Zugleich Anmerkung zu BGH-Urteil vom 05. November 2024 – II ZR 85/23

Einleitung
Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob in einer zweigliedrigen GmbH ein Gesellschafter einen Beschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen fassen muss, wenn der andere Gesellschafter aufgrund eines Stimmverbots nicht abstimmen darf. Das Urteil bringt Klarheit für Gesellschafterstreitigkeiten und die Rechtsverfolgung innerhalb einer GmbH.
Sachverhalt
Die Klägerin hält 49 % der Geschäftsanteile an der A GmbH, während die Mehrheitsgesellschafterin B GmbH 51 % der Anteile besitzt. Die Geschäftsführer beider Gesellschaften sind die Beklagten.
Der Streitfall dreht sich um den Vorwurf, dass die A GmbH überhöhte Kaufpreise für Unternehmensanteile und Vermarktungsrechte an die B GmbH gezahlt habe. Die Klägerin wollte in der Gesellschafterversammlung einen Beschluss fassen, um Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführer und die Mehrheitsgesellschafterin geltend zu machen. Die Beklagten verhinderten die Beschlussfassung, indem sie sich auf eine unklare Rechtslage beriefen. Die Klägerin erhob daraufhin eine Klage im eigenen Namen gegen die Geschäftsführer auf Schadensersatz.
Rechtliche Würdigung durch den BGH
Der BGH bestätigte die Unzulässigkeit der Klage und führte folgende wesentliche Gründe an:
1. Keine Prozessführungsbefugnis der Klägerin
Ein Gesellschafter einer GmbH kann Ansprüche der Gesellschaft aus § 43 Abs. 2 GmbHG gegen Geschäftsführer grundsätzlich nicht im eigenen Namen geltend machen (BGH, Urteil vom 25. Januar 2022 – II ZR 50/20). Eine actio pro socio ist gegen Gesellschafter-Geschäftsführer zulässig, nicht jedoch gegen Fremdgeschäftsführer. Da die Beklagten nicht Gesellschafter der GmbH sind, fehlte der Klägerin die Klagebefugnis.
2. Vorrang der internen Gesellschaftsordnung
Die Gesellschafterklage ist gegenüber einem Tätigwerden der zuständigen Gesellschaftsorgane, der Geschäftsführung oder der Gesellschafterversammlung, grundsätzlich subsidiär. Dieser Vorrang entfällt dann, wenn eine Klage
- der Gesellschaft undurchführbar,
- durch den Schädiger selbst vereitelt worden oder
- infolge der Machtverhältnisse in der Gesellschaft so erschwert ist, dass es für den betroffenen Gesellschafter ein unzumutbarer Umweg wäre, müsste er die Gesellschaft erst zu einer Haftungsklage zwingen
Die Klägerin hätte die Gesellschaft grundsätzlich zunächst durch Beschlussfassung zur Klageerhebung zwingen müssen. Da jedoch die Mehrheitsgesellschafterin wegen eines Stimmverbots (§ 47 Abs. 4 GmbHG) nicht mitstimmen durfte, bedurfte es keines förmlichen Beschlusses zur Anspruchsverfolgung. Die Gesellschaft hätte somit selbst die Klage erheben können, wodurch eine Gesellschafterklage überflüssig wurde.
3. Stimmverbot der Mehrheitsgesellschafterin
Der BGH stellte klar, dass Geschäftsführer, die in eigener Sache betroffen sind, nicht für die Mehrheitsgesellschafterin abstimmen dürfen. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf. Somit konnte der verbliebene Gesellschafter allein über die Klageerhebung entscheiden.
4. Möglichkeit der Bestellung eines Prozessvertreters
Da die Mehrheitsgesellschafterin durch das Stimmverbot von der Abstimmung ausgeschlossen war, konnte die Klägerin selbst oder durch einen Vertreter die Klage im Namen der Gesellschaft führen. Die Bestellung eines Prozessvertreters war nicht erforderlich, jedoch möglich, ohne dass es dazu eines Gesellschafterbeschlusses bedurfte.
5. Zulässigkeit der actio pro socio
Der BGH erkennt eine actio pro socio in einer Zwei-Personen-Gesellschaft bei Stimmverbot eines Gesellschafters nur unter besonderen Umständen an, die eine Klage der Gesellschaft erheblich erschweren:
- Wenn die Gesellschaft nicht über die zur Prozessführung erforderlichen finanziellen Mittel verfügt.
- Wenn die Gesellschaft aufgrund von Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde und kein Vertretungsorgan mehr hat.
- Wenn die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren ist.
- Wenn der zur Rechtsverfolgung berufene Geschäftsführer sich der Klageerhebung verweigert.
- Wenn der klagende Gesellschafter einen eigenen Schaden erlitten hat, der über die bloße Wertminderung seines GmbH-Geschäftsanteils hinausgeht (BGH, Urteil vom 05.06.1975 – II ZR 23/74).
Fazit und Bedeutung für die Praxis
Das Urteil des BGH hat Konsequenzen für zweigliedrige GmbHs. Es bestätigt, dass ein Gesellschafter keinen zusätzlichen Beschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG benötigt, wenn der andere Gesellschafter einem Stimmverbot unterliegt. Somit kann die Gesellschaft in einem solchen Fall direkt ihre Ansprüche durchsetzen.
Der verbliebene stimmberechtigte Gesellschafter einer zweigliedrigen GmbH ist in derartigen Fallkonstellationen zur Vertretung der Gesellschaft im Prozess oder Bestellung eines Prozessvertreters berechtigt, ohne dass es dazu noch der Fassung eines dahingehenden förmlichen Beschlusses durch ihn bedarf.
Dieses Urteil bestätigt die Handlungsfähigkeit von Minderheitsgesellschaftern, indem es verhindert, dass Mehrheitsgesellschafter durch missbräuchliche Stimmrechtsausübung die Rechtsverfolgung blockieren. Gleichwohl zeigt es auch die Grenzen der Gesellschafterklage auf, insbesondere wenn alternative Rechtsmittel zur Verfügung stehen.
Für Unternehmen und ihre Berater ist es essenziell, diese Grundsätze zu beachten. Denn eine fehlerhafte Prozesstaktik in Gesellschafterstreitigkeiten kann zu unwiederbringlichen Rechtsverlusten führen.
Autor: StB & RA Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„MEYER-KÖRING ist besonders renommiert für die gesellschaftsrechtliche Beratung.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022)
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