03.12.2025
Eine krankheitsbedingte Kündigung wird nur wirksam ausgesprochen, wenn zuvor ein wirksames bEM angeboten und ggf. durchgeführt wurde.
Unwirksamkeit der krankheitsbedingten Kündigung bei fehlerhaften Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement (credits: adobestock).

Für Mitarbeiter, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) anzubieten, § 167 Abs. 2 SGB IX. Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung muss daher regelmäßig die Durchführung eines bEM nachgewiesen werden, da nur auf diese Weise dargelegt werden kann, dass keine zumutbaren anderen Möglichkeiten bestanden, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. Die Rechtsprechung legt daher auf die ordnungsgemäße Durchführung eines bEM großen Wert. Eine aktuelle Entscheidung des LAG Baden-Württemberg bestätigt die strenge Anwendung zur wirksamen Einleitung eines bEM (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.1.2025, 15 Sa 22/24).

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber seit 2014 als Transporteur in Vollzeit beschäftigt. Jedenfalls seit dem Jahre 2018 wies er erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten in einem Umfang von deutlich über sechs Wochen jährlich auf.

Der Arbeitgeber hat über einen externen Dienstleister ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten.

Das Einladungsschreiben hatte folgenden Wortlaut:

Sehr geehrter Herr [Name des Klägers],

mit diesem Schreiben und dem beigefügten Info-Flyer möchten wir Sie heute über das Betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) und dessen Möglichkeiten bei [Name der Beklagten] informieren. Ein bEM ist seitens des Arbeitgebers verpflichtend anzubieten, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb der letzten zwölf Monate mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig war.

Nach pflichtgemäßen Auswertung der Fehlzeitenerfassung haben wir festgestellt, dass dies bei Ihnen der Fall ist. Das bEM soll Ihnen helfen, Ihre Arbeitsunfähigkeit zu überwinden bzw. erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen, um somit Ihre Beschäftigungsfähigkeit dauerhaft zu erhalten. Die Durchführung vom bEM wird durch eine bEM-Beauftragte des X unterstützt.

Ganz wichtig: Ihre Teilnahme am bEM ist freiwillig und Sie können das bEM jederzeit beenden. Wir weisen Sie allerdings darauf hin, dass bei einer Ablehnung des bEM die Grundlagen der Weiterbeschäftigung betroffen sein können. Alle Gespräche in diesem Zusammenhang sind vertraulich und alle Beteiligten unterliegen der Schweigepflicht. Im Rahmen des bEM kann es geboten sein, weitere Daten zu erheben. Über die Weitergabe von Daten und die Entwicklung von möglichen Maßnahmen entscheiden allein Sie. In diesem Zusammenhang ist der Schutz Ihrer Daten auch dadurch abgesichert, dass im Rahmen eines bEM nur dann offen über Ihre gesundheitlichen Probleme gesprochen werden kann, wenn Sie das wollen.

Hinsichtlich der erhobenen und zu erhebenden Daten stehen Ihnen die in § 13 ff. der DSGVO genannten Rechte und Ansprüche zu. Falls Sie an einem ersten Informationsgespräch interessiert sind, wird Ihnen dort die Datenschutzerklärung vorgelegt.Das Betriebliche Eingliederungsmanagement bietet die Chance, dass Sie gemeinsam mit der bEM-Beauftragten und Vertretern des Unternehmens (siehe Infoflyer) einen Weg finden, wie Ihre gesundheitliche Situation und die Anforderungen des Arbeitsplatzes in Einklang gebracht werden können.

Wenn Sie an der Teilnahme am bEM interessiert sind und sich über nähere Einzelheiten und den genauen Verlauf des Verfahrens informieren möchten, werden wir Sie gerne zu einem ersten Informationsgespräch mit der bEM-Beauftragten einladen. Zu diesem Gespräch können Sie auch gerne eine weitere Person Ihres Vertrauens hinzuziehen.Bitte teilen Sie uns anhand der beigefügten Antwort innerhalb von zwei Wochen mit, ob Sie ein erstes Informationsgespräch wünschen und geben Sie zusätzlich, falls gewollt, eine Person Ihres Vertrauens an, welche auch am Informationsgespräch teilnehmen soll.

Teilen Sie uns bitte auch mit, wenn Sie nicht an einer Teilnahme interessiert sind.Dieses Informationsschreiben werden wir, unabhängig davon, ob Sie sich für oder gegen ein bEM entscheiden, zur Personalakte nehmen. Ferner werden wir, unabhängig davon ob Sie sich für oder gegen ein bEM entscheiden, Ihr Antwortschreiben zur Personalakte nehmen. Ansonsten wird nur noch das Ergebnis des bEM mit in die Personalakte aufgenommen, alle weiteren Dokumente werden in einer geschlossenen BEM-Akte geführt, auf welche nur das bEM-Team Zugriff hat.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre bEM-Beauftragte im Auftrag von [Name der Beklagten] i. A. N. P.

