BFH-Urteil vom 21.05.2025 (III R 45/22): Gewinnerzielungsabsicht bei langjährigen gewerblichen Verlusten (Vermietungsverluste)

1. Sachverhalt
Im Mittelpunkt des Urteils steht die Frage, ob bei der geplanten gewerblichen Vermietung einer historischen „Burg A“ nebst Anbauten in den Jahren 2008 bis 2016 eine steuerlich anzuerkennende Gewinnerzielungsabsicht bestand oder ob es sich um einen sogenannten Liebhabereibetrieb handelte.
Die Kläger waren gemeinschaftlich zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erwarb im Jahr 2005 die „Burg A“ samt Nebengebäuden (Kornspeicher, Pferdestall). Das Projekt umfasste die Sanierung der Anlage mit erheblichem Fördermitteleinsatz. Geplant war, den Anbau zu einem Gästehaus für Seminare und Veranstaltungen umzubauen, weitere Räume sollten für landwirtschaftliche und kulturelle Zwecke, für Gastronomie und für Hotellerie genutzt werden.
Die Sanierung verzögerte sich erheblich: Eine Schadstoffbelastung im Dach führte 2012/2013 zu einem Baustopp. Erst 2017 konnten neue Fördermittel eingeworben werden. Parallel wurden der Pferdestall und der Kornspeicher für künftige Nutzung fertiggestellt bzw. ausgebaut.
Während der Streitjahre 2008–2016 entstanden ausschließlich Verluste. Der Kläger legte ein später erstelltes „Bewirtschaftungskonzept“ (2017) vor, das langfristig dennoch einen positiven Gesamtertrag prognostizierte.
Verfahren vor den Vorinstanzen
- Nach einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, es fehle an einer Gewinnerzielungsabsicht. Begründung: keine betriebswirtschaftliche Planung, unzureichende Mittel, überwiegend private Motive. Es erließ geänderte Bescheide (2008–2014) und erkannte die Verluste nicht mehr an.
- Im Einspruchsverfahren argumentierte der Kläger argumentierte mit dem Bewirtschaftungskonzept und einer Ergebnisprognose bis 2038. Das FA wies den Einspruch jedoch zurück (07.12.2018).
- Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (14.12.2021, 3 K 10/19) bestätigte die Auffassung des FA. Das Vorliegen eines Betriebsaufgabe- oder Veräußerungsgewinns könne mangels eines bei Beginn dokumentierten Betriebskonzepts nicht berücksichtigt werden. Das Gericht wertete die Sanierungsmaßnahmen als planlos und ohne realistische Chance auf einen Totalgewinn.
Die Kläger legten Revision beim BFH ein.
2. Entscheidungsgründe des BFH
Der Bundesfinanzhof hob die Entscheidung des FG auf und verwies die Sache zurück.
a. Grundsätze zur Gewinnerzielungsabsicht
Der BFH stellte klar, dass die einkommensteuerliche Anerkennung gewerblicher Verluste an die Absicht zur Erzielung eines Totalgewinns gebunden ist. Maßgeblich sei die gesamte Dauer der Tätigkeit zwischen Betriebsgründung und Betriebsbeendigung.
„Gewinnerzielungsabsicht ist das Bestreben, das Betriebsvermögen zu mehren und auf Dauer […] einen Totalgewinn zu erzielen.“
Zur Totalgewinnprognose gehören nicht nur laufende Gewinne und Verluste, sondern auch etwaige stille Reserven, die bei einer Betriebsaufgabe oder -veräußerung realisiert würden.
Kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Betrieb veräußert wird, so ist der Schätzung des Totalgewinns ein (fiktiver) Aufgabegewinn/-verlust gemäß § 16 Abs. 3 EStG zugrunde zu legen
b. Abgrenzung zur steuerlich unbeachtlichen Liebhaberei
Grundsatz: Fehlt das Bestreben, Gewinn zu erzielen, liegt eine unter keine Einkunftsart fallende, einkommensteuerlich unbeachtliche Liebhaberei vor.
Ausnahme: Hatte der Steuerpflichtige die objektiven Gegebenheiten verkannt und erwartet, die zunächst angefallene Verluste würden im Laufe der weiteren Entwicklung des Betriebs durch Gewinne ausgeglichen, kann unter Umständen dennoch Gewinnerzielungsabsicht angenommen werden. Denn die objektive Prognose eines negativen Totalgewinns erlaubt nicht ohne Weiteres den Schluss, der Steuerpflichtige habe auch subjektiv die Erzielung eines Totalgewinns nicht beabsichtigt.
