06.11.2004 -

 

Die Kosten für ein Arbeitsverhältnis kalkuliert ein Unternehmer in erster Linie anhand der abgeschlossenen Arbeitsverträge. Dennoch werden in nicht wenigen Fällen Zusatzleistungen gewährt, die arbeitsvertraglich (zunächst) nicht vereinbart waren. Solche Zusatzleistungen sollen Anreize für künftiges weiteres Engagement bieten. Allerdings können durch diese Leistungen auch endgültige Ansprüche der Arbeitnehmer entstehen, wenn es zu einer so genannten betrieblichen Übung kommt. Ist dies der Fall, können die Ansprüche nicht mehr einseitig entzogen werden. Worauf bei dem Entstehen bzw. der Verhinderung einer betrieblichen Übung zu achten ist, wollen wir nachfolgend darstellen.

 

I. Voraussetzungen einer betrieblichen Übung

 

Unter einer betrieblichen Übung ist bekanntlich die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung und eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Rechtlich wird dieses Verhalten des Arbeitgebers als Vertragsangebot angesehen, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen werden kann (vgl. § 151 BGB). Damit erwachsen aus diesem gleichförmigen Verhalten des Arbeitgebers vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordenen Leistungen.

 

Nach der Rechtsprechung des BAG ist eine solche betriebliche Übung grundsätzlich für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden kann. Dabei ist entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers, sondern vielmehr, wie der Erklärungsempfänger (der Arbeitnehmer) die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen musste und durfte.

 

Gewährt bspw. ein Arbeitgeber ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung jedes Jahr ein Weihnachtsgeld in Höhe von 80 % des Bruttomonatslohns und wird diese Zusatzleistung mindestens drei Jahre lang vorbehaltlos ausgezahlt, ist auch für die Zukunft ein entsprechender vertraglicher Anspruch des Arbeitnehmers entstanden. Selbst wenn also der Arbeitgeber sich im vierten Jahr entschließen sollte, die Zahlung nicht mehr zu gewähren, hätte der Arbeitnehmer dennoch einen einklagbaren Anspruch erworben.

 

Praxishinweis:

 

Die betriebliche Übung entsteht anhand objektiver Kriterien. Auf den subjektiven Willen des Arbeitgebers, eine bestimmte Leistung nur für einen bestimmten Zeitraum zu gewähren, kommt es letztlich nicht an, wenn dies nicht auch nach außen deutlich erkennbar wird.

 

II. Verhinderung einer betrieblichen Übung

 

Wie bereits ausgeführt, entsteht eine betriebliche Übung nur dann, wenn bestimmte Leistungen vorbehaltlos wiederholt gewährt werden. Es ist daher ausreichend, wenn ein Freiwilligkeitsvorbehalt im Zusammenhang mit der Leistung formuliert wird. Für eine solche Klausel könnte folgendes Formulierungsbeispiel benutzt werden:

 

„ … Diese Leistungen erfolgen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Auch aus wiederholter Zahlung kann kein Anspruch für die Zukunft hergeleitet werden. Die Geschäftsleitung behält sich vielmehr vor, jedes Jahr neu über die Gewährung der Sonderzahlung zu entscheiden“

 

Mit dieser Formulierung kann der Arbeitnehmer für die Zukunft kein Vertrauen entwickeln. Vielmehr muss er damit rechnen, dass jedes Jahr über die Gewährung der Leistung neu entschieden wird.

 

Praxishinweis:

 

Wir können die vorstehende Klausel, die freilich auch anders formuliert werden kann, im Zusammenhang mit der Gewährung freiwilliger Leistungen nur dringend empfehlen. Dabei sollte auf den Nachweis, dass der Arbeitnehmer diese Klausel auch zur Kenntnis genommen hat, größter Wert gelegt werden. Neben einem allgemeinen Anschreiben, das der Arbeitnehmer gegengezeichnet zurücksendet, kann auch ein entsprechender Zusatz auf der Gehaltsbescheinigung abgedruckt werden.

 

III. Schriftformklausel beachten!

 

In vielen Arbeitsverträgen werden im Rahmen der „Schlussbestimmungen“ Schriftformklauseln vereinbart. Dabei wird zwischen einer einfachen und einer doppelten Schriftformklausel unterschieden. Die einfache Schriftformklausel hat üblicherweise den Wortlaut, dass Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen. Eine so vereinbarte Schriftform kann allerdings nach der Rechtsprechung auch ohne Einhaltung der Schriftform, also insbesondere mündlich (!), abbedungen werden. Treffen also die Arbeitsvertragsparteien mündlich eine andere Regelung, als sie bislang arbeitsvertraglich geregelt war, wird damit diese abweichende Regelung Vertragsgegenstand. Auf die vereinbarte Schriftform kommt es damit nicht mehr an.

