15.08.2025 -
BFH zweifelt an der beihilferechtlichen Zulässigkeit von § 57 Abs. 3 AO für Servicekörperschaften - EuGH-Entscheidung könnte Gemeinnützigkeit erschüttern.
Warum Gemeinnützige Organisationen nun ihre Kooperationsmodelle überprüfen sollten! BFH legt Beihilfe-Fragen zu § 57 Abs. 3 AO dem EuGH vor (credits: adobestock).

Einleitung

Mit Beschluss vom 22.05.2025 (V R 22/23) hat der Bundesfinanzhof (BFH) den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen, um die beihilferechtliche Zulässigkeit der steuerlichen Begünstigung gemeinnütziger Servicekörperschaften nach § 57 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) zu klären. Die Vorschrift, eingeführt durch das Jahressteuergesetz 2020, erlaubt es gemeinnützigen Körperschaften, ihre steuerbegünstigten Zwecke auch durch planmäßiges Zusammenwirken mit anderen gemeinnützigen Organisationen zu verfolgen – mit erheblichen steuerlichen Vorteilen. Der BFH sieht hierin jedoch möglicherweise eine unzulässige staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV. Sollte der EuGH dies bestätigen, könnten für zahlreiche Organisationen im Dritten Sektor gravierende steuerliche Folgen drohen.

1. Sachverhalt

Im zugrundeliegenden Fall wollte eine als gemeinnützig anerkannte GmbH (Servicekörperschaft) entgeltliche Dienstleistungen in der Finanzbuchhaltung und im Rechnungswesen für eine ebenfalls gemeinnützige Stiftung erbringen. Nach bisherigem Recht wären solche Leistungen steuerlich nicht begünstigt gewesen, da die Servicekörperschaft keine eigenen steuerbegünstigten Zwecke unmittelbar verfolgt hätte.

Mit der Einführung des § 57 Abs. 3 AO sollte genau dies ermöglicht werden: Kooperationen sollten flexibler gestaltet und arbeitsteilig organisiert werden können. So können auch ausgelagerte Serviceeinheiten – von Wäschereien bis hin zu Verwaltungsdienstleistern – als steuerbegünstigte Zweckbetriebe anerkannt werden.

Das Finanzamt verweigerte jedoch die Feststellung der Gemeinnützigkeit, weil in der Satzung der Stiftung die Kooperation mit der Servicekörperschaft nicht ausdrücklich genannt war („doppeltes Satzungserfordernis“). Das Finanzgericht Hamburg kassierte diese Verwaltungspraxis – und auch der BFH hält sie für gesetzlich nicht gedeckt. Stattdessen stellte der BFH nun aber die beihilferechtliche Dimension des § 57 Abs. 3 AO in den Vordergrund.

2. Entscheidungsgründe des BFH

Der BFH legt dem EuGH drei zentrale Fragen vor:

  • Beihilfecharakter:
    Durch die steuerliche Privilegierung können Servicekörperschaften Leistungen günstiger anbieten als nicht gemeinnützige Wettbewerber, was den Markt beeinflussen kann. Handelt es sich um eine staatliche Beihilfe, wenn Servicekörperschaften durch § 57 Abs. 3 AO steuerlich begünstigt werden, obwohl sie marktfähige Leistungen im Wettbewerb zu nicht gemeinnützigen Anbietern erbringen?
  • Selektiver Vorteil:
    Steht der Annahme eines solchen Vorteils entgegen, dass Servicekörperschaften strengen gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen (Mittelverwendung, Vermögensbindung) unterliegen?
  • Neu- oder Altbeihilfe:
    Falls eine Beihilfe vorliegt – ist § 57 Abs. 3 AO eine neue, notifizierungspflichtige Beihilfe oder nur eine unschädliche Fortentwicklung einer bereits vor dem 01.01.1958 bestehenden Altbeihilfe?

Der BFH tendiert dazu, sowohl einen selektiven Vorteil als auch die Eigenschaft als (neue) Beihilfe zu bejahen. Die Vorschrift erweitere den Kreis der Begünstigten deutlich, da nun auch reine Servicekörperschaften ohne eigene operative Zweckverwirklichung steuerlich profitieren.

3. Einordnung und Auswirkungen für die Praxis

Die Vorlage hat weitreichende Bedeutung für den Dritten Sektor und seine Berater:

  • Bei Einstufung als nicht notifizierte neue Beihilfe dürfte § 57 Abs. 3 AO nicht mehr angewendet werden – mit potenziell rückwirkenden Folgen.
  • Organisationen, deren Gemeinnützigkeit allein auf § 57 Abs. 3 AO beruht, müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass der Status aberkannt wird – ggf. rückwirkend. Dies kann zu erheblichen Steuerbelastungen führen.
  • Bei Feststellung einer rechtswidrigen Beihilfe besteht unionsrechtlich grundsätzlich die Pflicht zur Rückforderung gewährter Vorteile – ohne Billigkeitsspielraum.
  • Steuervergünstigungen für gemeinnützige Kooperationen könnten unter das Beihilfeverbot des Art. 107 AEUV fallen, selbst wenn die Mittel ausschließlich gemeinnützigen Zwecken zufließen.
  • Kooperationen sollten nicht ausschließlich auf § 57 Abs. 3 AO gestützt werden. Zusätzliche Strukturen – etwa Mittelweitergaben nach § 58 Nr. 1 AO oder eigene operative Zweckverwirklichung – erhöhen die Rechtssicherheit.
  • Eine EuGH-Entscheidung zugunsten einer Beihilfe könnte künftige Reformen des Gemeinnützigkeitsrechts mit Wettbewerbsrelevanz erheblich erschweren.

Fazit

Gemeinnützige Organisationen sind gut beraten, ihre Kooperationsmodelle zu überprüfen und rechtlich abzusichern, um auf mögliche Änderungen vorbereitet zu sein.

Kleines Trostpflaster: Der BFH erteilt der restriktiven Verwaltungspraxis eine klare Absage. Eine ausdrückliche Nennung der Kooperation in beiden Satzungen ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.


Autor: RA & StB Andreas Jahn

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