11.12.2023 -

Gesundheitsministerium präsentiert Eckpunktepapier zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen – Welchen Nutzen haben Praxen?

Bürokratieabbau will beinahe jeder. Seit Jahren, gar Jahrzehnten schreiben sich politische Entscheidungsträger dieses Ziel auf die Fahnen - und sind meist erfolglos.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat sein Eckpunktepapier für Bürokratieabbau im Gesundheitswesen vorgelegt (credits:adobestock).

I. Bürokratieabbau – jeder will es, keiner tut es?

Bürokratieabbau will beinahe jeder. Seit Jahren, gar Jahrzehnten schreiben sich politische Entscheidungsträger dieses Ziel auf die Fahnen – und sind meist erfolglos. Keine Überraschung: Auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung spielt der Bürokratieabbau eine große Rolle – auch im Gesundheitswesen. Dieser ist inzwischen sogar gesetzlich geregelt. In § 220 Abs. 4 SGB V wird das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verpflichtet, unter anderem Empfehlungen zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen zu erarbeiten. Diese sollten bis zum 30. September 2023 erarbeitet werden. Im Vorfeld dieser „Frist“ hatte u. a. auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) für die niedergelassenen Ärzte Vorschläge zum Bürokratieabbau unterbreitet. Diese sind veröffentlicht unter: https://www.kbv.de/media/sp/KBV-Vorschlaege_Entbuerokratisierung.pdf

II. Eckpunktepapier des BMG – Was beinhaltet es?

Das Ministerium hat nun sein Eckpunktepapier innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt. Die Empfehlungen auf 47 Seiten betreffen nahezu sämtliche Bereiche des Gesundheitswesens, den ambulanten- und stationären Sektor, den Arzneimittel- und Hilfsmittelbereich, die Langzeitpflege sowie die Digitalisierung. Das BMG betont zudem, dass zusätzliche Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, um den Bürokratieabbau weiter voranzutreiben.

III. Bürokratische Entlastung für Praxen und Medizinische Versorgungszentren?

Interessant für Arzt- und Zahnarztpraxen, Medizinische Versorgungszentren und Psychotherapeuten sind besonders die vom BMG erwogenen Maßnahmen für den ambulanten Sektor. Das Eckpunktepapier enthält dazu u. a. die folgenden Vorschläge:

1. Ärztliche Bescheinigung bei Erkrankung des Kindes („Kind-krank-Bescheinigung“)

Zukünftig sollen Eltern erst ab dem vierten Tag der Erkrankung ihres Kindes eine Krankschreibung vorlegen müssen. Bislang ist die Bescheinigung schon am ersten Tag verpflichtend für den Anspruch auf Krankengeld. Ein Arztbesuch ist zu diesem Zeitpunkt häufig (noch) nicht notwendig und erfolgt in erster Linie aufgrund der Dokumentationspflicht gegenüber Krankenkasse und Arbeitgeber. Mit der Änderung sollen sowohl Eltern als auch Kinder- und Jugendärzte entlastet werden.

2. Zulassungsverfahren

Das BMG schlägt vor, die Zulassungsverordnungen für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) und für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV) zu überarbeiten. Anträge auf Zulassung oder Eintragung ins Arzt- oder Zahnarztregister sollen (auch) elektronisch beantragt werden können. Auch Sitzungen und Beschlüsse der Zulassungsgremien sollen durch das elektronische Versenden von Unterlagen vereinfacht werden. Schließlich soll der Zeitraum verlängert werden, in dem die genehmigungsfreie Vertretung eines Arztes möglich ist. Das BMG erhofft sich dadurch eine Flexibilisierung und Stärkung der Attraktivität der Niederlassung.

3. Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen

Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen ärztlich verordneter Arznei- und Heilmittel sollen Bagatellgrenzen eingeführt, bzw. bestehende erhöht werden.

Die Ausschlussfrist für die Festsetzung von Beratungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen, beispielsweise wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens, soll von vier auf zwei Jahre verkürzt werden. Das würde eine Angleichung an die Ausschlussfrist für Regresse, die ebenfalls zwei Jahre beträgt, darstellen.

