18.02.2020 -

Eine fristlose Kündigung muss bekanntlich nach § 626 BGB innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der Kündigungsgründe ausgesprochen werden. Soll allerdings der Mitarbeiter vor Ausspruch der Kündigung noch angehört werden, um den Sachverhalt weiter aufzuklären, beginnt die Frist erst später zu laufen. Das Bundesarbeitsgericht sieht hier eine Regelfrist von maximal einer Woche vor, innerhalb derer die Anhörung zu erfolgen hat.

Wie verhält es sich aber, wenn diese Frist nicht eingehalten wird, weil ein den maßgeblichen Sachverhalt mitteilender Arbeitnehmer aus berechtigtem Interesse den Arbeitgeber darum bittet, die Anhörung noch nicht durchzuführen? Darf der Arbeitgeber dann warten und wenn ja, wie lange? Mit diesen sehr wichtigen Fragen hat sich der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts nun in einem aktuellen Beschluss befasst und der Praxis wichtige Leitlinien dazu an die Hand gegeben (BAG v. 27.06.2019, 2 ABR 2/19).


Die fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unterliegt erschwerten formalen Bedingungen. (Copyright: George Rudy/shutterstock)

Der Fall

Der Arbeitgeber möchte einem Betriebsratsmitglied wegen sexueller Belästigung fristlos kündigen. Im Rahmen des dazu notwendigen Anhörungsverfahrens nach § 103 BetrVG hat der Betriebsrat die Zustimmung nicht erteilt. Der Arbeitgeber war daher verpflichtet, das Zustimmungsersetzungsverfahren beim Arbeitsgericht einzuleiten. Hierbei handelt es sich um ein Vorverfahren zur eigentlichen Kündigungsschutzklage.

Dem Kündigungsentschluss des Arbeitgebers lag zugrunde, dass ein Betriebsratsmitglied gegenüber einem anderen Betriebsratsmitglied, einer Arbeitnehmerin, eine sexuell konnotierte Anspielung gemacht hat, die von ihr als unanständig zurückgewiesen wurde. Anschließend berichtete sie den Vorfall der Personalleiterin am 21. November 2016 noch am gleichen Tag. Das belästigende Betriebsratsmitglied sandte der Arbeitnehmerin am Abend des 22. November 2016 an ihre Mobiltelefonnummer über ein Messenger-Programm kurz nacheinander acht verschiedene Nachrichten. Darunter befanden sich eine Bilddatei und vier Videoclips, u.a. mit pornografischem Inhalt.

Im Unternehmen des Arbeitgebers existiert eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Schutz der Beschäftigten vor Diskriminierung. Die Arbeitnehmerin kontaktierte noch am selben Abend entsprechend der KBV die Mitarbeiterberatung. Auf deren Empfehlung forderte sie das Betriebsratsmitglied über das Messenger-Programm auf, ihr keine Nachrichten dieser Art mehr zuzusenden.

Am Folgetag, 23. November 2016, berichtete die Arbeitnehmerin ihrem Vorgesetzten und einer zur Kündigung berechtigten Prokuristin von den Videos. Im Rahmen des Gesprächs bat sie um vertrauliche Behandlung und insbesondere darum, das belästigende Betriebsratsmitglied nicht mit den von ihr erhobenen Vorwürfen zu konfrontieren.

Die Arbeitnehmerin war dann ab dem 24. November 2016 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Erst am 14. Dezember 2016 teilte sie dem Arbeitgeber mit, dass sie den Fall jetzt doch offiziell untersuchen lassen wolle, und übermittelte unter dem 15. Dezember 2016 per E-Mail einen dreiseitigen Bericht zu dem Geschehen.

Das betroffene Betriebsratsmitglied wurde am 16. Dezember 2016 zu den Vorwürfen angehört. Anschließend beantragte der Arbeitgeber beim Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung, die von diesem mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 abgelehnt wurde. Der Zustimmungsersetzungsantrag ging dann am 23. Dezember 2016 beim Arbeitsgericht ein.

Das betroffene Betriebsratsmitglied hat insbesondere deshalb die Abweisung dieses Zustimmungsersetzungsantrages beantragt, da die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden sei. Die Frist habe schon am 23. November 2016 zu laufen begonnen und sei daher zwei Wochen später, lange vor Einreichen des Zustimmungsersetzungsantrages beim Arbeitsgericht, abgelaufen.

Das Arbeitsgericht hat dem Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers stattgegeben. Im Beschwerdeverfahren hat hingegen das Landesarbeitsgerichts den Antrag abgewiesen.

Die Entscheidung

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Sonderverfahren nach § 103 BetrVG

Die fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unterliegt erschwerten formalen Bedingungen. Die Anhörung hat hier nicht, wie sonst üblich, nach § 102 BetrVG zu erfolgen, sondern nach dem speziellen § 103 BetrVG. Der Betriebsrat muss ausdrücklich der Kündigung des „Kollegen“ zustimmen. Äußert sich der Betriebsrat nicht oder widerspricht er dem Antrag, kann die Kündigung nicht ausgesprochen werden. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB den Zustimmungsersetzungsantrag beim Arbeitsgericht einzureichen. Insoweit kommt es maßgeblich darauf an, wann diese Frist begonnen hat und wann sie abläuft.

