Für alle Kreditnehmer, die entgegen der ursprünglichen Planung das mit der kreditierenden Bank vertraglich vereinbarte Darlehen entweder gar nicht abnehmen oder aber aus welchen Gründen auch immer vorzeitig zurückführen, stellt sich die Frage nach den sich hieraus ergebenden Kosten. Banken berechnen in diesen Fällen Nichtabnahmeentschädigungen oder auch Vorfälligkeitsentschädigungen, denen der Kreditnehmer in aller Regel mangels Kenntnis der Rechtslage und der anzuwendenden mathematischen Formeln nichts entgegensetzen wird. Wohl oder übel zahlen die meisten Kunden den von der Bank errechneten Betrag.
Dass diese Berechnungen aber nicht immer stimmen und sich je nach Höhe und vereinbarter Laufzeit des Darlehens von der tatsächlich geschuldeten Entschädigung erheblich entfernen können, beweist das Urteil des BGH vom 07.11.2000, Az.: XI ZR 27/00.
Dort hatte die klagende Bank zwar zu recht eine Nichtabnahmeentschädigung für ein nicht in Anspruch genommenes 15-jähriges Annuitätendarlehen verlangt (= grundschuldgesichertes Baufinanzierungsdarlehen mit festen Raten und festem Zinssatz, wobei sich die Raten aus einem sich über die Laufzeit vermindernden Zinsanteil bei gleichzeitig wachsendem Tilgungsanteil zusammensetzen), diese aber viel zu hoch berechnet. Der BGH hat jetzt verlässliche Parameter festgesetzt, nach denen die Entschädigung zu berechnen ist. Selbst, wenn die Berechnung heute immer noch nicht einfach ist und mit vertretbarem Aufwand wohl nur über spezielle Programme erfolgen kann, sind dennoch einer Vielzahl willkürlicher Berechnungseinflüsse klare Grenzen gesetzt worden.
Die Entscheidung haben wir in Ihren Kernaussagen verkürzt wiedergegeben. Wenn Sie den Volltext benötigen, schicken Sie und bitte eine E-Mail an bonn@mkvdp.de.
BGH, Urteil vom 07.11.2000, Az.: XI ZR 27/00:
Aus den Entscheidungsgründen:
1. … Der Anspruch ist … wegen positiver Vertragsverletzung begründet, weil der Beklagte die Erfüllung seiner Pflicht zur Abnahme des Darlehens … bereits vor Fälligkeit ernsthaft und endgültig verweigert hat … .
2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Nichtabnahmeentschädigung weisen hingegen Rechtsfehler auf.
a) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin könne ihren Nichtabnahmeschaden nach der so genannten Aktiv-Passiv-Methode berechnen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats … kann eine Bank den Schaden, der ihr durch die Nichtabnahme oder durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entsteht, sowohl nach der Aktiv-Aktiv-Methode als auch nach der Aktiv-Passiv-Methode berechnen. Bei der von der Klägerin gewählten Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode stellt sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers als Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei Abnahme des Darlehens tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite dar, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der freigewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Nichtabnahmeentschädigung abzuzinsen.
