10.04.2002 -

Zahlreiche Abmahnungen wegen gleichartiger Pflichtverletzungen, denen keine weiteren Konsequenzen folgen, können die Warnfunktion der Abmahnungen abschwächen. Der Arbeitgeber muss dann die letzte Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung besonders eindringlich gestalten, um dem Arbeitnehmer klar zu machen, dass weitere derartige Pflichtverletzungen nunmehr zum Ausspruch einer Kündigung führen werden. (Leitsatz BAG 2 AZR 609/00, Der Betrieb 2002, S. 689 f.)

 

Der Fall

 

Der Kläger war seit 22 Jahren bei der Beklagten als Kraftfahrer und Lagerarbeiter beschäftigt. Seit 1983 trat er seine Arbeit (Beginn um 5:00 Uhr) mehrfach verspätet an. Die Beklagte mahnte ihn hierfür über einen Zeitraum von 15 Jahren insgesamt 7 Mal ab.

 

In der letzten Abmahnung vom 1. Februar 1999 erklärte sie, die Verspätungen „entschieden zu missbilligen“ und nicht zum „Dauerzustand“ werden lassen zu wollen. Eine Wiederholung werde „ernsthafte Konsequenzen – nämlich die Kündigung“ – nach sich ziehen. Sie wies darauf hin, dass dies die „letztmalige Abmahnung“ sei.

 

Einen Tag nach Zugang dieser Abmahnung, am 11. Februar 1999, sowie am 29. März 1999 trat der Kläger seinen Dienst erneut verspätet an. Die Beklagte kündigte daraufhin fristgerecht zum 31. März 2000.

 

 

Die Entscheidung

 

Die Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG und dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt und damit wirksam sein, wenn der Arbeitnehmer häufig seinen Dienst schuldhaft verspätet antritt und hierfür zuvor bereits abgemahnt wurde.

 

Da eine Kündigung nach dem Grundsatz der ultima ratio immer nur das letzte Mittel sein kann und darf, müssen zuvor alle milderen Mittel ausgeschöpft worden sein. Hierzu gehört auch die Abmahnung, die einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich vorauszugehen hat.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung hervorgehoben, dass nur eine Abmahnung, die der Arbeitnehmer ernst nehmen muss, ein taugliches milderes Mittel darstellt. Denn eine Abmahnung soll dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten aufzeigen (Beanstandungsfunktion) und ihm die Konsequenzen, zumeist die Kündigung für den Wiederholungsfall, vor Augen zu führen (Warnfunktion). Die Rechtsprechung nimmt an, dass mehrere Abmahnungen für gleichartiges Fehlverhalten in ihrer Wirkung immer schwächer werden. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber stets mit der Kündigung droht, ohne sie auszusprechen. Deshalb liegt keine ernsthafte Abmahnung vor, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr ernsthaft mit Konsequenzen seines Handelns rechnen muss. Seinen ernsthaften Willen, das Arbeitsverhältnis im Wiederholungsfall zu beenden, kann der Arbeitgeber durch eine besonders eindringliche Formulierung zum Ausdruck bringen.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat in dem entschiedenen Fall nochmals hervorgehoben, dass eine Abmahnung nur wirksam ist, wenn der Arbeitgeber zuvor die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen hat. Auf Seiten des Arbeitnehmers sind danach Art, Schwere und Häufigkeit des Fehlverhaltens, früheres Verhalten, Mitverschulden des Arbeitgebers, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Arbeitsmarktsituation sowie auf Seiten des Arbeitgebers Betriebsablaufstörungen, Arbeits- und Betriebsdisziplin, Vermögensschaden, Wiederholungsgefahr, Ansehensschaden und Schutz der Belegschaft zu berücksichtigen (vgl. LAG Hamm, 30. Mai 1996,4 Sa 2342/95).

 

Die Rechtsprechung nimmt aus diesem Grund an, dass einem Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit nicht aufgrund der ersten Abmahnung wirksam gekündigt werden kann, wenn nicht besondere Umstände vorliegen. So hat beispielsweise das LAG Frankfurt eine Abmahnung trotz Spesenbetruges für unwirksam erklärt, weil der 56-jährige Arbeitnehmer nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit und bei 2 Unterhaltspflichten den Betrug zugegeben und wiedergutgemacht hatte.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung deshalb auf das Dilemma des Arbeitgebers hingewiesen:

 

Auf der einen Seite besteht für ihn das Risiko, dass seine Kündigung unwirksam ist, weil er dem Arbeitnehmer mit hohem sozialen Besitzstand nur eine bzw. nur wenige Abmahnungen ausgesprochen hat.

 

Auf der anderen Seite schwächt er zunächst mit jeder weiteren Abmahnung deren Wirkung ein und kann schließlich eine Kündigung nicht mehr hierauf stützen.

 

Der Arbeitgeber läuft damit Gefahr, sich dem Einwand zu häufiger oder zu seltener Abmahnungen auszusetzen. Dieser Widerspruch ist dadurch zu lösen, dass der Arbeitgeber nach einigen, in ihrer Wirkung abgeschwächten Abmahnungen die letzte Abmahnung besonders eindringlich formuliert.

 

Unter Berücksichtigung all dessen war die Kündigung hier wirksam, weil ein milderes Mittel nicht in Betracht kam. Dem Kläger musste durch die Formulierung „letztmalige Abmahnung“ bzw. „müssen Sie mit einer Kündigung rechnen“ bewusst sein, dass der Arbeitgeber jedes gleichartige Fehlverhalten zum Anlass der Kündigung nehmen würde. Auch konnte er sich nicht darauf berufen, sein Fehlverhalten sei nicht gravierend. Denn Verspätungen führen i.d.R. zu Störungen im Betriebsablauf. Dies ist nach der Rechtsprechung des BAG auch deshalb anzunehmen, weil der Arbeitnehmer in der Zeit seiner Verspätung ansonsten überflüssig und sein Einsatz für den Arbeitgeber nicht von Nutzen wäre. Der Arbeitgeber musste daher nicht einmal konkrete Störungen vortragen; das Bundesarbeitsgericht hat die Störungen allein aufgrund der Tätigkeit des Klägers als Auslieferungsfahrer angenommen.

 

Letztlich hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der Kläger negatives Vorbild sei und die Beklagte damit rechnen müsse, dass auch andere Arbeitnehmer die Arbeitszeiten nicht mehr erst nehmen würden, wenn der Kläger sich weiter verspäte, ohne dass dies Konsequenzen nach sich ziehe.

 

Hinweis für die Praxis:

Einem Mitarbeiter mit langjähriger Betriebszugehörigkeit ist auch für gleichartiges Fehlverhalten regelmäßig mehr als eine Abmahnung auszusprechen. Je nach Schwere des Verstoßes können auch mehrere Abmahnungen erforderlich sein.

 

Die letzte Abmahnung ist besonders eindringlich zu formulieren. Sie sollte daher mit „Letztmalige Abmahnung“ überschrieben werden und folgende Formulierung enthalten:

 

„Wir haben Sie wegen dieses Fehlverhaltens bereits …-fach abgemahnt. Trotzdem halten Sie ihre vertraglichen Pflichten immer noch nicht ein. Da wir dies nicht zum Dauerzustand werden lassen wollen, werden wir jeden weiteren gleichartigen Verstoß zum Anlass nehmen, Ihnen zu kündigen.

 

Dies ist unsere letzte Abmahnung; wir hoffen in der Zukunft auf Ihr pflichtgemäßes Verhalten.“

 

 

 

Verfasser: Sebastian Witt

 

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