21.04.2023 -

BAG Urteil vom 08.12.2022 – 6 AZR 459/21

Eingruppierungen nach dem TVöD sind rechtlich komplex. Zu beachten sind insbesondere auch die Auswirkungen auf die jeweilige Stufe innerhalb der jeweiligen Entgeltgruppe, namentlich auf die Stufenlaufzeit

Eingruppierungen nach dem TVöD sind rechtlich komplex. Zu beachten sind insbesondere auch die Auswirkungen auf die jeweilige Stufe innerhalb der jeweiligen Entgeltgruppe, namentlich auf die Stufenlaufzeit. Ein aktuelles Urteil des BAG (08.12.2022 – 6 AZR 459/21) zeigt auf, dass sich bei einer vergleichsweisen Beendigung des Eingruppierungsrechtsstreits schwierige Folgeprobleme stellen können und behandelt zugleich allgemeine tarifrechtliche Fragestellungen.

Der Fall:

Die Klägerin war bei der beklagten Stadt seit dem 01.01.2017 beschäftigt. Da die Klägerin hier der Gewerkschaft angehörte, fand auf das Arbeitsverhältnis der TVöD (VKA) kraft gegenseitiger Tarifbindung Anwendung. Sie erhielt zunächst eine Vergütung nach Entgeltgruppe 7 Stufe 3 TVöD (VKA). Im Februar 2018 forderte die Klägerin schriftlich eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a Stufe 3 TVöD (VKA) ein, woraufhin die Beklagte rückwirkend ab dem 01.09.2017 die Tätigkeit nach Entgeltgruppe 8 Stufe 3 TVöD (VKA) vergütete. Die Tätigkeit der Klägerin blieb unverändert. Die Klägerin hielt allerdings an ihrer Forderung fest, nach Entgeltgruppe 9a vergütet zu werden und erhob eine entsprechende Feststellungsklage vor dem Arbeitsgericht. Der Eingruppierungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht endete letztlich in der zweiten Instanz im März 2020 durch einen Vergleich mit folgendem Wortlaut, soweit hier von Interesse:

Die beklagte Stadt zahlt an die Klägerin ab dem 01.06.2018 die Vergütung nach der Entgeltgruppe 9a Stufe 3 Teil A I, 3 der Entgeltordnung zum TVöD VKA.

Über dem Beginn der Stufenlaufzeit trafen die Parteien keine Regelung. Nach Abschluss des gerichtlichen Vergleichs wurde zwischen den Parteien streitig, auf welchen Zeitpunkt für den Beginn der Stufenlaufzeit abzustellen sei. Grundsätzlich kommt es insoweit gemäß § 16 Abs. 3 TVöD (VKA) darauf an, wie lange ein Beschäftigter einer bestimmten Entgeltgruppe zuzuordnen ist. Die Klägerin vertrat die Ansicht, die Stufenlaufzeit habe bereits mit Beschäftigungsbeginn am 01.01.2017 begonnen, da die Tätigkeit seitdem unverändert geblieben sei. Damit habe sie entsprechend § 16 Abs. 3 TVöD/VKA nach Ablauf von drei Jahren – also am 01.01.2020 – die nächsthöhere Stufe erreicht. Die Beklagte vertrat hingegen die Auffassung, wonach die Stufenlaufzeit erst mit dem im Vergleich genannten Datum, also mit dem 01.06.2018 beginne, die Stufe 4 sei daher erst am 01.06.2021 erreicht. Anwendbar sei hier § 17 Abs. 4 S. 2 TVöD. Dieser lautet:

Die Stufenlaufzeit in der höheren Entgeltgruppe beginnt mit dem Tag der Höhergruppierung.

Eine Höhergruppierung sei hier nach Maßgabe des gerichtlichen Vergleichs zum 01.06.2018 erfolgt. Erst zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin nach Entgeltgruppe 9a zu vergüten gewesen, sodass erst zu diesem Zeitpunkt die Stufenlaufzeit begonnen habe.

Die Klägerin beantragte festzustellen, dass sie ab dem 01.01.2020 nach Entgeltgruppe 9a Stufe 4 zu vergüten sei und klagte weiterhin auf den sich daraus errechnenden Differenzbetrag zu der ihr für den Zeitraum 01.01.2020 bis zum 31.08.2020 gezahlten Vergütung nach Entgeltgruppe 9a Stufe 3. Das LAG ging davon aus, dass durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich bindend der 01.06.2018 als Tag der Höhergruppierung festgelegt sei und zu diesem Zeitpunkt die Stufenlaufzeit beginne. Es wies die Klage daher ab. Hiergegen wehrte sich die Klägerin mit der Revision zum BAG.