Hier kam es also konkret darauf an, ob durch die Aufforderung der betroffenen Arbeitnehmerin, das belästigende Betriebsratsmitglied noch nicht anzuhören, die Frist nicht in Gang gesetzt worden ist.

II. Regelfrist eine Woche

Ein Arbeitgeber, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt werden, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden.

Hinweis für die Praxis

Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist allerdings, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren.

III. Verlängerung der einwöchigen Frist auf Bitten des Betroffenen?

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber zwischen dem 23. November 2016 und dem 16. Dezember 2016 keine Maßnahmen zur Ermittlung des Kündigungssachverhalts ergriffen. Die vorgenannte einwöchige Regelfrist war damit lange überschritten. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles führte dies aber möglicherweise nicht dazu, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB als gesetzlich konkretisiertes Verwirkungstatbestand schon am 23. November 2016 zu laufen begann. Vielmehr war dem Arbeitgeber eine frühere Anhörung aufgrund einer Kollision widerstreitender Pflichten und Obliegenheiten nicht zuzumuten gewesen.

Die Bitte der Arbeitnehmerin, noch keine Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und den betroffenen Arbeitnehmer anzuhören, stellt einen gewichtigen und ausreichenden Grund dar, die Ermittlungen nicht durchzuführen. Das BAG betont aber, dass dies nicht dazu führen darf, dass dann eine Frist unbegrenzt offenbleibt. Vielmehr muss der Arbeitgeber dem um Vertraulichkeit bittenden Arbeitnehmer eine angemessen kurze Frist setzen, innerhalb derer sich der betroffene Arbeitnehmer über die Beibehaltung der Vertraulichkeit zu erklären hat. Fehlt es hieran, mangelt es regelmäßig an den mit der gebotenen Eile durchgeführten Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts. Ferner ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse für die Bitte um Vertraulichkeit hat und welche Vorwürfe Gegenstand der Mitteilung sind.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber eine solche Frist nicht gesetzt. Das BAG hat auch dies aber als unschädlich angesehen. Die Mitarbeiterin war nämlich nach dem Vorfall arbeitsunfähig erkrankt. Das BAG sah es daher als zulässig an, dass der Arbeitgeber auf das Wohl und die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmerin Rücksicht genommen hat. Es besteht nach Auffassung des BAG sogar eine Pflicht, die betroffene Arbeitnehmerin vor Gesundheitsgefahren auch psychischer Art zu schützen. Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit steht dem Arbeitgeber nämlich nur ein sehr eingeschränktes Weisungsrecht zu, was aus Gründen der Rücksichtnahme während des Genesungsprozesses auch die Zulässigkeit der Kontaktaufnahme begrenzt. Zudem war die Arbeitnehmerin nach ihren eigenen Angaben in psychologischer Behandlung und konnte sich erst im Verlauf der ärztlichen Behandlung dazu entschließen, die Vorfälle öffentlich zu machen.

Der im konkreten Fall gegebene zeitliche Abstand von drei Wochen zwischen der Mitteilung der Vorwürfe und der Entbindung von der Vertraulichkeit war daher noch nicht zu beanstanden. Im Anschluss an die Entbindung von der Vertraulichkeit hat der Arbeitgeber nur zwei Tage später mit der gebotenen Eile alle weiteren Maßnahmen eingeleitet und fortgeführt.

Hinweis für die Praxis

Im Regelfall verlangt das BAG also, dass einem um Vertraulichkeit bittenden Arbeitnehmer eine Frist gesetzt wird, innerhalb derer er sich zu erklären hat, ob er auf die Vertraulichkeit der Mitteilung verzichtet. Fehlt eine solche Fristsetzung, beginnt die Frist von Anfang an zu laufen. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände, wie hier die vorübergehende Erkrankung der Mitarbeiterin, kann von einer solchen Fristsetzung abgesehen werden.

Fazit

Das Einschätzungsrisiko liegt in solchen Fallkonstellationen beim Arbeitgeber. Der Praxis kann daher nur dringend empfohlen werden, die Abläufe genau zu dokumentieren und entsprechende Bitten von Arbeitnehmern um Vertraulichkeit nachweisbar festzuhalten. Im Regelfall sollten dabei kurze Fristen gesetzt werden, um Fristversäumnisse zu vermeiden. Bei fristlosen Kündigungen ist wegen der kurzen Zwei-Wochen-Frist und der grundsätzlichen Regelfrist von einer Woche für die Anhörung der betroffenen Arbeitnehmer schnelles Handeln geboten. Untätigkeit führt zu Rechtsnachteilen.

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