14.04.2002 -

Bekanntlich ist zum 1. Januar 2002 die Schuldrechtsreform mit weitreichenden Folgen für viele Rechtsgebiete in Kraft getreten. Für das Arbeitsrecht ist insbesondere die nunmehr grundsätzlich anzuwendende Kontrolle so genannter allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) problematisch, die nach dem nun außer Kraft getretenen § 23 Abs. 1 AGB-Gesetz bislang „bei Verträgen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts“ nicht erfolgte.

 

Diese Bereichsausnahme wurde auf Intervention des Bundesrats und damit buchstäblich in letzter Sekunde gestrichen. Die Bundesregierung erstreckte die AGB-Kontrolle in ihrem Gesetzentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung – abweichend von der ursprünglichen Konzeption – zusätzlich auf standardisierte Arbeitsverträge. Nunmehr sind die in den §§ 305310 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) übernommenen Regeln zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auch im Arbeitsrecht anwendbar und in der Praxis zu beachten.

 

In der arbeitsrechtlichen Fachliteratur wird nunmehr diese AGB-Kontrolle aber äußerst kontrovers diskutiert. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert wegen des erst am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetzes noch nicht. Da jedoch die neuen Vorschriften und deren Handhabung schon jetzt weitreichende Auswirkungen auf bestehende und neu abzuschließende Arbeitsverträge haben, wollen wir den aktuellen Stand der Diskussion kurz zusammenfassen.

 

1. Einbeziehung von AGB in den Arbeitsvertrag

 

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender = Arbeitgeber) der anderen Vertragspartei (Arbeitnehmer) bei Abschluss eines Arbeitsvertrages stellt. Auch ein Arbeitsvertrag, der üblicherweise von einem Arbeitgeber als vorformuliertes Vertragsmuster verwandt wird, erfüllt diese Voraussetzungen und damit den Begriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen.

 

§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB stellt dabei ausdrücklich klar, dass die AGB-Kontrolle der §§ 305 ff. BGB auch auf das Arbeitsrecht Anwendung findet, allerdings mit dem wichtigen Zusatz, dass „bei der Anwendung auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen sind.“ Was freilich mit diesem Zusatz gemeint ist, beantwortet das Gesetz (leider) nicht.

Die Bestimmung des § 305 Abs. 2 BGB, wonach allgemeine Geschäftsbedingungen grundsätzlich nur dann Vertragsbestandteil werden, wenn der Verwender (= Arbeitgeber) auf sie hinweist und ihre Kenntnisnahme ermöglicht, ist auf Arbeitsverträge nicht anzuwenden (vgl. § 310 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz BGB). Offensichtlich hielt hier der Gesetzgeber das Nachweisgesetz, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer die wesentlichen Vertragsbestimmungen auszuhändigen, für ausreichend.

 

Schließlich stellt § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB klar, dass die §§ 305 ff. BGB keine Anwendung auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen finden. Die zwischen den Betriebs- und Sozialpartnern ausgehandelten Vereinbarungen bleiben damit von der AGB-Kontrolle ausgenommen.

 

2. Überraschende und mehrdeutige Klauseln

Anwendbar sind ferner die Vorschriften, wonach überraschende Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden und bei Mehrdeutigkeit derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben ist, die zu Lasten des Verwenders (= Arbeitgeber) geht, § 305 c BGB.

 

3. Auswirkungen der neuen AGB-Kontrolle auf den Arbeitsvertrag

 

a) Inhaltskontrolle

Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, § 307 Abs. 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung kann dabei auch dann vorliegen, wenn die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

Eine Unwirksamkeitsvermutung ist daneben im Zweifel dann gegeben, wenn eine Bestimmung von Rechtsvorschriften abweicht oder diese ergänzt bzw. wesentliche vertragliche Rechte und Pflichten so sehr einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, § 307 Abs. 2 BGB. Dabei unterliegt die AGB jedoch gem. § 307 Abs. 3 BGB nur insoweit einer Inhaltskontrolle als durch diese von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.

 

Neu: Gleichstellung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen

Neu ist auch, dass sich die Inhaltskontrolle nicht nur auf einen Vergleich der AGB mit Rechtsvorschriften – also Gesetzen – erstreckt, sondern vielmehr für das Arbeitsrecht nunmehr Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen Rechtsvorschriften gleichzustellen sind, § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB.

 

Für tarifgebundene Arbeitnehmer wird dies ohne Relevanz sein, sind die tarifvertraglichen Regelungen nach § 4 Abs. 1 TVG ohnehin zwingend auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Abweichungen können deshalb nach § 4 Abs. 3 TVG nur zu Gunsten der Arbeitnehmer vereinbart werden. Entsprechendes gilt im Betriebsverfassungsrecht.

