21.03.2018 -

Die Abwicklung eines Vertrages als freies Mitarbeiterverhältnis kann dennoch tatsächlich zu einem Arbeitsverhältnis führen. Die Problematik der Scheinselbständigkeit hat für den Arbeitgeber weitreichende arbeitsrechtliche und auch sozialrechtliche Folgen. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer wichtigen Grundsatzentscheidung nochmals seine Rechtsprechung zu der Thematik präzisiert (BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14). Die Entscheidung gibt wichtige Hinweise zur Vertragsgestaltung sowie zur Risikoeinschätzung. Wir möchten daher die wesentlichen Aussagen der Entscheidung für die Praxis vorstellen und besprechen.


Wird ein freies Mitarbeiterverhältnis als Scheinselbständigkeit eingestuft, hat dies für den Arbeitgeber weitreichende arbeitsrechtliche und auch sozialrechtliche Folgen.

Der Fall:

Bei dem Beklagten handelt es sich um einen Zirkus. Die vier Kläger bilden eine Artistengruppe (Trapez und Hochseil).

Die Parteien schlossen einen „Vertrag über freie Mitarbeit“. Die Tätigkeit der Artistengruppe wird als „Hochseil- und Todesradnummer mit jeweils vier Personen“ in dem Vertrag beschrieben und durch einen Verweis auf ein Video bei YouTube konkretisiert. Des Weiteren enthält der Vertrag alle Regelungen, die typischerweise im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnis vereinbart werden (Weisungsfreiheit, Honorar, Kündigungsregelungen u.a.). Der ausführliche Vertrag ist in den Entscheidungsgründen komplett abgedruckt.

Die Requisiten wie das Hochseil und das Todesrad stehen im Eigentum der Artistengruppe. Ebenso die für die Aufführungen getragenen Kostüme.

Der Leiter der Artistengruppe erlitt im Rahmen einer Veranstaltung einen Unfall und musste sich für längere Zeit stationär behandeln lassen. Die übrigen drei Artisten traten in der Folgezeit zu Dritt auf. Sie stellten dann aber nach einigen Wochen ihre Tätigkeit im Zirkus der Beklagten mit der Begründung ein, man habe sie nicht bei der zuständigen Krankenversicherung angemeldet.

Daraufhin kündigte der Zirkus das Vertragsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Die Kläger haben die Rechtsauffassung vertreten, die Parteien verbinde ein Arbeitsverhältnis. Abweichend von den vertraglichen Vorgaben habe der Zirkus ihre Tätigkeit in zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Hinsicht bestimmt. Sie hätten auch den Inhalt ihrer Aufführung nicht verändern dürfen.

Daher haben sie beim Arbeitsgericht beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

Der Zirkus hat Klageabweisung mit der Begründung beantragt, er habe mit dem Abschluss des Vertrages sine artistische Leistung „eingekauft“ und sodann die Kläger im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnisses beschäftigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen im Berufungsverfahren der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Es liegt ein freies Mitarbeiterverhältnis vor.

I. Abgrenzungskriterien

Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers (freier Mitarbeiter) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in dem sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.

Hinweis für die Praxis:

Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls an.

II. Tatsächliche Durchführung maßgebend

Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen und aufgehoben werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist allein die tatsächliche Durchführung maßgebend. Nur aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen sind Rückschlüsse darauf zu ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragspartner ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben.

III. Kriterien für ein freies Mitarbeiterverhältnis

Das Bundesarbeitsgericht hat den vereinbarten Vertrag als freien Dienstvertrag gewertet. Die Kläger haben ihre Artistenleistung als Selbständige erbracht.

Dies folgt zunächst aus der Vertragsbezeichnung. Auch wenn die Vertragsbezeichnung nicht allein maßgebend ist, ist die Entscheidung der Vertragspartner für einen bestimmten Vertragstypus bei der Gesamtabwägung dennoch einzubeziehen.

Die geschuldete Tätigkeit ist durch den Verweis auf ein Video bei YouTube sehr präzise beschrieben worden. Im Vertrag hat man sogar darauf ausdrücklich Bezug genommen. Diese präzise Beschreibung verdeutlicht, dass der Zirkus nicht Arbeitnehmer einstellen wollte, sondern für den Zirkus eine inhaltlich festumrissene Leistung „einkaufte“. Als Folge der Leistungsbeschreibung verbleibt für ein die geschuldete Leistung ausgestaltendes Weisungsrecht, wie es für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnend ist, kein Raum mehr. Weder Art noch Inhalt der Aufführung waren von dem Zirkus zu beeinflussen. Dies hatten die Parteien sogar ausdrücklich in dem Vertrag so vereinbart.

Gegen die Annahme, der die Parteien verbindende Vertrag habe einen arbeitsvertraglichen Inhalt, sprach zudem der Umstand, dass der Vertrag die Artisten nicht verpflichtete, die geschuldete Leistung in Person zu erbringen. Geschuldet war lediglich die Darbietung von Zirkusnummern unter Mitwirkung von „jeweils vier Personen“. Die Artisten waren auch berechtigt, für Dritte tätig zu werden. Auch dies ist ein Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit.

Schließlich erbrachten die Artisten ihre Leistungen im Wesentlichen unter Verwendung eigener Arbeitsmaterialien. Sowohl die Hochseilanlage als auch das „Todesrad“ standen im Eigentum der Artisten.

Hinweis für die Praxis:

Die Bindung der Artisten an die von dem Zirkus zur Verfügung gestellte Aufführungsstätte (Zirkuszelt) gab hingegen keinen Aufschluss über die persönliche Abhängigkeit der Kläger, wenn der Arbeitsort für die Tätigkeit typisch ist.

Fazit:

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist uneingeschränkt zuzustimmen. Besonders wertvoll ist der klare Hinweis darauf, dass gerade eine festumschriebene Leistung ein weitergehendes Weisungsrecht ausschließt. Bei der Vereinbarung eines freien Mitarbeiterverhältnisses ist es daher unschädlich, wenn die Leistung ausführlich und präzise im freien Mitarbeitervertrag umschrieben wird. Kennzeichnend für ein Arbeitsverhältnis ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Besteht ein solches Weisungsrecht gerade nicht, bekräftigt dies die Selbständigkeit. Maßgebend sind jedoch immer die Umstände des Einzelfalls. Zudem ist darauf zu achten, dass der Inhalt eines freien Mitarbeitervertrages auch tatsächlich praktiziert wird. Für die rechtliche Beurteilung stellen die Arbeitsgerichte immer auf die tatsächlichen Umstände und nicht allein auf den schriftlichen Vertrag ab.

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