussmängelrechte als auch ihr unmittelbares Fragerecht in der Hauptversammlung weiterhin nur eingeschränkt zur Verfügung.
Bereits im März 2020 hatte der Gesetzgeber mit Art. 2 COVID-19-Gesetz die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen spürbar vereinfacht, indem etwa der Vorstand einer Aktiengesellschaft (AG) oder Societas Europaea (SE) auch ohne satzungs- oder geschäftsordnungsmäßige Ermächtigung die Teilnahme der Aktionäre und deren Stimmabgabe sowie die Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder an der Hauptversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation bzw. als virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmen konnte. Dabei ist zu beachten, dass der Vorstand sich bei diesen unternehmerischen Entscheidungen uneingeschränkt auf die Business Judgment Rule (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) berufen kann.
Die ursprünglich bis zum Jahresende 2020 befristeten Erleichterungen (vgl. Art. 6 Abs. 2 COVID-19-Gesetz) wurden – aufgrund der noch andauernden Pandemie – erstmals mit der Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 20. Oktober 2020 bis einschließlich 31. Dezember 2021 verlängert.
Virtuelle Hauptversammlung und Aktionärsrechte (Copyright: blende11.photo/adobe.stock).
Der Gesetzgeber hat sodann im Dezember 2020 doch noch auf die – teilweise sehr deutliche – Kritik aus der Praxis reagiert und entsprechend für die Hauptversammlungssaison des Jahres 2021 einige wichtige Neureglungen getroffen. Hierfür hat sich der Bundesgesetzgeber – sachlich versteckt und deshalb schnell zu übersehen – des Art. 11 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22. Dezember 2020 bedient. Die nachstehenden Rechtsbestimmungen gelten daher nun nicht mehr allein kraft Verordnung, sondern entfalten von Gesetzes wegen juristischer Geltung. Eine nochmalige zeitliche Verlängerung würde somit grundsätzlich auch wieder einen parlamentarischen Gesetzesakt verlangen.
Welche Änderungen erwartet die Hauptversammlungssaison 2021?
1. Echtes Fragerecht statt bloße Fragemöglichkeit
Den Aktionären steht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19-Gesetz n.F. bei den künftig anstehenden virtuellen Hauptversammlungen nunmehr ein dispositionsfestes Fragerecht statt einer – für die abgelaufene Hauptversammlungssaison 2020 noch geltenden – schlichten Fragemöglichkeit zu. Bislang durfte der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen in Abweichung von § 131 AktG („Auskunftsrecht des Aktionärs“) befinden, ob und wenn ja, wie er die von den Aktionären gestellten Fragen beantwortet (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19-Gesetz a.F.). Vor allem bei Aktionären und Aktionärsvertretern war diese pandemiebedingte Regelung wegen der erheblichen Diskrepanz zum traditionellen in § 131 AktG verankerten Leitbild auf Widerstand gestoßen, auch wenn zahlreiche Vorstände in der Hauptversammlungssaison 2020 offen kommuniziert hatten, sämtliche rechtzeitig eingegangenen Fragen sachgemäß zu beantworten. Dennoch hat der Bundesgesetzgeber die geäußerte Kritik ernst genommen und die Gesetzesbestimmungen inhaltlich angepasst.
Im Einzelnen:
Der Vorstand darf nun nicht mehr frei entscheiden, ob er die Fragen der Aktionäre beantwortet. Vielmehr kann er lediglich noch unternehmerisch abwägen (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), wie er zu den Aktionärsfragen Stellung nehmen möchte. Davon unberührt bleibt es dem Vorstand aber weiterhin möglich, inhaltlich gleiche oder ähnliche Aktionärsfragen – sofern sachlich sinnvoll – zu bündeln und zusammen bzw. identisch zu beantworten.
Auch die Frist zur Einreichung von Aktionärsfragen hat der Gesetzgeber zugunsten der Aktionäre verlängert (§ 1 Abs. 2 Satz 2, 2. Hs COVID-19-Gesetz n.F.). Der Vorstand kann nach der geänderten Gesetzesregelung den Eingang von Fragen auf höchstens bis „einen Tag“ vor der Hauptversammlung verkürzen; die Vorgängerbestimmung sah indes noch eine Begrenzungsmöglichkeit bis zwei Tage vor der Hauptversammlung vor. Es bleibt allerdings zu bezweifeln, dass diese Normanpassung den Aktionären einen ernsthaften Vorteil bringt. Schließlich müssen die Aktionäre auch nach § 1 Abs. 2 Satz 2, 2. Hs COVID-19-Gesetz n.F. unverändert ihre Fragen im Wege der elektronischen Kommunikation im Vorfeld einreichen. Unangekündigte verbale Aktionärsfragen muss der Vorstand bei der Videokonferenz im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung weiterhin indes nicht zulassen.
2. Fiktionswirkung bei Sachanträgen und Wahlvorschlägen
Nach § 1 Abs. 2 Satz 3 COVID-19-Gesetz n.F. werden unter den Voraussetzungen der §§ 126, 127 AktG Sachanträge bzw. Wahlvorschläge von Aktionären bei einer virtuellen Hauptversammlung nunmehr so behandelt, als würden sie in der virtuellen Hauptversammlung nochmals gestellt (sog. Fiktionslösung).
Mit dieser Rechtsanpassung trägt der Gesetzgeber einer von vielen Unternehmen in der virtuellen Hauptversammlungssaison 2020 faktisch praktizierten Vorgehensweise Rechnung. Denn eine (nochmalige) Antragstellung in der virtuellen Hauptversammlung scheidet ohnehin von vornherein aus, wenn den elektronisch teilnehmenden Aktionären kein Antragsrecht gewährt bzw. den Aktionären ihre Stimmrechtsausübung allein mittels elektronischer Briefwahl ermöglicht wird. Für einen wirksamen Antrag im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 3 COVID-19-Gesetz n.F. ist es allerdings zwingend notwendig, dass der antragstellende bzw. den Wahlvorschlag unterbreitende Aktionär seine Legitimation nachgewiesen und sich außerdem zur Hauptversammlung ordnungsgemäß angemeldet hat.
3. Keine Aufhebung der im März 2020 eingeführten Beschränkungen des Beschlussmängelrechts
Auch für die Hauptversammlungssaison 2021 bleiben die Beschlussmängelrechte aus §§ 241 ff. AktG aufgrund der im März 2020 mit § 1 Abs. 7 COVID-19-Gesetz eingefügten Anfechtungsbeschränkungen – trotz laut geäußerter Kritik aus den Aktionärsreihen – weiterhin erheblich eingeschränkt. Insbesondere kann für eine Beschlussmängelklage in aller Regel nicht auf eine Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen über die virtuelle Hauptversammlung in § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz abgestellt werden.
Resümee
Die jüngst stattgefundenen Justierungen zum Recht der virtuellen Hauptversammlung schlagen einen salomonischen Weg ein. Sie stärken einerseits die Aktionärsrechte (Erweiterung des Fragerechts, Fiktionswirkung) und schaffen andererseits für die Gesellschaft ein erhöhtes – gerade in Krisenzeiten besonders erwünschtes – Maß an Rechtssicherheit (beschränktes Beschlussmängelrecht, Fiktionswirkung) im Bereich der virtuellen Hauptversammlungen. Im Ergebnis hat also der Gesetzgeber mit seinen (teilweise) vorgenommenen Änderungen im Dezember 2020 die richtige Richtung für die Hauptversammlungssaison 2021 eingeschlagen.
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