Das wäre nur anzunehmen, wenn die verlustbringende Tätigkeit typischerweise dazu bestimmt und geeignet ist, der Befriedigung persönlicher Neigungen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkunftssphäre zu dienen (sogenannter Hobbybereich).
Bei einer längeren Verlustperiode spricht vor allem das fehlende Bemühen, die Verlustursachen zu ermitteln und ihnen mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen, schon für sich genommen dafür, dass die langjährigen Verluste aus im persönlichen Bereich liegenden Neigungen und Motiven hingenommen werden.
c. Fehler des FG
Das Finanzgericht hatte stille Reserven nicht berücksichtigt, weil diese nicht bereits bei Betriebsbeginn in einem Konzept erfasst worden seien. Der BFH widersprach:
„Die Berücksichtigung stiller Reserven […] setzt nicht voraus, dass sie in einem bei Betriebsbeginn vorliegenden Betriebskonzept berücksichtigt oder in nachprüfbarer Weise bei Betriebsbeginn festgehalten worden sind.“
Überzeugend führt der BFH dazu weiter aus:
„Die im Rahmen einer erst zukünftigen Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe zu berücksichtigenden stillen Reserven können bei Betriebsbeginn schon denklogisch regelmäßig noch nicht „in nachprüfbarer Weise … festgehalten“ werden. Dem Steuerpflichtigen ist es in der Regel gar nicht möglich, dafür zu sorgen, dass „bei Betriebseröffnung die zukünftige Bildung stiller Reserven quantifiziert und dokumentiert“ wird, wie es das FG für deren Berücksichtigung bei der Ermittlung des Totalgewinns gefordert hat“.
Damit knüpft der BFH an seine Entscheidung VI R 3/22 vom 13.12.2023 an und bestätigt: Auch bei gewerblichen Einkünften sind mögliche Aufgabe- oder Veräußerungsgewinne in die Prognose einzubeziehen.
Der BFH betonte zugleich, dass rein spekulative Wertsteigerungen nicht angesetzt werden dürfen. Realistische stille Reserven hingegen, mit deren Realisierung im Fall einer Betriebsveräußerung zu rechnen ist oder die im Fall einer Betriebsaufgabe zu steuerbaren Einkünften führen, seien zu berücksichtigen.
d. Hinweis des BFH für das weitere Verfahren
- Segmentierung: Bei unterschiedlichen Nutzungsarten innerhalb des gewerblichen Objekts – hier des Anwesens einer Burg – (gewerbliche, land- und forstwirtschaftliche, private Nutzung) ist die Gewinnerzielungsabsicht jeweils getrennt zu prüfen.
- Auch Planungs- oder Nutzungsänderungen sind jeweils zu berücksichtigen, so dass eine unterschiedliche Beurteilung einzelner Jahre in Betracht kommen kann.
3. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil sollten Steuerberater und ihre Mandanten kennen, wenn über Jahre hinweg Verluste erklärt werden – etwa bei Projekten mit langen Bau- oder Sanierungsphasen (z. B. Immobilienentwicklung und denkmalgeschützte Immobilienprojekte), Start-ups oder langfristigen Investitionen.
- Totalgewinnprognose umfassend prüfen: Nicht nur laufende Betriebsergebnisse, sondern auch stille Reserven (z. B. Immobilienwerte) sind einzubeziehen.
- Betriebskonzepte: Selbst wenn kein Konzept zu Beginn vorliegt, ist dies nicht zwingend schädlich. Entscheidend ist die objektive Aussicht auf einen positiven Totalgewinn.
- Dokumentation: Steuerpflichtige sollten Marktanalysen, Planungsunterlagen und Prognosen sorgfältig dokumentieren, um die Gewinnerzielungsabsicht nachzuweisen.
- Segmentierung: Unterschiedliche Betätigungen (Vermietung, Landwirtschaft, private Nutzung) sind steuerlich getrennt zu beurteilen.
- Finanzämter dürfen nicht pauschal Liebhaberei annehmen, nur weil über Jahre Verluste anfallen.
Fazit
Auch langjährige Verluste können steuerlich anerkannt werden, wenn realistische Aussicht auf einen Totalgewinn besteht – insbesondere durch Berücksichtigung stiller Reserven. Steuerpflichtige mit langfristig verlustträchtigen Projekten haben somit bessere Chancen, die Anerkennung ihrer Verluste durchzusetzen. Finanzgerichte müssen genauer prüfen und dürfen die Anerkennung nicht vorschnell mit dem Argument fehlender Planungen verweigern.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2024)
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