Die Praxis zeigt nur allzu häufig, das Finanzberater und speziell Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne des WpHG ihren Kunden Wertpapiertransaktionen empfehlen, die häufig nicht oder nur schwer mit den vorher angegebenen Kundeninteressen in Einklang zu bringen sind. Kommt es dann zu einem Verlust auf Seiten des Anlegers, gelingt es dem Anleger regelmäßig nicht, Schadensersatz beim Finanzdienstleister durchzusetzen. Zu schwammig sind oft die zuvor anzukreuzenden Kriterien für eine Selbsteinschätzung und zu ungenau definiert ist oft das eigentliche Anlegerinteresse. Zudem fehlte Anlegern bislang häufig ein scharfes Schwert in Form einer ziehenden Anspruchsgrundlage gegen den Finanzdienstleister. Der in der Rechtsliteratur vertretenen Auffassung folgend hat nunmehr das OLG Frankfurt am Main mit Urteil vom 5. Juli 2006 (Aktenzeichen 21 U 15/06) aus Anlegersicht wünschenswerte Klarheit geschaffen.

Der Fall:

Ein Privatanleger hatte gegenüber dem Finanzdienstleister zunächst Angaben zu seinem bisherigen Anlageverhalten gemacht und dabei erklärt, dass er seit rund einem Jahr Geld in Industrieanlagen, erstklassige Fremdwährungsanleihen, Rentenfonds, ausländische Geldmarktfonds, inländische Aktienfonds, Länderfonds westeuropäischer Länder sowie gemischte Fonds investiert habe. Im Hinblick auf die Anlageziele hatte er dort die Rubrik „moderate Risikobereitschaft“ angekreuzt. Dort ist von einer Anlage in „ausgewogener Mischung“ aus Produkten niedriger Risikostufe die Rede.

Der beklagte Finanzdienstleister empfahl demgegenüber den Kauf von Aktien einer nicht börslich notierten Aktiengesellschaft. Die gesamte Anlage wurde außerdem in die Aktien dieser einzigen Firma investiert, wobei die Aktien zugleich einen hoch spekulativen Charakter hatten, da der Börsengang noch nicht durchgeführt worden war.

Diese Anlageempfehlung entsprach daher gerade nicht den Interessen des späteren Klägers, weil dieser u.a. auch zum Ausdruck gebracht hatte, dass er die beiden Lebensversicherungen, die zum Erwerb der Kapitalanlage eingesetzt werden sollten, zum Zwecke der zusätzlichen Altersvorsorge abgeschlossen worden waren und die Kapitalanlage dem gleichen Zweck der Altersvorsorge dienen sollte.

Als dem Kläger dann der Charakter seiner Anlage bekannt wurde, verlangte er vom Finanzdienstleister die Rückzahlung seines Investments.

Die Entscheidung:

Der auf Rückzahlung des Kaufpreises für die Wertpapiere gerichteten Klage gab das OLG Frankfurt am Main statt. Dabei stützt das Gericht seine Entscheidung – und das ist neu – auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG. Nach § 823 Abs. 2 BGB haftet derjenige auf Schadensersatz, der gegen ein Schutzgesetz verstößt. Frage war, ob § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift ist.

§ 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG verbietet es Geschäftsführern von Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Wertpapierdienstleistern, Kunden des Unternehmens den Ankauf von Finanzinstrumenten zu empfehlen, wenn und soweit die Empfehlung nicht mit den Interessen des Kunden übereinstimmt.

Das OLG Frankfurt am Main folgt der in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach ein effektiver zivilrechtlicher Anlegerschutz, der durch die Regelungen des zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes und des darin enthaltenen Wertpapierhandelsgesetzes geschaffen werden sollte, sich nur dann realisieren lässt, wenn die in § 31 ff. WpHG normierten Verhaltungsregelungen als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert werden.

Das OLG Frankfurt am Main führt wie folgt aus:

„Die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln, die durch die §§ 31, 32 WpHG aufgestellt werden, dienen dem Zweck, eine anleger- und anlagegerechte Beratung zu gewährleisten. § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG bringt dies dadurch zum Ausdruck, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen dazu verpflichtet sind, von ihren Kunden Angaben über ihre Erfahrungen oder Kenntnisse in Geschäften, die Gegenstand von Wertpapierleistungen sein sollen, sowie über ihre mit den Geschäften verfolgten Ziele und über ihre finanziellen Verhältnisse zu verlangen. Darauf aufbauend besteht die Verpflichtung (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG), den Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen. Das Gesetz bringt damit klar zum Ausdruck, dass die Beratung einschließlich der in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Empfehlungen auf die individuellen Verhältnisse und Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sein muss. Das in § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG normierte Verbot, den Kunden den An- oder Verkauf von Finanzinstrumenten zu empfehlen, die nicht mit dessen Interessen übereinstimmen, hat damit deutlich individualschützenden Charakter. Die Vorschrift dient damit nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern auch und gerade dem Schutz des Kunden gegen eine Verletzung seines Rechts auf anleger- und anlagegerechte Beratung, sie ist daher als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.“

Den Verstoß gegen § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG sah das OLG in der Empfehlung einer nicht anlegergerechten Anlage. Unmissverständlich führt es unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs wie folgt aus:

„Bei einer Anlage zur Alterssicherung darf keine spekulative Anlage empfohlen werden (BGH, WM 2000, 1441, 1443; OLG Jena, OLG-NL 2005, 148).“

Als Folge dieser Pflichtverletzung hatte das beklagte Finanzdienstleistungsunternehmen dem Kläger seinen vollen Schaden zu ersetzen. Er haftet auf das negative Interesse. Der Kläger ist dabei so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Finanzdienstleister darauf hingewiesen hätte, dass der Erwerb der Aktien nicht seinem Interesse entsprach. Dann wäre davon auszugehen, dass der Anleger von dem Erwerb der Aktien Abstand genommen hätte, denn bei der Verletzung von Beratungs- und Aufklärungspflichten besteht zugunsten des Geschädigten die Vermutung „aufklärungsrichtigen“ Verhaltens (BGHZ 61, 118; 72, 106; 124, 159), das auch für deliktische Ansprüche gilt (BGH NJW 1984, 1688; WM 1986, 735).

Der Kläger konnte deshalb die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises für die Wertpapiere verlangen.

Verfasser: Rechtsanwalt & Steuerberater Andreas Jahn, MEYER-KÖRING v. DANWITZ PRIVAT – Bonn

 

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