 

Sonderfall: Doppelte Schriftformklausel

 

Anders verhält es sich hingegen bei einer doppelten Schriftformklausel. Bei solchen doppelten Schriftformklauseln ist üblicherweise folgender Zusatz im Arbeitsvertrag enthalten: „Mündliche Vereinbarungen über die Aufhebung der Schriftform sind nichtig“ oder aber „eine Aufhebung der Schriftformklausel kann nur schriftlich erfolgen“. Werden also auch Änderungen der Schriftformklausel ihrerseits (gleich doppelt) einer besonderen Form unterstellt, in dem sie die mündliche Aufhebung der Schriftformklausel ausdrücklich ausschließt, kann so eine formulierte doppelte Schriftformklausel dann nicht durch eine die Schriftform nicht wahrende Vereinbarung aufgehoben werden.

 

Damit kann eine doppelte Schriftformklausel die dauerhafte Übernahme einer Verpflichtung durch eine betriebliche Übung ausschließen. Dieses Ergebnis wird zudem durch § 125 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützt, wonach der Verstoß gegen eine vertraglich vereinbarte Formvorschrift im Zweifel die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge haben soll. Das Bundesarbeitsgericht hat dies erst jüngst ausdrücklich bestätigt.

 

Praxishinweis:

 

Die doppelte Schriftformklausel ist damit ein geeignetes Mittel, das Entstehen einer betrieblichen Übung zu verhindern. Dies gilt aber nur dann, wenn ausdrücklich auch Änderungen der Schriftformklausel ihrerseits einer besonderen Form unterstellt werden.

 

IV. Befristete Zusage einer Sonderleistung

 

Eine dauerhafte Entstehung eines Anspruchs aufgrund einer betrieblichen Übung kann für die Zukunft auch dadurch vermieden werden, dass die Sonder- und/oder Nebenleistung nur befristet zugesagt wird. Wird bspw. eine Leistung ausdrücklich nur für das Jahr 2005 gewährt, kann auch hier ein Vertrauen des Arbeitnehmers für das Jahr 2006 nicht entstehen.

 

V. Beseitigung einer entstandenen betrieblichen Übung

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts reicht es nicht aus, eine betriebliche Übung dadurch zu beseitigen, dass eine Leistung einmal ausgesetzt wird. Hieraus lässt sich die Aufgabe der betrieblichen Übung nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gerade nicht herleiten. Allerdings lässt das BAG eine Abänderung einer entstandenen betrieblichen Übung aufgrund einer geänderten betrieblichen Übung zu. Für diese ändernde betriebliche Übung müssten dann aber dieselben Voraussetzungen eingehalten werden, die auch für das Entstehen einer betrieblichen Übung gelten.

 

Mit anderen Worten: Eine bereits entstandene betriebliche Übung kann nur dann mit einer ändernden Übung beseitigt werden, wenn die Arbeitnehmer der neuen Handhabung über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widersprechen. Allerdings fordert das Bundesarbeitsgericht zusätzlich, dass der Arbeitgeber klar und unmissverständlich erklärt, die bisherige betriebliche Übung solle beendet werden.

 

Praxishinweis:

 

Diese Rechtsprechung ist aus unserer Sicht eher theoretischer Natur. Haben die Mitarbeiter insgesamt einen Anspruch erworben, werden sie freiwillig hierauf in der Regel nicht verzichten. Aus Sicht der Arbeitnehmer ist es vielmehr ausreichend, wenn der beabsichtigten geänderten betrieblichen Übung widersprochen wird. Kommt es zu einem solchen Widerspruch, entfaltet die beabsichtigte neue Handhabung keine Wirkung.

 

Nachweise:

 

Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 24. 6. 2003 – 9 AZR 302/02 -, NZA 2003, 1145 = B+P 2003, Heft 12.

 

Leitsatz:

Eine doppelte Schriftformklausel, nach der Ergänzungen des Arbeitsvertrages der Schriftform bedürfen und eine mündliche Änderung der Schriftformklausel nichtig ist, schließt den Anspruch auf eine üblich gewordene Leistung aus.

 

 

Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 14. 8. 1996 – 10 AZR 69/96 -, NZA 1996, 1323.

 

Leitsatz:

Teilt der Arbeitgeber den Arbeitnehmern durch Aushang mit, er könne aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Betriebs in diesem Jahr kein Weihnachtsgeld zahlen, so liegt darin kein Angebot an die Arbeitnehmer, die bestehende betriebliche Übung zu ändern. In der – zunächst – widerspruchslosen Weiterarbeit der Arbeitnehmer kann daher auch keine Annahme eines Änderungsangebotes gesehen werden.

 

 

Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 26. 3. 1997 – 10 AZR 612/96 -, NZA 1997, 1007; BAG, 4. 5. 1999, – 10 AZR 290/98 -, EzA 1999, 1162.

 

Leitsätze:

1. Gibt der Arbeitgeber über einen Zeitraum von drei Jahren zu erkennen, dass er eine betriebliche Übung anders zu handhaben gedenkt als bisher – hier Gratifikationszahlung nur noch unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt -, so wird die alte betriebliche Übung einvernehmlich entsprechend geändert, wenn die Arbeitnehmer der neuen Handhabung über diesen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widersprechen.

2. Die Annahme einer geänderten betrieblichen Übung in Bezug auf die Zahlung eines Weihnachtsgeldes nur noch unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung erfordert jedoch, dass der Arbeitgeber klar und unmissverständlich erklärt, die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Zahlung solle beendet und durch eine Leistung ersetzt werden, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr bestehe.

  

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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