31.08.2022 -


Inwieweit kann der Betriebsrat bei Ortswechseln mitbestimmen? (credit:adobestock)

Der Betriebsrat hat bekanntlich bei Versetzungen i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG nach § 99 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht. Über die Frage, wann der Begriff der Versetzung erfüllt ist, kommt es in der Praxis zwischen den Betriebspartnern immer wieder zu Streit. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hatte nun zu entscheiden, ob allein die Zuweisung bei unveränderten Arbeitsaufgaben an einen 12 km entfernten Betriebsteil innerhalb derselben politischen Gemeinde bereits den Versetzungsbegriff erfüllt (LAG Nürnberg v. 10.5.2021, 1 TaBV 3/21). Wir möchten die zutreffende Entscheidung zum Anlass nehmen, die wesentlichen Grundsätze hier nochmals darzustellen und zu bewerten.

Der Fall:

Der beteiligte 15-köpfige Betriebsrat ist für zwei Kliniken (Klinikum Nord und Klinikum Süd), die einen gemeinsamen Betrieb bilden, gewählt.

Der für die Dienstpläne im Klinikum Nord zuständige Abteilungsleiter teilte zwei Beschäftigten mit, dass sie ab dem 1. März 2020 zu Tätigkeiten nunmehr im Klinikum Süd eingeteilt werden. Der Aufgabenbereich und die Tätigkeiten der beiden Servicemitarbeiter blieben unverändert. Das Klinikum Süd ist 12 km entfernt.

Der Betriebsrat rügte diese Neueinteilungen und erklärte, seiner Auffassung nach handele es sich bei dem Wechsel der Kliniken um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung. Dies folge bereits daraus, dass sich der räumliche Einsatzort ändere.

Die beiden beteiligten Kliniken haben hingegen die Auffassung vertreten, es lägen keine Versetzungen i.S.d. § 99 BetrVG vor, so dass auch eine Beteiligung des Betriebsrats nicht erforderlich sei.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats, die Versetzungen aufzuheben, stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich bestätigt.

I. Begriff der Versetzung

Der betriebsverfassungsrechtliche Begriff der Versetzung ist in § 95 Abs. 3 definiert. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

„Versetzung im Sinne dieses Gesetzes ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Werden Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt, so gilt die Bestimmung des jeweiligen Arbeitsplatzes jeweils nicht als Versetzung.“

Die Vorschrift hat also zwei Voraussetzungen, die kumulativ oder alternativ erfüllt sein können. Einmal die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet und alternativ die Zuweisung eines Arbeitsbereiches, die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist. Im letzteren Fall bedarf es dann nicht mehr zusätzlich der Zuweisung für mindestens einen Monat, da die Erheblichkeit schon ausreicht.

Hinweis für die Praxis:

In der Praxis wird dies oftmals verkannt. Es ist also nicht bei jeder Versetzung notwendige Voraussetzung, mindestens für einen Monat den Arbeitsbereich zu ändern. Ist nämlich die Zuweisung des neuen Arbeitsbereiches mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden, liegt eine Versetzung schon ab dem ersten Tag vor.

II. Jeder Ortswechsel als Versetzung?

Der Begriff des „Arbeitsbereiches“ umfasst die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes. Der Begriff ist damit räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasst neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Um die Zuweisung eines „anderen“ Arbeitsbereiches handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich auch aus einer Änderung des Arbeitsortes ergeben. Auch die Änderung innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit kann damit eine Änderung des Arbeitsbereiches sein.

Im vorliegenden Fall gab es unstreitig keine relevanten Änderungen der Aufgaben und der Verantwortung. Die Beschäftigten wurden mit denselben Tätigkeiten betraut, nur eben auf einem anderen Gelände.

Es bleibt also allein die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes, 12 km entfernt vom bisherigen Einsatzort. Nach der zutreffenden Auffassung des Landesarbeitsgerichts gibt allein diese Zuweisung der Tätigkeit insgesamt ein anderes Gesamtgepräge, so dass allein dieser Umstand den zugewiesenen Arbeitsbereich als „anderen“ erscheinen lässt. Dies gilt unabhängig davon, dass beide Standorte des Klinikums in derselben politischen Gemeinde liegen. Die Entfernung von 12 km ist auch erheblich. Es handelt sich nicht um einen „Bagatellfall“, in dem der Arbeitsort wegen der entsprechenden Nähe als vernachlässigbar anzusehen wäre.

Fazit:

Im Rahmen der Gesamtschau ist damit die Zuweisung der Arbeit an dem anderen Klinikstandort als Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches i.S.v. §§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG anzusehen. Die Frage, ob es sich dabei um eine relevante Änderung der Tätigkeiten handelt, ist nicht maßgeblich. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht in dieser Fallkonstellation die Monatsfrist als relevant angesehen. Damit wurde nur die Änderung des Arbeitsbereiches bejaht und nicht zugleich auch eine erhebliche Änderung der Umstände. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Versetzung zu einem anderen Betriebsteil, die nicht die Dauer von einem Monat überschreitet, nach Auffassung des LAG Nürnberg nicht mitbestimmungspflichtig ist. Bei kürzeren Einsätzen anderen Orten liegt also eine Versetzung nur dann vor, wenn die Versetzung zugleich mit einer erheblichen Änderung des Arbeitsbereiches verbunden ist.

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