 

Für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer hat die Gleichstellung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen mit Rechtsvorschriften jedoch weitreichende Auswirkungen, die abschließend noch nicht geklärt sind. Hier kann es künftig u.a. zu einer arbeitsgerichtlichen Kontrolle der untertariflichen Vereinbarungen kommen, wenn der Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt ist. Es bleibt abzuwarten, wie die Gleichstellung künftig ausgelegt werden wird.

 

b) Einzelne Klauselverbote:

Nachfolgend wollen wir anhand der dargestellten neuen AGB-Kontrolle üblicherweise im Arbeitsrecht verwandte Vertragsklauseln auf ihre Wirksamkeit überprüfen:

 

– Zulage und freiwillige Leistungen

In vielen Arbeitsverträge finden sich Regelungen über die freie Widerrufbarkeit von Sonderzuwendungen, Zulagen oder sonstigen freiwilligen betrieblichen Leistungen. Solche Klauseln könnten gegen § 308 Nr. 4 BGB verstoßen, wonach die Vereinbarung, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, nur dann zulässig ist, wenn sie für den anderen Vertragsteil, also für den Arbeitnehmer zumutbar ist.

 

Der Wortlaut spricht von einer versprochenen Leistung. Frei widerrufbare Sonderzuwendungen sind nun aber gerade keine „versprochenen“ Leistungen, sondern „freiwillige“. Zudem ist aus unserer Sicht zu berücksichtigen, dass von dem Arbeitgeber nicht verlangt werden kann, für den gesamten Verlauf des Arbeitsverhältnisses zusätzliche Leistungen zu garantieren oder Widerrufsgründe bereits bei Vertragsschluss abschließend festzulegen, da sich nicht vorhersehbare Widerrufsgründe ja gerade erst nachträglich ergeben können.

 

Auch wenn deshalb in der arbeitsrechtlichen Literatur die Anwendbarkeit des § 308 Nr. 4 BGB auch auf freiwillige Leistung teilweise bejaht wird und für einen Widerruf sachliche Gründe gefordert werden, meinen wir, dass man hier auch die Besonderheiten des Arbeitsrechts, die über § 310 Abs. 4 BGB bei der AGB-Kontrolle zu beachten sind, berücksichtigen muss. Dem Arbeitgeber muss es auch künftig möglich sein, Sonderzuwendungen widerruflich gewähren zu können.

 

– Vertragsstrafeversprechen

In vielen Arbeitsverträgen finden sich Regelungen, die eine Vertragsstrafe beispielsweise für den Fall vorsehen, dass sich der andere Vertragsteil vom Vertrag unzulässig löst oder aber durch sein Verhalten eine fristlose Kündigung provoziert hat. Auch für die sonstige Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten (z.B. unzulässige Nebentätigkeit oder Verletzung von Geheimhaltungspflichten) werden Vertrags­strafen vereinbart.

 

Solche Vertragsstrafen sind nach § 309 Nr. 6 BGB unzulässig. Hier wird man wohl auch nicht mehr die Besonderheiten des Arbeitsrechts, die ja angemessen zu berücksichtigen sind (§ 310 Abs. 4 BGB), heilend heranziehen können. Vertragsstrafeversprechen werden deshalb künftig nicht mehr wirksam vereinbart werden können. Jedenfalls besteht bis zu einer abschließende höchstrichterlichen Klärung ein erhebliches Risiko, dessen man sich bewusst sein muss. Allerdings wird teilweise darauf hingewiesen, dass unter Umständen unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Besonderheiten jedenfalls bei hochbesoldeten und/oder besonders qualifizierten Arbeitnehmern entsprechende Klauseln zulässig vereinbart werden können. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.

 

– Strengere Formerfordernisse

Bestimmungen, durch die Anzeigen oder Erklärungen an eine strengere Form als die gesetzliche Schriftform oder an besondere Zugangserfordernisse gebunden werden, sind nach § 309 Nr. 13 BGB unwirksam. Unzulässig sind damit insbesondere die in der Praxis immer noch häufig verwandten Vereinbarungen, wonach der Arbeitnehmer nur per Einschreiben kündigen darf, wobei ergänzend darauf hinzuweisen ist, dass derartige Vertragsklauseln nach der Rechtsprechung des BAG ohnehin nicht bindend (Konstitutiv) waren. Das Verbot erfasst auch geschäftsähnliche Handlungen wie Mahnungen oder Fristsetzungen.

