21.08.2019 -

Der moderne Mensch ist jederzeit erreichbar. Beinhaltet dies auch die Pflicht zur Erreichbarkeit? Zu welchen Zeiten darf mich mein Arbeitgeber anrufen? Müssen Arbeitnehmer erreichbar sein? Mit diesen grundsätzlichen Fragen hat sich das Thüringer Landesarbeitsgericht befasst und der ständigen Erreichbarkeit eine klare Absage erteilt (Thüringer LAG v. 16.05.2018, 6 Sa 442/17).


Das Thüringer LAG hat der Herausgabe der privaten Mobilfunknummer an den Arbeitgeber schon aus Datenschutzgründen eine klare Absage erteilt. (Copyright: terovesalainen/adobe.stock)

Der Fall (verkürzt)

Bei dem Arbeitgeber handelt es sich um einen Landkreis. Der Arbeitnehmer ist dort seit
1. Juni 2010 als Sachbearbeiter Hygiene/Infektionsschutz im Gesundheitsamt mit einem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 2.700,00 € beschäftigt. Der TVöD findet Anwendung.

Im Aufgabenbereich des Arbeitgebers können Gefährdungslagen entstehen, welche ein Tätigwerden auch außerhalb von Dienstzeiten dringend erforderlich machen. Dies betrifft u.a. infektiöse Krankheiten wie Masern, Pocken etc. oder auch Probleme beim Trinkwasser oder der Belastung von Wasser in Schwimmbädern und Badeseen. Sofortmaßnahmen sind dann im Bereich des Infektionsschutzes dringend notwendig.

Bis zum 31. Dezember 2016 sicherte der Landkreis diese Maßnahmen dadurch ab, dass außerhalb der Dienstzeit eine Rufbereitschaft eingerichtet wurde. Im Voraus festgelegte Mitarbeiter wurden an sieben Tagen der Woche 24 Stunden lang zur Rufbereitschaft eingeteilt. Für die erforderliche Kontaktaufnahme wurde ein Diensthandy zur Verfügung gestellt. Die Mitarbeiter erhielten eine zusätzliche Vergütung für die Rufbereitschaft und auch für die tatsächlich anfallenden Einsätze. Im Jahr 2016 kam es im Rahmen einer solchen Rufbereitschaft zu insgesamt 40 Kontaktaufnahmen in einem Zeitfenster von 19.01 Uhr bis 6.59 Uhr.

Unter Berufung auf Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entschied sich der Landkreis, die Absicherung von notwendigen Tätigkeiten außerhalb angeordneter Arbeitszeit oder Rufbereitschaftszeiten anders zu organisieren. Ab dem 1. Juni 2017 wurde Rufbereitschaft nur noch auf Samstage, Sonntage und Feiertage für die Zeit von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr beschränkt. Außerhalb dieser Zeiten in der Zeit von 19.01 Uhr bis 6.59 Uhr sollte von der Rettungsleitstelle versucht werden, einen der sieben im Bereich Hygiene/Infektionsschutz beschäftigten Mitarbeiter auf irgendeinem Wege zu kontaktieren. Dabei war es dem Zufall überlassen, zu welchem Mitarbeiter versucht wurde, Kontakt aufnehmen. Zu diesem Zwecke verlangte der Landkreis von den Mitarbeitern die Mitteilung der privaten Festnetz- und Mobiltelefonnummern, damit diese Kontaktaufnahme in Notfällen auch außerhalb jeglicher Dienstzeit und außerhalb vorher angeordneter Rufbereitschaftszeit möglich war.

Der hier klagende Arbeitnehmer weigerte sich, seine Mobiltelefonnummer dem Arbeitgeber mitzuteilen. Der Landkreis erteilte daraufhin eine Abmahnung.

Das Arbeitsgericht hat in I. Instanz den Arbeitgeber verurteilt, die Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts umfassend bestätigt. Auch das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim Bundesarbeitsgericht war erfolglos.

I. Verstoß gegen Datenschutzrecht

Zunächst hat das LAG einen deutlichen Verstoß gegen das Thüringische Landesdatenschutzrecht bejaht. Das Verlangen nach Bekanntgabe der personenbezogenen Daten ist unberechtigt. Ohne eine Einwilligung des Arbeitnehmers ist die Verarbeitung personenbezogener Arbeitnehmerdaten nur dann zulässig, wenn der mit der Datenerhebung verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht verhältnismäßig ist. Dennoch darf die Datenverarbeitung den Arbeitnehmer nicht übermäßig belasten.

Die Erhebung der privaten Mobiltelefonnummer eines Arbeitnehmers gegen seinen Willen ist deshalb wegen des darin liegenden äußerst schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Arbeitgeber ohne Kenntnis der Mobiltelefonnummer im Einzelfall eine legitime Aufgabe nicht, nicht vollständig oder nicht in rechtmäßiger Weise erfüllen kann und ihm eine andere Organisation der Aufgabenerfüllung nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

II. Risikobehaftete Arbeitsorganisation

Das LAG hat auch mit deutlichen Worten dem Organisationskonzept des Landkreises eine Absage erteilt. Schafft ein kommunaler Arbeitgeber die Rufbereitschaft für Notfälle im Gesundheitsamt für die Dauer der Nachtzeit von 19.01 Uhr bis 6.59 Uhr aus Kostengründen ab, um im Notfall einen der Beschäftigten nach dem Zufallsprinzip ggf. auch über das Mobiltelefon aus seiner Freizeit heraus zur Arbeitsleistung heranzuziehen, wählt er damit bewusst eine risikobehaftete Arbeitsorganisation. Dies rechtfertigt nicht den in der Herausgabe der Mobiltelefonnummer liegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Jeder Beschäftigte entscheidet selbst, für wen, wann und wo er durch Bekanntgabe der Telefonnummer erreichbar sein will.

Fazit

Die Entscheidung stärkt das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer. Trotz der klaren Aussagen, können Arbeitgeber weiterhin flexible Arbeitszeitformen einführen. Dies bedingt aber ein durchdachtes Organisationskonzept. Keinesfalls dürfen Arbeitgeber einseitig ihre Arbeitsorganisation abschaffen und eine vorgesehene Rufbereitschaft durch die ständige Erreichbarkeit von Arbeitnehmern ersetzen. Wird ein funktionierendes Rufbereitschaftssystem aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben, schafft sich damit nach Ansicht des LAG Thüringen der Arbeitgeber selbst eine risikobehaftete Ablauforganisation. Dies schließt eine willkürliche Kontaktaufnahme aus. Arbeitnehmer dürfen dann zu Recht die Herausgabe von privaten Daten verweigern.

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