17.12.2025
Urlaubsverzicht im Prozessvergleich ist im laufenden Arbeitsverhältnis unzulässig. Das BAG schafft Klarheit zum Mindesturlaub und zur Urlaubsabgeltung.
Trotz eines Prozessvergleiches: Arbeitnehmer fordert trotz eines vereinbarten Urlaubsverzichtes Urlaubsabgeltung. Ist dies möglich? (credits: adobestock).

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil eine wichtige Rechtsfrage für die Praxis abschließend geklärt (BAG v. 3.6.2025, 9 AZR 104/24). Es geht um die häufig angewandte Klausel in vielen Prozessvergleichen, wonach sich beide Seiten darauf verständigen, dass keine Urlaubsansprüche mehr bestehen, insbesondere um einen Urlaubsabgeltungsanspruch auszuschließen. Das Bundesurlaubsgesetz sieht aber in § 13 BUrlG ausdrücklich vor, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht verzichtet werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass ein Verzicht auf noch bestehende Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis, selbst wenn die Beendigung bereits feststeht und absehbar ist, dass der Arbeitnehmer bis dahin seinen Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr wird in Anspruch nehmen können, unzulässig ist.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber in dem Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2023 als Betriebsleiter zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 5.000,00 € beschäftigt. Sein arbeitsvertraglicher Anspruch auf Jahresurlaub betrug 30 Tage.

Die Parteien verständigten sich in einem gerichtlichen Vergleich vom 31. März 2023 auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2023. Bis zum vereinbarten Beendigungstermin war der Kläger im Kalenderjahr 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Der Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers schrieb im Rahmen der dem Vergleichsschluss vorausgehenden Korrespondenz an den Arbeitgeber wie folgt:

Im Übrigen nehme ich wie folgt Stellung: Insbesondere auf den gesetzlichen Mindesturlaub kann nicht wirksam verzichtet werden. Im Zuge einer Gesamteinigung ist mein Mandant bereit, nur die Abgeltung des Mindesturlaubs 2023 von sieben Tagen zu berücksichtigen. Aus den Vorjahren wären ansonsten noch nicht gewährte Urlaubstage in beträchtlicher Höhe abzugelten.“

Der Anwalt des Arbeitgebers antwortete wie folgt:

Den weitergehenden Zahlungsforderungen Ihres Auftraggebers wird unsere Mandantin vor dem Hintergrund des bereits sehr entgegenkommenden Angebots der Abfindungszahlung nicht nachkommen. Wir stellen hiermit klar, dass es über die bereits gemachten Zugeständnisse hinaus kein weiteres Entgegenkommen unserer Mandantin geben wird. Es handelt sich bei dem nachfolgenden Angebot um ein finales Vergleichsangebot. Sollte das nachfolgende Vergleichsangebot nicht angenommen werden, sehen wir die Einigungsversuche als gescheitert an.“

In der Folge vereinbarten die Parteien dann einen Vergleich in dem in Ziffer 7 u.a. geregelt war, dass Urlaubsansprüche in natura gewährt sind und in Ziffer 9 eine allgemeine Ausgleichsklausel enthalten war.

Der Anwalt des Arbeitnehmers erklärte sich mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden, wies aber zugleich „an dieser Stelle auf die erheblichen Bedenken meines Mandanten im Hinblick auf den Vergleichsschluss und die diesseitig geäußerte Rechtsauffassung hin.“

Arbeitnehmer fordert trotz Vergleich Urlaubsabgeltung

Der Vergleich kam dann dennoch mit dem vereinbarten Vergleichstext durch gerichtlichen Beschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO zustande.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber dennoch unter Fristsetzung bis zum 31. Mai 2023 erfolglos auf, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaub aus dem Jahre 2023 mit einem Betrag in Höhe von 1.615,11 € (7 x 230,73 €) abzugelten.

Der Kläger hat dazu die Auffassung vertreten, der in dem gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Schließlich habe er vor dem Vergleichsschluss explizit auf die Unabdingbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubs hingewiesen.

Der Arbeitgeber hat hingegen Klageabweisung beantragt. Die Urlaubsansprüche seien im Vergleich geregelt worden. Die Parteien hätten Unklarheiten über die dem Kläger insgesamt zustehenden Urlaubstage ausräumen wollen. Der Urlaubsanspruch sei auch wegen der langen Fehlzeiten des Klägers bis in das Jahr 2023 hinein nicht eindeutig zu bestimmen gewesen. Ein Anspruchsverzicht sei ohnehin zulässig, da das Ende des Arbeitsverhältnisses verbindlich festgestanden habe. Schließlich sei die Geltendmachung treuwidrig vor dem Hintergrund der getroffenen Vereinbarung.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

I. Urlaubsabgeltung

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist in § 7 Abs. 4 BUrlG geregelt. Danach ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Unter dem Begriff „Beendigung“ ist die rechtliche Beendigung zu verstehen. Vorliegend war dies der 30. April 2023.

Der Resturlaubsanspruch zu diesem Zeitpunkt belief sich auf sieben Urlaubstage gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2023. Man teilt die 20 Tage gesetzlichen Mindesturlaub für das gesamte Jahr durch 12 Monate und multipliziert mit den vier Kalendermonaten des rechtlichen Bestandes. Dies ergibt einen Urlaubsanspruch in Höhe von 6,67 Urlaubstagen, die die nach § 5 Abs. 2 BUrlG auf sieben Urlaubstage aufgerundet werden.

