
Das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung ist allgemein bekannt. Werden freiwillige wiederkehrende Leistungen ohne Freiwilligkeitsvorbehalt gewährt, kann dies zu einer dauerhaften Bindung des Arbeitgebers führen. Nicht ganz so bekannt ist in der betrieblichen Praxis die sogenannte Gesamtzusage. Bei einer Gesamtzusage wendet sich der Arbeitgeber allgemein an alle Arbeitnehmer und sagt zu, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Auch hier entsteht eine allgemeine Bindung und Einschränkungen unterliegen der arbeitsgerichtlichen Kontrolle. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln in einem aktuellen Urteil nochmals klargestellt und einem Arbeitnehmer sogar eine doppelte Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie zugesprochen (LAG Köln v. 16.1.2025, 8 SLa 180/24). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis besprechen.
Der Fall:
Der klagende Arbeitnehmer war als Scout im Nachwuchsbereich bei einem großen Kölner Fußball-Traditionsverein beschäftigt. Er verdiente dort zuletzt 3.000,00 € brutto monatlich. Der letzte Arbeitsvertrag war bis zum 30. Juni 2023 befristet und wurde nicht verlängert.
Zusätzlich war er auf Basis eines weiteren Arbeitsvertrages als Trainer und Campleiter bei der gesondert betriebenen Fußballschule zu einem vereinbarten Stundenlohn von 15,00 € beschäftigt. Sein Einsatz erfolgte dort nur unregelmäßig in einem Umfang von ca. 18,27 % jährlich.
Der Arbeitnehmer macht gegen beide Arbeitgeber eine an ihn nicht ausgezahlte Inflationsausgleichsprämie in voller Höhe geltend. Beide Arbeitgeber zahlten an einen Teil ihrer Mitarbeiter im Juni 2023 eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.948,00 € (orientiert am Gründungsjahr des Vereins) aus. Hierzu erhielten die begünstigten Arbeitnehmer ein Anschreiben, in dem es wie folgt heißt:
„(…) mit Beendigung der Bundesligasaison nähern wir uns dem Abschluss unseres Geschäftsjahres 2022/2023 und schon jetzt können wir resümieren, dass wir nach Jahren wirtschaftlicher Verluste erstmals wieder ein deutlich positives Ergebnis erzielen werden. Dieses Ergebnis ist Ausdruck einer engagierten und starken Teamleistung, bei der viele von uns gelegentlich auch eine schweißtreibende Extrameile einlegen mussten. Für Deine Unterstützung und Dein persönliches Engagement sagen wir DANKE!
Diese richtig gute Leistung des 1. F möchten wir darüber hinaus in Form einer Sonderprämie anerkennen und belohnen. Damit möchten wir gleichsam zum Ausdruck bringen, dass wir von unserem eingeschlagenen Kurs überzeugt sind. Wir alle tragen gemeinsam auch weiterhin die Verantwortung für die nachhaltige, wirtschaftliche Stabilisierung des 1. F. Alle Mitarbeitende* in Festanstellung erhalten eine Sonderzahlung. Du erhältst mit der Gehaltsabrechnung Ende Juni
1.948,00 EUR.
Vielleicht hilft diese Sonderzahlung, die aktuell anhaltenden hohen Belastungen aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise etwas zu mildern. Erfreulich ist in jedem Fall, dass der gezahlte Bonus aufgrund der aktuell geltenden Regelungen als Inflationsausgleichsprämie steuer- und sozialversicherungsfrei ausbezahlt werden kann. Für Deinen Einsatz möchten wir Dir herzlich danken und wir freuen uns weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit.“
Am Ende des Schreibens heißt es kleingedruckt:
„Mitarbeitende in Teilzeit werden zeitanteilig berücksichtigt; Unsere Azubis erhalten 1/3 der Prämie und unterjährig eingestellte Mitarbeitende werden pro rata berücksichtigt.“
Der Kläger erhielt von beiden Arbeitgebern keine Zahlung und auch nicht dieses Schreiben. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die Prämie für beide Arbeitsverhältnisse in voller Höhe zu.
Die Arbeitgeber haben die Ansicht vertreten, die Prämie sei an den Bestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. Juni 2023 hinaus gebunden. Zudem habe die Prämie vorrangig dem Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten und daneben der zukünftigen Betriebstreue über den 30. Juni 2023 hinaus gedient. In diesem Sinne habe der Vorstand auch für beide Arbeitgeber festgelegt, dass nur bei einer Festanstellung über den 30. Juni 2023 hinaus ein Prämienanspruch bestehe und zudem jeder Mitarbeiter die Prämie nur einmal erhalte, unabhängig davon, ob er bei dem Verein oder der Fußballschule beschäftigt sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und beide Ansprüche zugesprochen.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt, den Anspruch bei der Fußballschule jedoch anteilig auf den erbrachten Teilzeitanteil gekürzt.