Anlagen: bEM-Antwortschreiben & BEM-Flyer

Weiteres Geschehen

Der Kläger füllte in dem mitgeschickten vorgedruckten Antwortschreiben aus, dass er an einem ersten Informationsgespräch interessiert sei. Das Gespräch fand dann auch statt und in dem Datenblatt zum Infogespräch wurde dann Folgendes eingetragen unter der Rubrik „Einverständniserklärung für bEM liegt vor“: „Nein, da Arbeit passt.“ Weiter wurde eingetragen: „bEM startet nicht, da MA mit Arbeitsplatz zufrieden“.

Das Infogespräch fand am 20. Februar 2023 statt. Ende Juli 2023 wurde das Arbeitsverhältnis nach erneuten krankheitsbedingten Fehlzeiten ordentlich gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat in I. Instanz der Klage stattgegeben und festgestellt, der Arbeitgeber habe nicht alle milderen Mittel vor Ausspruch der Kündigung ausgeschöpft, insbesondere habe er das bEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Externer Dienstleister

Zunächst hat das LAG klargestellt, dass die Einbindung eines externen Dienstleisters zulässig ist. Überträgt der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement an einen externen Dienstleister und unterlaufen diesem Dienstleister allerdings Fehler bei der Durchführung, muss der Arbeitgeber sich diese Verfahrensfehler wie eigene zurechnen lassen.

Hinweis für die Praxis:

Schaltet der Arbeitgeber externe Dienstleister ein, müssen diese alle formalen Anforderungen, die die Rechtsprechung entwickelt hat, ebenfalls beachten. Dazu gehört vor allem die ordnungsgemäße Einleitung des bEM und die korrekte Formulierung des Einladungsschreibens. Fehler werden hier dem Arbeitgeber zugerechnet.

II. Zweistufiges bEM zulässig

Das Einladungsschreiben des Dienstleisters sah ein zweistufiges Vorgehen vor. In einem ersten Schritt sollte ein Informationsgespräch stattfinden und in einem zweiten Schritt dann erst das eigentliche betriebliche Eingliederungsmanagement.

Auch dazu hat das LAG klargestellt, dass es Sache des Arbeitgebers ist, die Initiative zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements aktiv zu ergreifen. Dabei ist es zulässig, als ersten Schritt ein Informationsgespräch über das betriebliche Eingliederungsmanagement und als zweiten Schritt das – eigentliche – betriebliche Eingliederungsmanagement vorzusehen.

Aber: Auch wenn die Konzeption eines betrieblichen Eingliederungsmanagements als ersten Schritt ein vorgeschaltetes Informationsgespräch und als zweiten Schritt das betriebliche Eingliederungsmanagement vorsieht, liegt der Versuch einer ordnungsgemäßen Durchführung des bEM nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach § 167 Abs. 2 S. 4 SGB IX auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat.

Hinweis für die Praxis:

Erforderlich ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten i.S.d. Datenschutzrechts – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.

III. Mehrere Verfahrensfehler

Das LAG hat im vorliegenden Fall im Vorgehen des Dienstleisters und damit zugerechnet dem Arbeitgeber mehrere Verfahrensfehler erkannt. Ein erster Verfahrensfehler liegt darin, dass entgegen den oben dargestellten Anforderungen dem Kläger nicht mitgeteilt wurde, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten i.S.d. Datenschutzrechts – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung in diesem Sinne kann von dem Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein.

Ein zweiter Verfahrensfehler war die Vermengung der verschiedenen Verfahrensschritte. Der Dienstleister muss das bEM, wie aufgezeigt, in zwei Verfahrensschritten durchführen: einem ersten Informationsgespräch und dem sich anschließenden bEM. Allerdings wurden schon im Informationsgespräch die Krankheiten des Klägers thematisiert, sein Arbeitsplatz besprochen und auch ein Ergebnis festgehalten. Damit hat sich der Arbeitgeber nicht an sein eigenes Konzept einer Trennung in zwei Verfahrensschritten gehalten. Auch dies hat zu einem fehlerhaften bEM geführt.

Schließlich lag ein dritter Verfahrensfehler in der irreführenden Kommunikation des Arbeitgebers. So wurde im bEM-Gespräch und in dem Datenblatt festgehalten, dass bei erneuter Krankheit ein erneutes bEM durchgeführt wird. Dem Mitarbeiter wurde dann aber nach erneuten Krankheitszeiten gerade kein neues bEM angeboten, sondern die krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen. Das konnte hier der Kläger nicht eindeutig erkennen. Auch aus diesem Grunde war daher das bEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

Fazit:

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass eine krankheitsbedingte Kündigung nur wirksam ausgesprochen werden kann, wenn zuvor ein wirksames bEM angeboten und ggf. durchgeführt wurde. Fehler im Einladungsschreiben, eine irreführende Kommunikation oder auch die Vermengung von verschiedenen Verfahrensschritten können zur Unwirksamkeit des bEM führen. Dann ist aber auch eine später ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung schon aus diesem Grunde unwirksam. Die Einbindung eines externen Dienstleisters zur Durchführung des bEM ändert an diesen Voraussetzungen nichts.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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