19.07.2023

Ein Überblick über die Pflichten, die Haftung und die Haftungsvermeidung eines Vorstandes – was Sie wissen sollten!

Sämtliche Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft (AG) sind besonderen persönlichen Haftungsrisiken ausgesetzt. Brisanz entfaltet das Thema der Vorstandshaftung insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Vorstandsmitglieder grundsätzlich persönlich und der Höhe nach unbegrenzt haften. Hinzu kommt, dass der Aufsichtsrat seinerseits im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung grundsätzlich verpflichtet ist, Haftungsansprüche gegen den Vorstand geltend zu machen, um nicht selbst gegenüber der AG zu haften. Die Tätigkeit im Vorstand einer AG geht daher mit Herausforderungen und Risiken einher, von denen seine Mitglieder häufig erst im Haftungsfall erfahren. Dieser Beitrag versucht daher, über Haftungsrisiken aufzuklären und Vorschläge zu unterbreiten, um eine Haftung präventiv zu vermeiden.

Haftung Vorstand AG: Vorstandsmitglieder haften grundsätzlich persönlich und der Höhe nach unbegrenzt haften.
Vorstandshaftung: Vorstandsmitglieder haften grundsätzlich persönlich und der Höhe nach unbegrenzt (credit: adobestock)

1. Voraussetzungen für die Haftung des Vorstandes

Die Vorstandsmitglieder einer AG haften, soweit sie fahrlässig oder vorsätzlich eine ihnen obliegende Binnenpflicht verletzen und der AG daraus ein Schaden entstanden ist

Welche Pflichten hat ein Vorstand?

Die Pflichten des Vorstandes können grob in Sorgfalts- und Treuepflichten unterteilt werden.

Sorgfaltspflichten treffen das Vorstandsmitglied bei der Ausführung seiner Tätigkeiten. Der Vorstand ist zur ordnungsgemäßen Unternehmensleitung verpflichtet. Dabei ist im Einzelfall zu bestimmen, welche unternehmensspezifischen Sorgfaltspflichten dem Vorstand auferlegt sind. Faktoren wie die Unternehmensart und -größe, die Satzung oder Geschäftsordnung sowie der Anstellungsvertrag können Sorgfaltspflichten begründen und ausgestalten. Im Grundsatz ist der Vorstand aber verpflichtet, sämtliche Gesetzes- und Satzungsvorschriften einzuhalten – sog. Legalitätspflicht.

Darüber hinaus unterliegt der Vorstand der Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft. Das bedeutet, dass der Vorstand nicht gegen die Interessen der AG handeln darf. Entsprechend ist ein Handeln aus eigennützigen Gründen dem Vorstand untersagt, soweit es den Interessen der AG zuwiderläuft.

Welche Anforderungen bestehen an einen Schadensersatzanspruch gegen ein Vorstandsmitglied?

Das Vorstandsmitglied muss eine Binnenpflicht fahrlässig oder vorsätzlich verletzt haben. Daraus muss der AG ein kausal auf der Pflichtverletzung beruhender Schaden entstanden sein (sog. Binnenhaftung).

Eine beispielhafte Aufzählung etwaiger Pflichtverletzungen findet sich in § 93 Abs. 3 AktG. Darüber hinaus ist der häufigste Haftungsfall, dass der Vorstand gegen die Legalitätspflicht verstößt, also die der AG oder unmittelbar dem Vorstand auferlegten Gesetzespflichten missachtet.

Hierbei gilt der Grundsatz der Gesamtverantwortlichkeit des Vorstandes. Danach ist jedes Vorstandsmitglied für die Handlungen des Gesamtvorstandes grundsätzlich verantwortlich. Aufgrund dieses Umstands können unabhängig vom eigenen unmittelbaren Verhalten Haftungsrisiken für das Vorstandsmitglied entstehen, weil etwa Kontroll- und Überwachungspflichten hinsichtlich der anderen Vorstandsmitglieder verletzt wurden.

Im Rahmen der Vorstandshaftung ist insbesondere das unternehmerische Ermessen von großer Bedeutung. Denn soweit das Vorstandsmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, liegt keine Pflichtverletzung vor (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Diese aus dem US-amerikanischen Recht stammende Regel wurde im deutschen Aktienrecht verankert (Business Judgment Rule) und gibt bei unternehmerischen Entscheidungen eine vereinfachte Entlastungsmöglichkeit. Eine Pflichtverletzung liegt also dann nicht vor, wenn eine unternehmerische Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen, ohne Berücksichtigung eigener Interessen oder Interessen gesellschaftsexterner Dritter getroffen wurde. Verstöße gegen die Legalitätspflicht stehen indessen nicht unter den Schutzschirm der Business Judgment Rule und begründen in aller Regel einen Binnenpflichtverstoß des Vorstandes.