I. Inhalt einer Gesamtzusage
Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen zu erbringen. Es handelt sich um eine Zusage, die von den Arbeitnehmern nicht ausdrücklich angenommen werden muss (vgl. § 151 Satz 1 BGB). Alle Arbeitnehmer erwerben dann einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.
Die Gesamtzusage wird bereits dann wirksam, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart wird, die die einzelnen Beschäftigten typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis kommt es dann nicht mehr an. Die Zusage hat für alle Arbeitnehmer den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeutung.
Hinweis für die Praxis:
Hier hatten nicht alle Arbeitnehmer das Schreiben erhalten. Das Schreiben war aber nicht individuell an einzelne Arbeitnehmer gerichtet. Es wurde vielmehr dort ganz allgemein ausgeführt, dass gerade alle Arbeitnehmer in Festanstellung eine Sonderzahlung erhalten. Es handelte sich damit um eine Gesamtzusage unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis einzelner Mitarbeiter.
II. Zulässige Beschränkung der Gesamtzusage?
Bei einer Gesamtzusage handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung (AGB). Damit sind die Regeln der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht in vollem Umfange anwendbar. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Ansatzpunkt ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist. Bedeutung ist dabei vor allem der verfolgte Regelungszweck sowie die erkennbare Interessenlage der Beteiligten.
Das Schreiben sollte vorliegend, entgegen der Rechtsansicht der Beklagten, auch die erbrachte Arbeitsleistung belohnen. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Schreibens und die dort u.a. niedergeschriebene Erklärung, „diese richtig gute Leistung“ in Form einer Sonderprämie anzuerkennen und belohnen zu wollen. Die Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten nur anteilig spricht ebenfalls für den Entgeltcharakter der Sonderzahlung.
Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann aber in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Jahres abhängig gemacht werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Dann würde dem Arbeitnehmer bereits erarbeitetes Entgelt wieder entzogen werden. Dient also eine Sonderzahlung zumindest auch der Belohnung von Arbeitsleistung, würde einem Arbeitnehmer durch einen Stichtag mit einer Festanstellung über den 30. Juni 2023 hinaus bereits verdienter Arbeitslohn aus dem ersten Halbjahr nachträglich entzogen, da der Anspruch auf eine Sonderzahlung pro rata temporis erworben wird. Eine entsprechende Beschränkung ist damit unwirksam.
Hinweis für die Praxis:
Damit erübrigte sich hier die weitere Prüfung, ob die zeitliche Beschränkung im Schreiben überhaupt enthalten war. In dem Schreiben war nämlich nur von „Mitarbeitern in Festanstellung“ die Rede und die vom Vorstand beschlossene Stichtagsbeschränkung 30. Juni 2023 war gar nicht enthalten.
III. Doppelter Anspruch!
Das Landesarbeitsgericht hat auch einen doppelten Anspruch für begründet erachtet. Das Schreiben wurde von beiden Arbeitgebern an die jeweiligen Arbeitnehmer versandt. Eine entsprechende Einschränkung war in der Gesamtzusage nicht enthalten. Es handelte sich damit um wortgleiche Gesamtzusagen von zwei Arbeitgebern, die jeweils Ansprüche der Arbeitnehmer begründen und unabhängig voneinander bestehen. Der zweite Anspruch wurde lediglich, anders als noch vom Arbeitsgericht in 1. Instanz, in der 2. Instanz anteilig auf den tatsächlich erbrachten Teilzeitanteil von 18,27 % zutreffend gekürzt.
Fazit:
Bei allgemeinen Schreiben an alle oder einen Großteil der Mitarbeiter finden die Grundsätze der Rechtsprechung zur sogenannten Gesamtzusage Anwendung. Allgemeine Leistungen binden dann den Arbeitgeber und den Anspruch haben alle Mitarbeiter. Ausgenommen sind nur solche Mitarbeiter, die aus sachlichen Gründen von der Gesamtzusage ausgenommen wurden. Die Ausnahme muss sich dann aus dem Wortlaut der Gesamtzusage aber selbst ergeben. Bei der Formulierung solcher Schreiben ist daher auf den Regelungszweck und die Anspruchsvoraussetzungen besondere Sorgfalt zu verwenden, um Rechtsnachteile zu vermeiden.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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