Nachdem der deutsche Gesetzgeber bereits am 11. Juni 2021 mit einem Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten für Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, LkSG) vorangeschritten ist, will die EU nun nachziehen und die Verantwortung der Unternehmen für einen konsequenten Schutz des Klimas und der Menschenrechte weiter verschärfen. Als Ergebnis steht nun ein erster Vorschlag vom 23. Februar 2022 der EU-Kommission für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (COM (2022) 71 final, 23.2.2022), der in vielerlei Hinsicht über das deutsche LkSG hinausgeht und die Wirtschaft aufhorchen lässt.


Die Verantwortung der Unternehmen wächst und mit ihr das Haftungsrisiko für Leitungsorgane (Copyright: zinkevych/adobe.stock). 

Schon am 11. Dezember 2019 stellte die Europäische Kommission unter dem Namen „European Green Deal“ ein Konzept vor, nach dem die EU bis zum Jahr 2050 die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null reduzieren will. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, wurden bereits in der Vergangenheit weitreichende Gesetzgebungsverfahren – wie die Taxonomie-VO – auf den Weg gebracht (Nachhaltigkeitsgesetzgebung). Auch haben die Vereinten Nationen (UN) im Jahr 2016 mit den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte den weltweiten Schutz von Menschenrechten in den internationalen Fokus gerückt.

Nun soll also ein europäisches Lieferkettenschutzgesetz kommen, um europäische Unternehmen am Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden und den globalen Klimawandel zu beteiligen. Hierfür ging das deutsche LkSG dem europäischen Gesetzgeber wohl offensichtlich nicht weit genug. Denn der nun vorliegende Richtlinien-Vorschlag hat – neben einem erweiterten Sorgfaltspflichtenkatalog – auch ein deutlich erhöhtes Haftungsrisiko für Unternehmen und ihre Führungsorgane im Gepäck. So wird der für den sachlichen Anwendungsbereich entscheidende Begriff der „Lieferkette“ durch den deutlich weitergehenden Begriff der „Wertschöpfungskette“ ersetzt. Klima- und Umweltschutz sollen nach dem Richtlinien-Vorschlag nun auch nicht mehr nur mittelbar bei Menschenrechtsverletzungen relevant werden, sondern begründen vielmehr unmittelbar ein eigenes Sorgfaltspflichtenprogramm. Neben einer öffentlich-rechtlichen Haftung bei Verstoß gegen die lieferkettenbezogenen Unternehmenspflichten (Bußgelder, Zwangsgeld etc.) soll – anders als beim deutschen LkSG – auch eine zivilrechtliche Haftung künftig ex lege implementiert werden.

Für Unternehmen und ihre Manager bedeutet dies nicht nur eine erhöhte Haftungsgefahr, sondern auch einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand, wollen sie den strengeren (künftigen) Anforderungen des EU-Lieferkettengesetzes nachkommen.

Welche Unternehmen sind betroffen?

Zum unmittelbaren Adressatenkreis des Richtlinien-Vorschlages für ein EU-Lieferkettengesetz gehören jene Unternehmen mit Sitz in der EU, die (1.) mindestens 500 Angestellte haben und einen Jahresumsatz von über EUR 150 Millionen erzielen oder aber (2.) mindestens 250 Angestellte haben und einen Jahresumsatz von über EUR 40 Millionen erwirtschaften, soweit dieser Umsatz mindestens zur Hälfte aus einem „Hochrisikosektor“ – wie etwa der Textilindustrie oder der metallhaltigen Ausgangsproduktion – stammt.

Für Drittstaaten-Unternehmen existiert keine Mindestzahl bezüglich ihrer Angestellten (s.o.); sie werden bereits bei Überschreiten der vorgenannten Umsatzschwellen in der EU (EUR 150 Millionen bzw. EUR 40 Millionen bei zumindest hälftigen Anteil aus einem Hochrisikosektor) erfasst.

Kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs), die die genannten Schwellenwerte nicht erreichen, sind zwar nicht unmittelbar an das Pflichtenprogramm des EU-Lieferkettenschutzgesetzes gebunden, doch werden auch sie mit den erhöhten Sorgfaltspflichten mittelbar konfrontiert werden, wenn sie Teil der Wertschöpfungskette eines Großunternehmens sind. Nicht selten werden sie über das Großunternehmen zur Einhaltung der Lieferkettensorgfaltspflichten faktisch oder sogar vertraglich verpflichtet werden.

Wie weit reicht der neue Richtlinien-Vorschlag?

Anders als das deutsche LkSG umfasst der Kommissionsvorschlag nicht allein die Lieferkette, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine erhebliche Erweiterung der Reichweite der bisherigen gesetzlichen Regelungen im LkSG. Denn neben den durch das LkSG erfassten Zulieferer-Aktivitäten (Upstream-Aktivität) erfasst der europäische Richtlinien-Vorschlag auch die Nutzung und die Entsorgung des Produkts auf nachgelagerter Kundenebene (Downstream-Aktivität) – ggf. sogar bis zur Ebene des Endverbrauchers.

Dabei erstrecken sich die Sorgfaltspflichten auf alle unmittelbaren Vertragspartner sowie mittelbaren Vertragspartner, zu denen das Unternehmen eine Geschäftsbeziehung unterhält, die hinsichtlich ihrer Dauer und Intensität beständig ist (gefestigte Geschäftsbeziehung).

Der Sorgfaltspflichtenkatalog wächst – insbesondere durch Umwelt- und Klimaschutz:

Der Kommissionsvorschlag für ein EU-Lieferkettenschutzgesetz legt im Verhältnis zum LkSG deutlich mehr Gewicht auf obligatorische Sorgfaltspflichten, die unabhängig von tatsächlichen Hinweisen auf etwaige Verstöße oder bestehende Risiken einzuhalten sind. Dies in Kombination mit einem ausgebauten Haftungsregime wird bei den Unternehmen künftig zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand führen.

Besonders hervorzuheben sind insoweit die vorgesehenen unmittelbaren Sorgfaltspflichten hinsichtlich des Umwelt- und Klimaschutzes. Beschränkt sich das deutsche LkSG insoweit noch auf Umwelt- und Klimaverstöße, die unmittelbar zu einer Menschenrechtsverletzung führen konnten, sieht der europäische Vorschlag eine derartige Einschränkung nicht mehr vor. Unter Bezugnahme auf die wichtigsten internationalen Abkommen sind nun auch Klima- und Umweltschutz unmittelbarer Teil des Sorgfaltspflichtenkatalogs des EU-Lieferkettenschutzgesetzes. Somit sind die Auswirkungen auf Klima, Umwelt und Menschenrechte bei jeder unternehmerischen Entscheidung zu berücksichtigen. Das vorgesehene EU-Lieferkettenschutzgesetz wird also schwerwiegenden Einfluss auf die Richtung der zukünftigen Unternehmenspolitik haben.

Als obligatorische Maßnahme sollen die Unternehmen in Zukunft ihre gesamte Wertschöpfungskette beobachten und tatsächliche wie potenzielle nachteilige Auswirkungen aufdecken. Hierzu ist – wie bereits im deutschen LkSG – die Einrichtung eines effektiven Beschwerdeverfahrens für Betroffene, aber auch für Gewerkschaften und Organisationen unumgänglich, damit die Möglichkeit besteht, Verstöße auch tatsächlich aufzudecken. Werden nachteilige Auswirkungen für Klima-, Umwelt- oder Menschenrechtsbelange oder aber auch nur ein Risiko für solche erkannt, sind diese zwingend zu vermeiden, zu beenden oder zumindest zu verringern.

Darüber hinaus sieht der Richtlinien-Vorschlag der Europäischen Kommission eine Pflicht der Unternehmen vor, die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen fortlaufend zu überwachen und in einem jährlichen Bericht zu dokumentieren. Dies wird langfristig nur durch die Einführung effektiver Compliance-Management-Systeme und Monitoring-Mechanismen möglich sein.

Sanktionen und Haftungen – auf was haben sich die Unternehmen einzustellen?