 

– Vereinbarung von Ausschlussfristen

Im Arbeitsrecht wird die nunmehr 3-jährige Verjährungsfrist1) (bis zum 31. Dezember 2001: zwei Jahre) vielfach durch Ausschlussfristen um mehrere Monate, ja sogar Jahre verkürzt. Soweit sich solche Ausschlussfristen in Tarifverträgen finden, bleiben diese wirksam und unterliegen – wie bereits ausgeführt – nicht der AGB-Kontrolle (vgl. auch § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB).

 

Entsprechende Ausschlussfristen werden aber oftmals auch in Arbeitsverträgen für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer vereinbart. Hier stellt sich nun die Frage, ob dies künftig eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners darstellt, die zur Unwirksamkeit der AGB-Bestimmung führt. Dies hat durchaus praktische Bedeutung, denn das BAG hat noch vor kurzem sogar die einzelvertragliche Vereinbarung einer einmonatigen (!) Ausschlussfrist für zulässig erachtet3).

 

In der amtlichen Begründung zum Schuldrechtsreformgesetz wurde gerade diese Entscheidung des BAG als ein Fall genannt, in dem sich das Bundesarbeitsgericht von den AGB-rechtlichen Grundsätzen (zu weit) entfernt habe. Dieser amtliche Hinweis spricht daher für eine Unwirksamkeit entsprechender Vereinbarungen, jedenfalls dort, wo kein Tarifvertrag einschlägig ist.

 

– Pauschalierter Schadensersatz

Nach § 309 Nr. 5 BGB ist die Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes dann unzulässig, wenn die Pauschale den gewöhnlich zu erwartenden Schaden erheblich übersteigt und der anderen Vertragspartei (dem Arbeitnehmer) nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, eine Schaden- oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale.

 

Üblicherweise wird ein pauschalierter Schadensersatz für Lohnpfändungen vereinbart. In der Praxis bewegen sich dabei die Beträge regelmäßig zwischen 10,00 € bis 50,00 €. Diese pauschale Festsetzung ist nunmehr unzulässig. Die Unzulässigkeit könnte allerdings mit folgender Klausel vermieden werden:

 

„Der Mitarbeiter darf seine Vergütungsansprüche ohne Zustimmung des Unternehmens weder verpfänden und abtreten. Er hat die durch Pfändung, Verpfändung oder Abtretung erwachsenden Kosten zu tragen. Die zu ersetzenden Kosten sind pauschaliert und betragen je Pfändung, Verpfändung und Abtretung € 20, es sei denn, der Mitarbeiter weist nach, dass der Schaden tatsächlich erheblich niedriger ist oder dass ein Schaden nicht entstanden ist. Das Unternehmen ist berechtigt, bei Nachweis höherer tatsächlicher Kosten diese in Ansatz zu bringen.“

 

4. Rechtsfolgen bei Verstoß

Sind einzelne arbeitsvertragliche Bestimmungen wegen Verstoßes gegen einer der vorgenannten Grundsätze unwirksam, richtet sich der Vertrag nach § 306 Abs. 2 BGB dann nach den gesetzlichen Vorschriften. Der bislang im Arbeitsrecht geltende Grundsatz der so genannten geltungserhaltenden Reduktion, also die Ersetzung der unwirksamen Klausel durch eine gerade noch zulässige Klausel, ist damit nicht mehr gültig. Der Arbeitgeber trägt also künftig das volle Risiko der Wirksamkeit und kann sich nicht mehr darauf berufen, die Klausel gelte jedenfalls in dem zulässigen Umfang weiter.

 

Stellt die Anwendung der gesetzlichen Vorschrift für eine Vertragspartei eine unzumutbare Härte dar, ist der Vertrag nach § 306 Abs. 3 BGB sogar insgesamt unwirksam. Dies gilt ausdrücklich auch für das Arbeitsrecht, wobei eine entsprechende Unwirksamkeit regelmäßig nicht vorliegen wird.

 

5. Übergangsbestimmungen

Der AGB-Kontrolle unterliegen Arbeitsverträge, die nach dem 31. Dezember 2002, also unter Geltung des neuen Schuldrechtsreformgesetzes, abgeschlossen werden. Für Arbeitsverträge, die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehen, greift nach einer Übergangsregelung (Art. 229, § 5 Satz 2 EGBGB) das neue Recht erst ab dem 1. Januar 2003, dann aber ohne Einschränkung. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht der der Arbeitsaufnahme.

 

Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Nicolai Besgen

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