16.05.2016 -

Häufige Kurzerkrankungen können die ordentliche personenbedingte Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen rechtfertigen. Grundvoraussetzung einer solchen krankheitsbedingten Kündigung ist aber eine negative gesundheitliche Zukunftsprognose. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte nun die Frage zu entscheiden, ob ein nach Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten eine gegebene negative Zukunftsprognose im laufenden Prozess widerlegen kann (LAG v. 12.03.2015 – 7 Sa 1024/149). Die Entscheidung ist für viele Fallgestaltungen, die in der Praxis häufig vorkommen, von Bedeutung.

Der Fall:

Zwischen den Parteien besteht Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen krankheitsbedingten Kündigung. Die klagende Arbeitnehmerin wies im Zeitraum von 2009 bis 2012 kontinuierlich jedes Jahr Arbeitsunfähigkeitszeiten in folgendem Umfang auf: Im Jahre 2009 von 42 Arbeitstagen, in den Jahren 2010 und 2011 von jeweils 47 Arbeitstagen und im Jahre 2012 von 59 Arbeitstagen.

Ende des Jahres 2012 kam es dann zu einem Personalgespräch, dessen Inhalt streitig ist. In dem Gespräch wurde der Klägerin ein Aufhebungsvertrag angeboten. Der Werkleiter erklärte der Klägerin, dass es so, wie bislang, nicht weitergehen könne und das Arbeitsverhältnis auf Dauer keinen Bestand haben könne, wenn es nicht eine Reduzierung der krankheitsbedingten Ausfälle gäbe. Nach Angaben des Arbeitgebers diente das Gespräch auch dazu herauszufinden, ob die Arbeitgeberseite Hilfestellung dazu geben könne, dass es zukünftig besser gehe. Hierzu müsse man aber wissen, was das Problem der Klägerin sei und ob dieses etwas mit der Arbeit zu tun habe.

Die Klägerin antwortete darauf, dass der Grund für ihre Krankheit die Gesprächspartner nichts angehe und dass sie darüber nicht sprechen wolle. Dann brach die Klägerin das Gespräch ab.

Wegen der stetigen Arbeitsunfähigkeitszeiten über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen ging die Arbeitgeberin von einer negativen Zukunftsprognose aus und kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich aus krankheitsbedingten Gründen.

Die Klägerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage und vertrat insbesondere die Auffassung, der Beklagte habe keinen Versuch unternommen, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. So habe das Personalgespräch allein dem Ziel gedient, einen bereits vorbereiteten Aufhebungsvertrag mit ihr zu vereinbaren.

Das Arbeitsgericht hat nach Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Köln die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Negative Zukunftsprognose

Eine ordentliche Kündigung kann als personenbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitsverhältnis über mehrere Jahre hinweg durch häufige krankheitsbedingte Ausfallzeiten deutlich überdurchschnittlichen Umfangs beeinträchtigt wird. Voraussetzung ist zusätzlich, dass dadurch für den Arbeitgeber unzumutbare betriebliche Belastungen entstehen und in einer abschließenden Interessenabwägung keine Gesichtspunkte erkennbar werden, die das Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung seines Arbeitsplatzes gewichtiger erscheinen lassen, als das Interesse des Arbeitgebers, das belastete Arbeitsverhältnis zu beenden. Grundvoraussetzung einer jeden krankheitsbedingten Kündigung ist somit die negative gesundheitliche Zukunftsprognose. Diese hat sich stets auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung zu beziehen.

Aber: Hierfür sind nicht die subjektiven Einschätzungen der Parteien maßgeblich. Maßgeblich ist vielmehr die auf medizinischer Sachkunde beruhende objektive Bewertung aller medizinisch relevanten Fakten wie Diagnosen, Symptome, Behandlungsverläufe, Krankheitsgeschichte etc.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber kennt im Regelfall die den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Diagnosen nicht. Im vorliegenden Fall weigerte sich die Arbeitnehmerin sogar, entsprechende Informationen über ihren Krankheitsverlauf zu erteilen. Bei Ausspruch einer Kündigung darf sich daher der Arbeitgeber in einem ersten Zugriff an den statistischen  Verhältnissen orientieren. Übersteigt der Umfang der krankheitsbedingten Fehlzeiten über mehrere Jahre hinweg deutlich den gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen, so kann der Arbeitgeber zunächst einmal mangels des Vorliegens gegenteiliger Anhaltspunkte von einer negativen Zukunftsprognose ausgehen. So lag der Fall hier.

II. Widerlegung des Sachverständigengutachtens

Das Arbeitsgericht hatte im vorliegenden Fall in der 1. Instanz ein fachmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses Gutachten gelangte zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Kündigung bei der Klägerin ein zukünftiger Rückgang der Arbeitsunfähigkeitsfälle zu erwarten war.

Das Gutachten wertete sämtliche bei der Klägerin erstellten Krankheitsdiagnosen seit dem Jahr 2008 aus. Zudem beruhte das Gutachten auf der konsiliarischen Befragung der Hausärztin der Klägerin und nicht zuletzt auf einer umfassenden eigenen Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen.

Der Sachverständige ordnete dann die verschiedenen Arbeitsunfähigkeitszeiten verschiedenen Diagnosegruppen zu. Mit Hilfe dieser Strukturanalyse konnte der Sachverständige feststellen, dass Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Rückens und der Wirbelsäule sowie „sonstige Erkrankungen“ keinen nennenswerten Umfang in den jährlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten einnahmen bzw. teilweise nicht mehr vorhanden waren. Maßgeblich waren nach Feststellungen des Gutachters lediglich Erkrankungen im Magen-Darm-Trakt und Erkrankungen im psychischen bzw. psychosomatischen Bereich. Diese beiden Diagnosegruppen machten ca. 90 % der Arbeitsunfähigkeitstage aus. Dabei konstatierte der Gutachter einen inneren Zusammenhang der beiden Diagnosegruppen.

Dazu traf der Gutachter dann die Feststellungen, dass die psychischen bzw. psychosomatischen Belastungen zurückgegangen waren und sich damit auch die ausgelösten krankheitsbedingten Fehlzeiten rückläufig entwickeln würden. Der Gutachter widerlegte damit die negative Zukunftsprognose.

Fazit:

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts macht einmal mehr deutlich, dass Arbeitgeber bei dem Ausspruch krankheitsbedingter Kündigung immer mit einer Prozessniederlage rechnen müssen. Selbst wenn die formalen Voraussetzungen für eine Krankheitskündigung vorliegen, insbesondere die negative Prognose einwandfrei nachgewiesen werden kann, hat der Arbeitnehmer in einem Prozess die Möglichkeit, diese negative Zukunftsprognose zu widerlegen. Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Kann der Arbeitnehmer hier substantiiert im Einzelnen darlegen, dass bestimmte Krankheitsursachen ausgeheilt sind bzw. sich in der Zukunft nicht wiederholen, kann dies nach den allein maßgeblichen objektiven Verhältnissen eine subjektive negative Zukunftsprognose widerlegen. An die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers sind hier aber hohe Anforderungen zu stellen. Behauptungen ins Blaue hinein reichen nicht aus. Vielmehr muss er seine Behauptungen konkret und nachweisbar untermauern. Erst dann darf das Gericht ein entsprechendes Sachverständigengutachten einholen. Auf die Frage, ob ein wirksames Betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde (BEM), kam es vorliegend damit nicht mehr an. Auch hier kann der Praxis aber nur dringend empfohlen werden, ein solches BEM-Gespräch vor jeder Kündigung durchzuführen, um die Wirksamkeit der Kündigung zu untermauern.

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