Hinweis für die Praxis:

Der Entstehung des Urlaubsanspruchs und dem grundsätzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch steht die durchgehend anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen. Arbeitnehmer, die krankgeschrieben sind, sind hinsichtlich Entstehung und Berechnung des Urlaubsanspruchs mit den nicht-erkrankten Arbeitnehmern gleichgestellt.

II. Urlaubsverzicht unzulässig

Die Parteien haben in Ziffer 7 des Vergleichs vereinbart, dass kein Urlaubsanspruch mehr besteht bzw. das Urlaubsansprüche bereits in natura gewährt wurden. Hierbei handelt es sich um einen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2023. Regelungen, die gegen § 13 BUrlG verstoßen, sind nach § 134 BGB unwirksam. Arbeitnehmer können im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht über den gesetzlichen Mindesturlaub verfügen, auch nicht durch gerichtlichen Vergleich. Dies gilt auch dann, wenn das bestehende Arbeitsverhältnis in einem gerichtlichen Vergleich vollständig „bereinigt“ werden soll. Das Verbot bezieht sich auf sämtliche abweichenden Vereinbarungen, die den Urlaubsanspruch beschränken oder ausschließen, auch auf Erlassverträge oder negative Schuldanerkenntnisse.

Hinweis für die Praxis:

Das Verbot endet erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Im laufenden Arbeitsverhältnis kann daher der Arbeitnehmer auch dann nicht über einen künftig entstehenden Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs disponieren, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststeht.

III. Unzulässiger Tatsachenvergleich

Die Parteien können im Rahmen eines Tatsachenvergleichs über das Bestehen eines Anspruchs zulässig Regelungen treffen. Man einigt sich dann nicht über den rechtlichen Wegfall einer Forderung, sondern über das Bestehen der anspruchsrelevanten Voraussetzungen, in dem sie darüber tatsächlich bestehende Unsicherheiten durch gegenseitiges Nachgeben ausräumen. Aber: Es muss Streit über diese Voraussetzungen bestehen. Im vorliegenden Fall bestand jedoch zwischen den Arbeitsvertragsparteien bei Vergleichsschluss kein Streit im Tatsächlichen über Urlaubsansprüche. In einem solchen Fall besteht kein Raum für einen Tatsachenvergleich.

Hinweis für die Praxis:

Der Kläger war durchgehend seit Anfang des Jahres 2023 krankheitsbedingt arbeitsunfähig. In einem solchen Fall konnten keine ernsten Zweifel über das Bestehen des Urlaubsanspruchs für das Jahr 2023 aufkommen. Bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit kann und konnte Urlaub nicht genommen werden.

IV. Ausgleichsklausel greift nicht

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist auch nicht durch die in Ziffer 9 des Vergleichs geregelte Ausgleichsklausel erloschen. Unabhängig von der Frage, ob die Ausgleichsklausel überhaupt Urlaubsansprüche erfasst, kann – wie oben ausgeführt – auf bestehende Urlaubsansprüche nach § 13 BUrlG nicht wirksam verzichtet werden. Das gilt dann natürlich auch für eine Ausgleichsklausel.

V. Treuwidriges Verhalten?

Das Bundesarbeitsgericht hat schließlich noch einen Verstoß des Arbeitnehmers gegen die Grundsätze des § 242 BGB (Treu und Glauben) geprüft. Der Kläger hat sich widersprüchlich verhalten, in dem er einerseits dem Vergleich einschließlich seiner Ziffer 7 zugestimmt und andererseits die Abgeltung seines Mindesturlaubs aus dem Jahre 2023 verlangt hat. Die Rechtsordnung verbietet allerdings nicht jedes widersprüchliche Verhalten. Widersprüchliches Verhalten ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.

Hinweis für die Praxis:

Der Kläger hatte im Rahmen der Vergleichsverhandlungen ausdrücklich und auch zutreffend darauf hingewiesen, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne. Die Zustimmung zum Vergleichsschluss erfolgte sogar ausdrücklich unter Hinweis auf diese Rechtsauffassung. Vor diesem Hintergrund konnte bei dem Arbeitgeber kein besonderes Vertrauen entstehen.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht schafft nun abschließend Rechtsklarheit. Auf Urlaubsansprüche kann im bestehenden Arbeitsverhältnis unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verzichtet werden. Ein Verzicht ist erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich. Sämtliche Vereinbarungen vor diesem Zeitpunkt sind unwirksam. Diese Rechtsprechung ist bei etwaigen Vergleichsverhandlungen dringend zu berücksichtigen, da andernfalls Rechtsnachteile durch eine weitere Forderung im Nachhinein auf Urlaubsabgeltung entstehen können. Zulässig bleiben Tatsachenvergleiche. Über einen offenen Urlaubsanspruch kann aber ein Tatsachenvergleich nur dann wirksam geschlossen werden, wenn Unsicherheiten über den Umfang des Urlaubsanspruchs bestehen. Ist dies nicht der Fall, ist auch ein Tatsachenvergleich unwirksam.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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