Bei Verstößen gegen eine der vorgenannten Sorgfaltspflichten sieht der Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission zunächst einmal staatliche Sanktionen (Buß- und Zwangsgelder etc.) vor. Die konkrete Ausgestaltung bleibt im Einzelnen aber dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat überlassen. Insoweit dürfte mit Blick auf die §§ 22, 24 LkSG neben (umsatzbasierten) Bußgeldern auch der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und/oder Beihilfen drohen.

Im Unterschied zum deutschen LkSG sieht der Richtlinien-Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz zudem ausdrücklich eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens vor, wenn es infolge der Missachtung der Sorgfaltspflichten zu einem konkreten Schaden gekommen ist. Daneben tritt das bekannte Risiko der Binnenhaftung für die Geschäftsleiter der betroffenen Unternehmen (§§ 43 GmbHG, 93 AktG etc.).

Eine konsequente Dokumentation der ergriffenen Maßnahmen und eingerichteten Beschwerdeverfahren ist mit Blick auf die angedrohten Sanktionen und Haftungen von elementarer Wichtigkeit. Vor allem kann nur so einer Haftung für Schäden, die durch Geschäftspartner verursacht wurden, entgangen werden. Eine im Vorfeld vieldiskutierte Beweislastumkehr hat indes keinen Einzug in den europäischen Vorschlag eines EU-Lieferkettengesetzes gefunden.

Fazit / Was ist nun zu tun?

Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen ist keinesfalls endgültig. Eine Billigung durch das Europäische Parlament und den Rat stehen noch im weiteren (europäischen) Gesetzgebungsverfahren aus. Sollte es hierbei allerdings nicht zu – äußerst unwahrscheinlichen – drastischen Änderungen des Richtlinien-Vorschlages kommen, ergibt sich mit dem anstehenden EU-Lieferkettengesetz in jedem Fall ein weiterer Anstieg der Sorgfaltspflichten und somit auch des Haftungsrisikos für Unternehmen und ihre Geschäftsleiter. Auf Unternehmen wird somit ein erheblicher bürokratischer Mehraufwand zurollen, wollen sie die ihnen dann neu auferlegten Lieferkettensorgfaltspflichten einhalten, um so den staatlichen Sanktionen und einer zivilrechtlichen Haftung zu entgehen.

Der vom EU-Lieferkettengesetz geplante Pflichtenkanon dürfte insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) vor erheblichen Herausforderungen stellen. Zwar werden sie oftmals nicht zum unmittelbaren Adressatenkreis der geplanten EU-Lieferketten-Richtlinie gehören. Doch haben Großunternehmen die ihnen auferlegten Sorgfaltspflichten in der gesamten Wertschöpfungskette zu überwachen. Sie werden sich daher die Einhaltung der klima-, umwelt- und menschenrechtlichen Vorgaben des EU-Lieferkettengesetzes von ihren Zulieferern und sonstigen Vertragspartnern vertraglich zusichern lassen. Auch ist eine Tendenz dahin zu erkennen, dass Stakeholder-Gruppen (Verbraucher, Investoren etc.) einen stärkeren Fokus darauf legen werden, dass Unternehmen am Markt das durch das LkSG sowie durch das geplante EU-Lieferkettenschutzgesetz vorgesehene Pflichtenprogramm einhalten werden, und zwar unabhängig davon, ob sie unmittelbar den Verpflichtungen aus den vorgenannten Gesetzen unterliegen.

Umso wichtiger ist es, bereits jetzt Vorkehrungen zu treffen, um mögliche Risikoherde zu identifizieren und Abhilfemaßnahmen ins Auge zu fassen. Mittelfristig ist zudem die Einrichtung eines effizienten Compliance-Management-Systems ratsam. Denn nur so kann die fortlaufende Einhaltung rechtlicher Lieferkettensorgfaltsstandards sichergestellt werden.

Sie können sich bei Fragen zu dieser Thematik oder zum Thema „Environmental, Social and Governance (ESG) und Unternehmenspflichten“ gerne unmittelbar an den Autor dieses Beitrags wenden!

Zur Vertiefung des Themas EU-Lieferkettenschutzgesetz siehe auch Brock, GmbHR 2022, R 132 ff. (Heft 9).

Autoren

Rechtsanwalt Dr. Karl Brock, Assoziierter Partner

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Constantin Dorschu

Autor

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