Insbesondere die Frage der Beweisbarkeit pflichtenkonformen Vorstandsverhaltens birgt praktische Herausforderungen: Zur Gewährleistung der Möglichkeit, sich zu verteidigen, sind dem Vorstandsmitglied gegenüber der AG Informationsrechte eingeräumt. Die Wahrnehmung dieser Informationsrechte gestaltet sich in der Praxis jedoch oftmals schwierig. Praktisch kann die Widerlegung des Vortrags der AG, das Vorstandsmitglied habe schuldhaft gegen Binnenpflichten verstoßen, mit erheblichen Beweisschwierigkeiten für das Vorstandsmitglied verbunden sein. Denn das Eingreifen des Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) hat das Vorstandsmitglied darzulegen und zu beweisen. Ferner wird das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG) grundsätzlich zulasten des Vorstandsmitgliedes vermutet. Hat der Vorstand schuldhaft eine Pflicht verletzt und ist daraus ein Schaden entstanden, liegen die Voraussetzungen für eine Binnenhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG vor.

Wer kann Ansprüche gegen den Vorstand geltend machen?

Nach Maßgabe des § 111 AktG ist der Aufsichtsrat das Kontroll- und Überwachungsorgan. Zu seinen Pflichten gehört es, Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand grundsätzlich geltend zu machen (Binnenhaftung). Praktisch führt das zu enormen Anreizen für den Aufsichtsrat, Ansprüche gegen den Vorstand durchzusetzen, damit die Aufsichtsratsmitglieder nicht ihrerseits persönlich gegenüber der AG haften.

Auch die Hauptversammlung kann Ansprüche gegen den Vorstand für die AG geltend machen. Für diesen praktisch seltenen Fall ist ein rechtmäßiger Beschluss mit einfacher Mehrheit erforderlich. Außerdem muss die Hauptversammlung den Aufsichtsrat oder einen besonderen Vertreter bestellen, der die Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder geltend macht (§ 147 AktG).

Die einzelnen Aktionäre können unter strengen Voraussetzungen im Rahmen des Klagezulassungsverfahrens nach § 148 AktG ebenfalls gerichtlich Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder geltend machen.

Neben der Haftung gegenüber der AG selbst kommt auch die unmittelbare Haftung gegenüber Aktionären oder Gläubigern in Betracht (Außenhaftung) – etwa aus Delikt (§§ 823 ff. BGB).

2. Haftungsbegrenzung oder Haftungsausschluss?

Vor dem Hintergrund weitreichender Pflichten des Vorstandes einer AG sollten Möglichkeiten für die Reduzierung des Haftungsrisikos genutzt werden. Dadurch kann das Vorstandsmitglied der persönlichen Haftung entgehen und die Risiken einer Inanspruchnahme durch die AG verringern.

Abschluss einer D&O-Versicherung:

Insbesondere ist der Abschluss einer D&O-Versicherung Managern in Aktiengesellschaften ans Herz zu legen. Diese Versicherung sichert dem Versicherten im Schadensfall zu, für die Ersatzansprüche der Gesellschaft oder Dritter grundsätzlich aufzukommen. Dadurch können die finanziellen Folgen einer persönlichen Haftung für das Vorstandsmitglied abgefedert werden.

Zwar wird meist die Versicherung von der AG abgeschlossen. Wurde eine solche Versicherungsübernahme aber nicht vereinbart, empfiehlt sich jedenfalls eine Direktversicherung durch das Vorstandsmitglied. Entsprechendes kann für den gesetzlichen Selbstvorbehalt bei einer durch die AG abgeschlossenen Versicherung (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG) gelten.

Einholung der Zustimmung:

Stimmt die Hauptversammlung einer Geschäftsmaßnahme des Vorstands rechtmäßig zu, scheidet eine Haftung des Vorstands gegenüber der AG grundsätzlich aus (§ 93 Abs. 4 Satz 1 AktG). Das gilt indes nicht für die Zustimmung des Aufsichtsrates (§ 93 Abs. 4 Satz 2 AktG). Dennoch empfiehlt es sich, den Aufsichtsrat einzubeziehen, um mit ihm die Haftungsverantwortung zu teilen.

Überdies ist der Aufsichtsrat verpflichtet, bestimmte Geschäfte zu bestimmen, für die ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates gelten soll. Für diese Geschäfte benötigt der Vorstand dann die Zustimmung des Aufsichtsrates (§ 111 Abs. 4 AktG). Auf diese Weise wird der Aufsichtsrat in wichtige Entscheidungen miteinbezogen.