bb) Der auf diese Weise berechnete Schaden darf … den auf die betreffende Darlehensart entfallenden Durchschnittsnettogewinn vergleichbarer Banken übersteigen. Der nach der Aktiv-Passiv-Methode ermittelte Schaden umfasst in einer Position sowohl den Zinsmargenschaden, d. h. den der Bank entgangenen Nettogewinn, als auch den Zinsverschlechterungsschaden, d. h. ihren aus einer Wiederausleihe zu einem niedrigeren Zinssatz resultierenden Schaden. …
cc) Die Schadensberechnung nach der Aktiv-Passiv-Methode setzt nicht voraus, dass der Darlehensgeber sich tatsächlich refinanziert hat. Sie beruht auf der Grundlage einer fiktiven Wiederanlage, für die eine tatsächliche Refinanzierung unerheblich ist. …
b) … aa) Bei der Berechnung der Zinsen, die der Beklagte bei Abnahme des Darlehens tatsächlich gezahlt hätte, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass es sich um ein Annuitätendarlehen handelt, auf das während der Laufzeit monatlich neben Zins- auch Tilgungsleistungen erbracht werden, die die zu verzinsende Darlehenssumme reduzieren. Um dieser fortlaufenden Rückführung des zu verzinsenden Kapitals Rechnung zu tragen, ist bei der Berechnung der Zinsen nach der Cash-Flow-Methode zu verfahren, bei der berücksichtigt wird, dass Zins- und Tilgungszahlungen unterjährig zu verschiedenen Zeitpunkten an die Bank geflossen wären …. Der Berechnung ist, da der konkret vereinbarte Tilgungsverlauf zu berücksichtigen ist, der vereinbarte Nominalzinssatz zugrunde zu legen. …
Der Zinsberechnung ist … ein Zeitraum von 10 1/2 Jahren zugrunde zu legen. Da der Beklagte den Darlehensvertrag nach §609a Abs. 1 Nr. 3 BGB frühestens nach zehn Jahren mit einer Frist von sechs Monaten kündigen konnte, entspricht dies dem Zeitraum der rechtlich geschützten Zinserwartung. …
bb) Auch die Ermittlung der Rendite aus einer Wiederanlage des durch die Nichtabnahme freigewordenen Darlehensbetrages durch das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft.
(1) Das Berufungsgericht hätte die Rendite einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen zugrunde legen müssen und nicht auf die im Jahre 1996 um durchschnittlich 0,2% und neuestens … sogar um 0,4% niedrigere Rendite festverzinslicher Wertpapiere der öffentlichen Hand zurückgreifen dürfen. … Da die Sicherheit von Hypothekenpfandbriefen angesichts der besonderen Schutzbestimmungen des Hypothekenbankgesetzes mit der von Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner durchaus vergleichbar ist, ist es Banken… eine Wiederanlage in Pfandbriefen vorzunehmen. Das gilt besonders für Hypothekenbanken wie die Klägerin, die selbst Pfandbriefe emittiert haben.
…
(2) Auch bei der Berechnung der von der Klägerin bei einer Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen erwirtschafteten Rendite ist zu berücksichtigen, dass die Parteien ein Annuitätendarlehen vereinbart haben. Der finanzielle Vorteil, den die Klägerin durch die Nichtabnahme dieses Darlehens erlangt hat, besteht in der Möglichkeit, jede Tilgungsrate bis zu dem Zeitpunkt anzulegen, zu dem die Rate bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Darlehensvertrages an sie zurückgeflossen wäre. Da bei längeren Anlagezeiträumen regelmäßig höhere Renditen zu erzielen sind, durfte das Berufungsgericht bei den zwischen wenigen Tagen und 10 1/2 Jahren liegenden Anlagezeiträumen nicht von einem einheitlichen Wiederanlagezinssatz ausgehen. …
(3) Die Erträge einer laufzeitkongruenten Wiederanlage sind anhand des Nominalzinssatzes zu berechnen … . Die [die in der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank] veröffentlichten Renditen können der Berechnung des Ertrages einer laufzeitkongruenten Wiederanlage … zugrunde gelegt werden … . Unter der Prämisse einer jährlichen Zinszahlung entspricht die in der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank ausgewiesene Rendite, ausgehend von dem Kaufkurs und dem Nominalbetrag sowie dem Zinssatz des Pfandbriefes, weitestgehend dem Nominalzins, bezogen auf den angelegten Betrag. …
cc) Im Rahmen der Schadensberechnung sind angemessene Beträge für ersparte Verwaltungsaufwendungen und für das entfallende Risiko des Darlehens in Abzug zu bringen … . Diese Kürzung kann jedoch nicht … durch die Bildung eines einheitlichen, beide Aspekte berücksichtigenden prozentualen Abschlages erfolgen.