Die Entscheidung im Eingruppierungsrechtsstreit:

I. Zulässigkeit der Klage

Das BAG hielt die Klage für teilweise unzulässig. Für den Feststellungsantrag fehle das notwendige Feststellungsinteresse, was den Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 31.08.2020 betreffe. Für diesen Zeitraum war nämlich auch die Auszahlung des geltend gemachten Differenzbetrags (Unterschied zwischen EG 9a Stufe 3 und EG 9a Stufe 4) beantragt gewesen, darüber hinaus sei kein Feststellungsinteresse ersichtlich. Ein Feststellungsinteresse bestehe aber für den sich daran anschließenden Zeitraum, insoweit war kein Leistungsantrag gestellt worden. Ab dem 01.06.2021 stehe der Klägerin hingegen unstreitig eine Vergütung nach Stufe 4 zu. Der Feststellungsantrag sei dahingehend auszulegen, dass er sich nur auf die Zeit bis zum 01.06.2021 beziehe.

II. Tarifautomatik entscheidet

Im Übrigen hielt das BAG die Sache noch nicht für entscheidungsreif. § 17 Abs. 4 S. 2 TVöD sei nicht anwendbar. Es habe keine Höhergruppierung zum 01.06.2018 im Sinne dieser tariflichen Vorschrift stattgefunden. Unter einer Höhergruppierung sei grundsätzlich die dauerhafte Übertragung von Tätigkeiten einer höheren Entgeltgruppe zu verstehen. Wenn hingegen eine Beschäftigte seit ihrer Einstellung irrtümlich nach einer zu niedrigen Entgeltgruppe vergütet worden sei und dieser Fehler nachträglich korrigiert werden solle, liege keine Höhergruppierung nach § 17 Abs. 4 S. 2 TVöD vor. Stattdessen habe die Beschäftigte sich in einer solchen Konstellation von Anfang an in der jeweiligen höheren Entgeltgruppe befunden. Die Stufenlaufzeit habe also schon mit Beginn der Beschäftigung begonnen. Eine Höhergruppierung sei erst dann anzunehmen, wenn sich die Tätigkeit ändere und damit die Voraussetzungen einer höheren Entgeltgruppe erreicht seien, so das BAG. Anders ausgedrückt: Entscheidend ist nach der Tarifautomatik allein, ob tatsächlich die Voraussetzungen der höheren Entgeltgruppe erfüllt waren. Zu diesem Zeitpunkt begann die Stufenlaufzeit.

Bei der vertraglichen Vereinbarung einer bestimmten „höheren“ Entgeltgruppe, hier durch den im Eingruppierungsrechtstreit geschlossenen gerichtlichen Vergleich, sei § 17 Abs. 4 S. 2 TVöD nicht zwingend anzuwenden. Seien schon vorher nach dem Grundsatz der Tarifautomatik die Voraussetzungen der höheren Entgeltgruppe erfüllt, beginne zu diesem Zeitpunkt – also hier möglicherweise ab Beschäftigungsbeginn – die Stufenlaufzeit. Nur bei einer übertariflich vereinbarten Höhergruppierung beginne die Stufenlaufzeit mit dem Tag der Höhergruppierung, wenn nichts anderes vereinbart sei. Im vorliegenden Fall komme es daher entscheidend darauf an, ob die Klägerin tatsächlich bereits seit Beschäftigungsbeginn und damit ab dem 01.01.2017 nach der Entgeltgruppe 9a zu vergüten gewesen sei (ein späterer „Aufstieg“ in eine höhere Entgeltgruppe kam hier nicht in Betracht, da sich das Tätigkeitsbild nicht verändert hatte). Insoweit hatte das LAG keine Feststellungen getroffen.

III. Gerichtlicher Vergleich hier unklar

Aus dem gerichtlichen Vergleich folge nicht, dass die Klägerin bereits ab dem 01.01.2017 in die Entgeltgruppe 9a eingruppiert gewesen sei und die Stufenlaufzeit zu diesem Zeitpunkt begonnen habe. Der Vergleich lasse offen, ob er konstitutiv eine übertarifliche Leistung begründe oder aber nur deklaratorisch eine ohnehin bestehende Zahlungsverpflichtung wiedergebe. Entweder

  • sei die Klägerin seit dem 01.01.2017 nach der Tarifautomatik in Entgeltgruppe 9a eingruppiert gewesen – dann wäre der gerichtliche Vergleich nur deklaratorisch und hätte am 01.01.2017 die Stufenlaufzeit begonnen,
  • oder mit dem gerichtlichen Vergleich sei ihr ein übertarifliches Gehalt zugesagt worden, dann hätte die Stufenlaufzeit mit dem dort genannten Datum 01.06.2018 begonnen.

