19.01.2006 -

Der Arbeitgeber ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet, kranken Arbeitnehmern eine so genannte leidensgerechte Beschäftigung zu ermöglichen. Das Schwerbehindertenrecht verstärkt diese Pflicht zusätzlich in § 81 SGB IX. In einem nun bekannt gewordenen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht die Rechte schwerbehinderter Menschen weiter gefestigt (Urt. v. 10.05.2005 – 9 AZR 230/04 -). Die Kernaussagen des Urteils wollen wir vorstellen.

I. Rechte Schwerbehinderter aus §§ 81 ff. SGB IX

Schwerbehinderte Menschen haben nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Der Arbeitgeber erfüllt diesen Anspruch regelmäßig, wenn er dem Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zuweist.

Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung jedoch nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 81 ff. SGB IX nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann dann vielmehr Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung.

II. Anspruch besteht ohne Vertragsänderung!

Der Arbeitnehmer ist dabei nicht verpflichtet, den Arbeitgeber vorab auf Zustimmung zur Vertragsänderung zu verklagen. Der besondere Beschäftigungsanspruch nach §§ 81 ff. SGB IX entsteht unmittelbar kraft Gesetzes und kann daher ohne vorherige Vertragsänderung geltend gemacht werden. Ist dabei die Zustimmung für die von dem schwerbehinderten Menschen beantragte Beschäftigung der zuständigen Betriebsvertretung erforderlich, so kann der Arbeitgeber nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet sein, deren Zustimmung einzuholen.

III. Aber: Kein absoluter Anspruch auf Beschäftigung

Dem Arbeitnehmer wird allerdings mit der zuvor dargestellten Konzeption kein absoluter Anspruch auf Beschäftigung eingeräumt. Der Anspruch beschränkt sich vielmehr auf solche Tätigkeiten, für die er nach seinen Fähigkeiten und Kenntnissen unter Berücksichtigung seiner Behinderung befähigt ist. Kommt eine solche anderweitige Beschäftigung in Betracht, ist der Arbeitgeber gleichwohl dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar ist. Dies folgt unmittelbar aus § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX.

Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten.

IV. Darlegungs- und Beweislast

Macht der schwerbehinderte Arbeitnehmer den schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX geltend, so hat er nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Dagegen hat der Arbeitgeber die anspruchshindernden Umstände vorzutragen. Dazu gehören insbesondere diejenigen, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers ergeben soll.

Allerdings erfordert die sachliche Auseinandersetzung des Arbeitgebers mit dem Verlangen des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung eine substantiierte Darlegung aus welchen Gründen die vom Arbeitnehmer vorgeschlagenen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Als Einwände kommen in Betracht, dass entsprechende Tätigkeitsbereiche überhaupt nicht vorhanden seien, keine Arbeitsplätze frei seien und auch nicht freigemacht werden könnten, der Arbeitnehmer das Anforderungsprofil nicht erfülle oder die Beschäftigung aus anderen Gründen unzumutbar ist.

Hinweis für die Praxis:

Aus Sicht des Arbeitnehmers ist es damit ausreichend, dass er ggf. mit ärztlichen Bescheinigungen dem Arbeitgeber mitteilt, unter welchen Bedingungen er künftig arbeiten kann. Mehr muss der Arbeitnehmer nicht vortragen. Mit einem solchen Verlangen muss sich dann der Arbeitgeber konkret auseinandersetzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber einen umfassenden Überblick über die betrieblich eingerichteten Arbeitsplätze und die dort zu erfüllenden Anforderungen hat. Einen solchen Einblick hat hingegen ein Arbeitnehmer regelmäßig nicht. Es ist deshalb nicht ausreichend, wenn der Anspruch schlicht zurückgewiesen wird.

Fazit:

Die Rechte schwerbehinderter Menschen sind in den §§ 81 ff. SGB IX in besonderem Maße ausgestaltet und von jedem Arbeitgeber zu beachten. Sie begründen eine gesteigerte Fürsorgepflicht gegenüber dem Schwerbehinderten und weisen dem Arbeitgeber eine aktive Rolle für Eingliederung und gegen Ausgliederung zu. Der Arbeitgeber ist umfassend verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, die auftretende Schwierigkeiten beseitigen. Bei der Suche nach solchen Lösungen sind die Schwerbehindertenvertretung, das zuständige Integrationsamt und auch die Betriebsvertreter zu beteiligen.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitrecht Dr. Nicolai Besgen, Bonn

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