Die Teilnahme an Sitzungen des Beschwerdeausschusses, z.B. bei mündlichen Anhörungen, soll für die Beteiligten zukünftig auch über Videokonferenz möglich sein. Das BMG will hierzu die Wirtschaftlichkeitsprüfungs-Verordnung ändern.

4. Digitalisierung

Das BMG strebt mittelfristig eine vollständige Digitalisierung der vertragsärztlichen Überweisungen an. Die Übermittlung zwischen den Leistungserbringern könne über KIM (Kommunikation im Medizinwesen) in der Telematikinfrastruktur erfolgen. Weitere technische Grundlagen könnten perspektivisch genutzt werden.

5. Reduzierung der Belastung durch Vordrucke/Formulare

Vordrucke/Formulare, die nicht in der Vordruckvereinbarung des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) vorgesehen sind, sollen reduziert werden. Auch sollen „kassenunterschiedliche“ Vordrucke vereinheitlicht werden.

6. Psychotherapie

Das Antragsverfahren für psychotherapeutische Kurzzeittherapien soll vereinfacht werden. Für die insgesamt 24 Therapieeinheiten sollen Patienten zukünftig nur noch einen Antrag stellen müssen. Zudem soll der Konsiliarbericht, der zusätzlich zur ärztlichen Überweisung für eine psychotherapeutische Behandlung vorgeschrieben ist, vereinfacht werden oder entfallen.

IV. Wie geht es weiter?

Der Bundesgesundheitsminister hatte Anfang November angekündigt, dem „Eckpunktepapier“ noch „vor Weihnachten“ einen entsprechenden Gesetzentwurf folgen zu lassen. Ob das tatsächlich der Fall sein wird, könnte nach den bisherigen Erfahrungen mit Minister Lauterbach natürlich eine spannende Frage sein. Unvergessen ist sein Weihnachtsinterview vom 24.12.2022 in der Bild-Zeitung, in dem der Minister ein MVZ Regulierungsgesetz für das „erste Quartal 2023“ ankündigte. Diesen Gesetzentwurf gibt es bis heute nicht, dafür jede Menge Unsicherheit und eine kräftezehrende Diskussion.

V. Ausblick und Fazit

Große Brisanz hat das angestrebte Gesetz zum Bürokratieabbau nicht. Da sich auch die ärztlichen Standesvertreter vage zuversichtlich, jedenfalls nicht ablehnend positionieren, dürfte der Umsetzung dieser Schritte wenig entgegenstehen. Die im Vorfeld von der KBV geäußerten Bedenken dahingehend, dass bei der „Digitalisierung“ jedenfalls mit Augenmaß vorgegangen werden müsse, sind im Auge zu behalten. Ob die BMG Vorschläge in Sachen Bürokratieabbau der große Wurf sind, ist eher zu bezweifeln. Die Bemühungen des BMG bleiben – notgedrungen – im bestehenden System. Und das ist maximal bürokratisch. Die Überlegungen zu „Vordrucken und Formularen“ unterstreichen das augenscheinlich. Es sollen im Wesentlichen nur solche Vordrucke und Formulare verwendet werden, die in der Vordruckvereinbarung des BMV-Ä enthalten sind. Hat diese Vereinbarung noch 27 Seiten, haben die „Erläuterungen zur Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung“ (Stand November 2023) schon 141 Seiten. Kompliziert bleibt es also so oder so.

Vereinfachungen im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung und des Zulassungswesens sind aber begrüßenswert. Im Zusammenhang mit der Änderung der Zulassungsverordnungen könnte dann auch die vorgeschlagenen Änderungen, die das BMG bereits vor einem Jahr in einen Entwurf zur Änderung der Zulassungsverordnung gegossen hatte, endlich umgesetzt werden. Siehe auch: https://www.meyer-koering.de/meldungen/5089/

Es bleibt also spannend – und gewiss auch bürokratisch


Autor: Wolf Constantin Bartha

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