Einrichtung eines wirksamen Compliance-Management-Systems:

Ein wirksames Compliance-Management-System (CMS) kann die Einhaltung der Pflichten des Vorstands gegenüber der Gesellschaft (= Binnenpflichten) überwachen und Abweichungen feststellen. Dadurch können Risiken identifiziert und Abwendungsmaßnahmen frühzeitig ergriffen werden. Ein solches Compliance-Management-System sollte die Identifizierung von Haftungsrisiken, ein internes Informations- und Kommunikationssystem zur Übermittlung etwaiger Informationen über Risiken, Risikovermeidungsstrategien als auch ein Kontrollsystem umfassen.

Wichtig ist, dass ein solches Compliance-Management-System unternehmensspezifisch und einzelfallabhängig stark variieren kann und sich verallgemeinernde Aussagen kaum treffen lassen. Die Einrichtung eines effizienten Compliance-Management-Systems hat daher stets unter hinreichender Beachtung von Art und Umfang der Tätigkeit des Unternehmens zu erfolgen.

Aufteilung der Aufgaben innerhalb des Vorstands (Ressortbildung):

Eine Ressortbildung kann Haftungsrisiken der Vorstandsmitglieder nicht per ausschließen, wenngleich eine Haftungseinschränkung durch Ressortaufteilungen zwischen den Vorstandsmitgliedern durchaus möglich ist. So bleibt von einer horizontalen Aufgabenverteilung der Grundsatz die Gesamtverantwortung des Vorstands zwar unberührt. Den jeweils nicht ressortführenden Vorstandsmitgliedern obliegt gegenüber dem ressortführenden Vorstandsmitglied aber „nur“ eine Kontroll- und Überwachungspflicht. Kommt das einzelne Vorstandsmitglied dieser Kontroll- und Überwachungspflicht ordnungsgemäß nach, haftet es nicht gegenüber der AG, auch wenn das konkret ressortführende Vorstandsmitglied pflichtvergessen gehandelt hat.

Keine Haftungsbeschränkung durch vertragliche Regelungen:

Auch die vertragliche Regelung von Haftungsrisiken im Vorstandsanstellungsvertrag erscheint auf dem ersten Blick verlockend. Allerdings sind auch hier die Besonderheiten des Aktienrechts zu beachten: Denn eine Haftungserleichterung durch Summenbegrenzung oder Abmilderung des Verschuldensmaßstabes im Anstellungsvertrag ist – anders als im GmbH-Recht – grundsätzlich nicht möglich.

Einholung von Expertenratschlägen:

Lässt sich der Vorstand beraten und holt Einschätzungen von Experten (z.B. Rechtsanwälten) ein, kann dies ihm Einzelfall dazu führen, dass sich der Vorstand entlasten kann. Er handelt dann also nicht binnenpflichtwidrig oder jedenfalls nicht schuldhaft. Das gilt etwa für die Frage, wann eine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages besteht.

Verzicht durch die AG:

Ein Verzicht der AG ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 AktG zulässig. Danach müssen drei Jahre seit der Entstehung des Anspruchs der AG vergangen sein. Ferner muss die Hauptversammlung dem Verzicht durch Beschluss zugestimmt haben und es darf dabei keine Minderheit, deren Anteile mehr als 10 % des Grundkapitals der AG erreichen, dem Verzicht widersprochen haben.

Verjährung:

Die Ansprüche der AG gegen ihre Vorstandsmitglieder verjähren regelmäßig fünf Jahre nachdem Kenntnis über den aus der schuldhaften Pflichtverletzung des Vorstands entstandenen Schadens bestand (§ 93 Abs. 6 AktG). Bei börsennotierten Aktiengesellschaften verjähren die Ansprüche erst nach zehn Jahren.

3. Fazit:

Es lässt sich feststellen, dass sich der Vorstand einer AG aufgrund seines weitreichenden Pflichtenkatalogs erheblichen Haftungsrisiken ausgesetzt sieht. Insoweit ist es dem Vorstand zu empfehlen, etwaigen Risiken präventiv zu begegnen. Aus den oben genannten Möglichkeiten zur Haftungsvermeidung und -begrenzung sind daher folgende für das Vorstandsmitglied besonders zielführend:

  • Abschluss einer D&O-Versicherung, soweit die AG eine solche nicht abgeschlossen hat oder soweit auch der Selbstvorbehalt des Vorstandes versichert werden soll
  • Einholung der Zustimmung der Hauptversammlung und in bestimmten Fällen auch der des Aufsichtsrates zu bestimmten Vorstandsentscheidungen
  • Errichtung eines wirksamen Compliance-Management-Systems
  • Einholung von Expertenrat

Gerne berät Sie der Autor dieses Beitrags zu den Themen der persönlichen Haftung als Vorstandsmitglied und der Haftungsvermeidung.

Autor: Dr. Karl Brock

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