(1) Dem entfallenden Darlehensrisiko ist durch einen prozentualen Abschlag Rechnung zu tragen. Dadurch wird berücksichtigt, dass das Risiko und damit die Risikoprämie auch von der jeweiligen Höhe der Schuld abhängen. Der Abschlag für die entfallende Risikovorsorge ist je nach den Risiken des konkreten Vertrages gemäß §287 ZPO zu schätzen. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wurden Abschläge zwischen 0,05% und 0,06% (OLG Hamm WM 1998, 1811, 1812 und OLG Hamm WM 2000, 1145; OLG Köln WM 1999, 1661, 1662) bzw. 0,014% (OLG Schleswig WM 1998, 861, 863) gemacht.
(2) Im Gegensatz dazu hätte das Berufungsgericht die ebenfalls nach §287 ZPO zu schätzenden Kosten der ersparten Verwaltungsaufwendungen nicht in einem prozentualen Abschlag angeben dürfen. Der Verwaltungsaufwand gleichartiger Darlehen ist im Wesentlichen von der Höhe der konkreten Darlehenssummen unabhängig. Deswegen besteht zwischen den Verwaltungskosten, die bei Durchführung eines Darlehensvertrages entstehen, und der Höhe der Darlehenssumme keine proportionale Beziehung. Die ersparten Verwaltungsaufwendungen sind nicht als prozentuale Abschläge, sondern als absolute, von der Darlehenssumme unabhängige Beträge anzusetzen … . Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Darlehensvertrag hauptsächlich zu Beginn Verwaltungsaufwand erfordert, während die weitere, meist EDV-mäßige Durchführung in aller Regel keinen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringt.
dd) Die sich ergebenden Beträge sind auf den Zeitpunkt der Zahlung der Nichtabnahmeentschädigung abzuzinsen. Dabei ist der aktive Wiederanlagezins zugrunde zu legen. Auch in diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei dem abzurechnenden Darlehen um ein Annuitätendarlehen handelt, also der Zinsanteil kontinuierlich abnimmt und der Kapitalstand des Darlehens sich entsprechend ändert. Auch wenn es einem Darlehensgeber kaum möglich ist, Kapitalmarktanlagen mit den sich ändernden Kapitalständen und gebrochenen Restlaufzeiten zu erzielen, ist doch im Rahmen einer abstrakten Betrachtung die kontinuierliche Reduzierung der Darlehensschuld durch fortschreitende Tilgung und die dadurch bedingte Verminderung der Zinsschuld zu berücksichtigen. Abzuzinsen ist dabei mit der realen Zinsstrukturkurve.
III. …
Das von der Klägerin verwendete so genannte KAPO-Programm ist grundsätzlich zur Berechnung einer Nichtabnahme- bzw. Vorfälligkeitsentschädigung geeignet. Es trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass je nach Laufzeit der Darlehensraten unterschiedliche Renditen der Wiederanlagen anzusetzen sind. …
…
Als weitere Schadensposition kann die Klägerin die Kosten geltend machen, die ihr durch die Berechnung der Nichtabnahmeentschädigung entstehen. Diese Kosten lassen sich kaum exakt beziffern und können daher gemäß §287 ZPO geschätzt werden. Da der Berechnungsaufwand nicht entscheidend von der Höhe der Darlehenssumme abhängt, kann als Schadensersatz nicht ein bestimmter Prozentsatz des Darlehens verlangt werden …. Vielmehr ist ein absoluter Betrag anzusetzen.
Auszeichnungen
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Deutschlands beste Kanzleien für Bank- und Finanzrecht(Handelsblatt 2024)
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Alexander Knauss bei „Beste Anwälte Deutschlands 2024“ für Bank- und Finanzrecht(Handelsblatt 2024)
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Anwalt des Jahres in NRW (Alexander Knauss) für Bank- und Finanzrecht(Handelsblatt 2023)
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„Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht(Handelsblatt 2023)
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