22.01.2007 -

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit der interessanten Fragen zu befassen, ob ein Widerrufsvorbehalt in einer Betriebsvereinbarung der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterliegt (BAG, Urt. v. 01.02.2006 – 5 AZR 187/05 -, NZA 2006, 563). Die wesentlichen Aussagen möchten wir nachfolgend kurz zusammenfassen.

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

In dem Rechtsstreit stritten die Parteien über den Inhalt der Arbeitspflicht und die Höhe der Vergütung. Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Flugunternehmen als Flugbegleiterin angestellt.

Das Flugunternehmen führte im Jahre 1999 eine neue Kabinenstruktur ein. In diesem Zusammenhang wurde der Arbeitnehmerin die Zusatzfunktion „Coach-Kabine“ übertragen. Für die Wahrnehmung der Zusatzfunktion erhielt die Arbeitnehmerin eine Zulage in Höhe von 1.500,00 DM (766,94 €) monatlich. Die Übertragung der Zusatzfunktion wurde in einer Zusatzvereinbarung geregelt, die von dem Arbeitgeber vorformuliert war. Darin hieß es unter anderem:

„Die Frau … übertragene Zusatzfunktion kann von … jederzeit einseitig widerrufen werden, wobei diese Zusatzvereinbarung mit Ablauf des Kalendermonats endet, der auf den Zugang des Widerrufs folgt. Der Widerruf hat schriftlich zu erfolgen.“

Zusätzlich galt im Betrieb des Arbeitgebers eine Betriebsvereinbarung über Auswahlrichtlinien. In dieser Betriebsvereinbarung war für die Ernennung von Funktionsträgern im Flugbetrieb Folgendes vereinbart:

„Die Geschäftsleitung und die PV-Bord weisen nochmals ausdrücklich darauf hin, dass die Bestellung von Funktionsträgern jederzeit widerrufbar ist.“

Im Jahre 2002 änderte das Flugunternehmen die Kabinenstruktur. Im Februar 2003 wurde die Übertragung der Zusatzfunktion Coach-Kabine widerrufen. Gleichzeitig wurde die dafür zugesagte Vergütung zum 31. März 2003 widerrufen. Als Begründung führte der Arbeitgeber an, nach Einführung der neuen Kabinenstruktur falle die Funktion der Coaches zum 31. März 2003 weg.

Die Arbeitnehmerin hat geltend gemacht, der Widerruf der Zusatzfunktion Coach und der damit verbundene Wegfall der Zulage sei unwirksam, weil hierdurch in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingegriffen werde. Infolge des Widerrufs falle die Vorgesetztenfunktion weg und das Arbeitsentgelt werde erheblich verringert. Die vorsorglich hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage, die auf Weiterbeschäftigung als Coach und Zahlung der Coach-Zulage gerichtet war, stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen in der Berufung die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage ebenfalls abgewiesen bzw. die Revision zurückgewiesen.

I. Widerrufsrecht in Betriebsvereinbarung

Das Widerrufsrecht war in der Betriebsvereinbarung geregelt. Es handelte sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts bei dem Text der Betriebsvereinbarung nicht um einen rein deklaratorischen Hinweis. Vielmehr verdeutlichte der Gesamtzusammenhang das Ziel der Betriebspartner, durch die Betriebsvereinbarung die Besetzung von Arbeitsplätzen mit Sonderfunktionen vom Beginn des Auswahlverfahrens bis zur Ernennung der einzelnen Personen zu regeln. Dazu gehört auch eine Bestimmung über die Beendigung der Übertragung.

Hinweis für die Praxis:

In den einzelvertraglichen Zusatzvereinbarungen war ebenfalls ein Widerrufsrecht vorgesehen. Dieses stimmte aber inhaltlich mit der Betriebsvereinbarung überein. Dies wurde von dem Bundesarbeitsgericht so ausgelegt, dass der Arbeitgeber hier ersichtlich nur die Betriebsvereinbarung umsetzen wollte. Für eine eigenständige zusätzliche Regelung fehlten jegliche Anhaltspunkte. Die Widerrufsvorbehalte in den Zusatzvereinbarungen stellten damit nur klar, was aufgrund der Betriebsvereinbarung ohnehin bereits nach § 77 Abs. 4 BetrVG normativ galt.

II. AGB-Kontrolle der Betriebsvereinbarung?

Der in der Betriebsvereinbarung geregelte Widerrufsvorbehalt ist einer AGB-Kontrolle entzogen. Gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB sind Betriebsvereinbarungen ausdrücklich aus der AGB-Kontrolle ausgenommen. Die spezielle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anwendung des § 308 Nr. 4 BGB bei Widerrufsvorbehalten (BAG, Urt. v. 12.01.2005 – 5 AZR 364/04 -, NZA 2005, 565) ist deshalb in dem vorliegenden Fall nicht einschlägig gewesen.

Hinweis für die Praxis:

Betriebsvereinbarungen unterliegen allerdings einer Inhaltskontrolle nach § 75 BetrVG. Man könnte deshalb durchaus die Ansicht vertreten, die für Individualvereinbarungen geltende spezielle Rechtsprechung zu Widerrufsvorbehalten ist auf die Überprüfung von Betriebsvereinbarungen übertragbar, wenn aufgrund einer Betriebsvereinbarung Leistungen widerrufen werden. Hiermit musste sich jedoch das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall nicht befassen. Denn im vorliegenden Fall betrug die Höhe der widerruflichen Coachzulage weniger als 17 %. Nach der Rechtsprechung des BAG ist die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts aber dann zulässig, soweit der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25 bis 30 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird.

Fazit:

Trotz der erheblichen Einschränkungen sowohl der Entgelthöhe als auch bezogen auf den Wegfall der Vorgesetztenfunktion war der ausgeübte Widerruf wirksam. Der Arbeitgeber war also berechtigt, die neue Kabinenstruktur umzusetzen und die Zulage zu widerrufen.

Verfasser:
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen, Bonn

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