IV. Grenzen des Vergleichs im Eingruppierungsrechtsstreit

Die Klägerin habe in dem Fall, dass sie bereits seit dem 01.01.2017 in die Entgeltgruppe 9a einzugruppieren gewesen sei, nicht auf entstandene tarifliche Rechte verzichten können. Die Eingruppierungsvorgaben nach § 12 Abs. 1 TVöD seien zwingender Natur. Ein Verzicht sei gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 TVG nur mit Billigung der Tarifvertragsparteien möglich. Im konkreten Fall bestand hier beiderseitige Tarifgebundenheit, sodass einem Verzicht auf tarifliche Rechte sehr enge Grenzen gesetzt waren. Zulässig wäre laut dem BAG allenfalls ein Tatsachenvergleich gewesen. Der hier im Eingruppierungsrechtsstreit geschlossene gerichtliche Vergleich sei aber nicht so zu verstehen, dass rechtlich bindend über die Tatsache Einigkeit erzielt worden sei, wann die Voraussetzungen für die Eingruppierung in die EG 9a vorgelegen hätten. Über die tatsächlichen Umstände und damit über die Eingruppierungsvoraussetzungen hätten sich die Parteien nicht geeinigt, sondern einen Zeitpunkt für die Vergütungserhöhung festgesetzt. Das LAG habe nunmehr zu klären, wie die Klägerin seit dem 01.01.2017 tatsächlich eingruppiert war. Danach bemesse sich, so das BAG, wann die Stufenlaufzeit beginne – bereits mit Beschäftigungsbeginn oder mit dem im gerichtlichen Vergleich festgelegten Datum.

Fazit:

Der im Eingruppierungsrechtsstreit geschlossene Vergleich konnte im hier Ergebnis unter keinem Gesichtspunkt Rechtssicherheit hervorbringen. Da der TVöD (VKA) nicht nur durch Bezugnahme, sondern kraft unmittelbarer Tarifbindung Anwendung gefunden hat, war ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien ein Verzicht auf tarifliche Rechte unwirksam. Die Vergütungsgruppe konnte hier nicht entgegen der tariflichen Voraussetzungen festgesetzt werden. Ein unwirksamer Vergleich beendet den Eingruppierungsrechtsstreit nicht. Es besteht also grundsätzlich weiter die Möglichkeit, eine Vergütung nach der geltend gemachten Entgeltgruppe (hier EG 9a) gerichtlich geltend zu machen. Dafür müsste dann aber im Prozess bewiesen werden, dass die Voraussetzungen dieser Entgeltgruppe auch tatsächlich vorlagen. Umgekehrt steht der Klägerin durch den gerichtlichen Vergleich ab dem 01.06.2018 auf jeden Fall ein Anspruch auf Vergütung nach der EG 9a zu – wenn sie die tariflichen Voraussetzungen nicht erfüllen sollte, liegt in dem Vergleich die Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung. Die Stufenlaufzeit – hier im Vergleich gar nicht angesprochen – beginnt hingegen grundsätzlich nach der Tarifautomatik zu dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem tatsächlich die Voraussetzungen der höheren Entgeltgruppe erreicht sind. Den Arbeitnehmer trifft hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Anders liegt der Fall, wenn keine beiderseitige Tarifgebundenheit vorliegt, eine Klägerin also nicht der Gewerkschaft angehört oder es sich bei dem Arbeitgeber um einen nicht unmittelbar tarifgebundenden TVöD-Anwender handelt. Dann könnte im Eingruppierungsrechtsstreit ein Vergleich über Rechtsfragen wirksam geschlossen werden. Wirksam wäre damit auch die Regelung, dass – unabhängig von der Tarifautomatik – erst ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Anspruch auf Vergütung nach einer höheren Entgeltgruppe besteht. Auch über den Beginn der Stufenlaufzeit kann eine abweichende Regelung getroffen werden.

Allerdings hat der Arbeitgeber generell zumeist keine Kenntnis davon, ob sein Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht. Das BAG weist zwar einen Weg, wie sich die Problematik vermeiden lässt und wie der Eingruppierungsrechtsstreit sicher beendet werden kann: Ein Tatsachenvergleich über die tatsächlichen Eingruppierungsvoraussetzungen sorgt für Klarheit hinsichtlich der Stufenlaufzeit und ist im Übrigen auch nach § § 4 Abs. 4 S. 1 TVG zulässig, sodass es auf eine gegenseitige Tarifbindung nicht ankommt. Hier hat die beklagte Stadt es versäumt, im Eingruppierungsrechtsstreit einen Tatsachenvergleich abzuschließen. Allerdings ist es durchaus anspruchsvoll, durch einen Tatsachenvergleich über die genauen Umstände der Tätigkeit tatsächlich rechtssicher die Voraussetzungen einer bestimmten Entgeltgruppe sicherzustellen.

Autor: Dr. Christopher Rinckhoff

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