31.08.2015 -

Das Urlaubsrecht hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Wir haben über die aktuellen Entwicklungen, insbesondere zur Übertragung von Urlaubsansprüchen bei erkrankten Mitarbeitern, bereits mehrfach berichtet. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil seine Rechtsprechung fortentwickelt und präzisiert (BAG, Urteil v. 05.08.2014 – 9 AZR 77/13). Die Entscheidung macht deutlich, dass selbst die Tarifvertragsparteien gehindert sind, in den unionsrechtlich verbürgten gesetzlichen Mindesturlaub einzugreifen. Allerdings können die Tarifvertragsparteien ohne weiteres den darüber hinausgehenden übergesetzlichen Urlaubsanspruch frei regeln.

Der Fall:

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin, eine Bäckereifachverkäuferin, aus dem Jahr 2010 elf Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen.

Die Arbeitnehmerin ist zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt ca. 1.586,00 € im Rahmen einer Sechs-Tage-Woche beschäftigt. In dem einschlägigen Tarifvertrag ist u.a. Folgendes geregelt:

Der in einem Urlaubsjahr nicht gewährte Urlaub kann auf das nächste Urlaubsjahr nur übertragen werden, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des alten Urlaubsjahres nicht möglich war.“

Nach dem MTV hatte die Klägerin im Jahre 2010 einen Urlaubsanspruch von 27 Werktagen. Davon nahm sie im Urlaubsjahr 16 Tage in Anspruch. Die restlichen 11 Tage konnte sie aufgrund einer Erkrankung in der Zeit vom 22. November 2010 bis zum 7. Januar 2011 nicht in Anspruch nehmen. Betriebliche Gründe standen der Gewährung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen.

Der Arbeitgeber hat der Übertragung der 11 Urlaubstage mit Hinweis auf die tarifliche Regelung widersprochen. Die Klägerin hat daraufhin Ersatzurlaub in Höhe von 11 Urlaubstagen gerichtlich geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

In der Revision hat das Bundesarbeitsgericht von den 11 geltend gemachten Urlaubstagen acht Tage als gesetzlichen Mindesturlaub zugesprochen.

I. Unabdingbarkeitsklausel

Die Vorschriften zum Urlaubsrecht werden durch die sogenannten Unabdingbarkeitsklauseln in § 13 BUrlG abgesichert. Danach kann von den Vorschriften des BUrlG in Tarifverträgen abgewichen werden, aber nicht von den §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG. Abweichungen gegen diese Vorschriften wären von vornherein unwirksam.

Die Unabdingbarkeit berührt aber ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Auch von den genannten Vorschriften in den §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien also abweichen, wenn Urlaubsansprüche betroffen sind, die über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinaus gehen. Im Einzelfall muss also differenziert werden, welcher Urlaubsanspruch konkret betroffen ist.

II. Gesetzlicher Mindesturlaub

Die in einer Sechs-Tage-Woche beschäftigte Klägerin hatte einen Jahresmindesturlaubsanspruch in gesetzlicher Höhe im Umfang von 24 Werktagen (Sechs-Tage-Woche). Der tarifliche Jahresurlaubsanspruch belief sich hingegen auf 27 Tage. Der Klägerin wurden damit tariflich drei weitere zusätzliche Tage gewährt. Ihr wurden im Jahre 2010 bereits 16 Urlaubstage gewährt. Diese 16 Tage sind zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch anzurechnen. Von dem gesetzlichen Urlaubsanspruch verblieben damit acht Tage sowie weitere drei Tage tariflichen Mehrurlaubs.

III. Unwirksame Tarifregelung

Der Tarifvertrag sah nun vor, dass eine Übertragung in das Folgejahr nur auf Basis von betrieblichen Gründen möglich war. Diese lagen hier nicht vor. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht die Tarifklausel nicht angewandt. Der zuständige 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich dabei auf die oben genannte Unabdingbarkeitsklausel berufen. Zwar ist die Übertragungsklausel des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht unmittelbar von der Unabdingbarkeitsklausel erfasst. Danach können die Tarifvertragsparteien hier grundsätzlich auch verschlechternde Regelungen vorsehen. Allerdings widerspricht die Tarifnorm insoweit dem Regelungsgehalt der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG, wenn sich die Einschränkung der Übertragbarkeit auch auf Krankheitszeiten bezieht. Für Krankheitszeiten haben das Bundesarbeitsgericht und der EuGH bereits mehrfach klargestellt, dass hier eine Übertragung in das Folgejahr stattfinden muss. Insoweit ist eine sogenannte richtlinienkonforme Auslegung geboten. Das Bundesarbeitsgericht hat im Rahmen dieser Auslegung klargestellt, dass der gesetzliche Mindesturlaub in jedem Fall erhalten bleiben muss.

Hinweis für die Praxis:

Der Mitarbeiterin stand damit im Rahmen dieser richtlinienkonformen Auslegung für das Jahr 2010 ein weiterer Urlaubsanspruch in Höhe von acht Tagen gesetzlichen Mindesturlaubs zu. Der weitergehende tarifliche Urlaubsanspruch von noch verbliebenen drei Tagen ist hingegen untergegangen. Dabei ist es unerheblich, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist. Für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie wirksam.

Fazit:

Die Entscheidung liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung zum neuen Urlaubsrecht. Der gesetzliche Mindesturlaub wird uneingeschränkt garantiert und gewährleistet. Alle Vereinbarungen, die diesen Urlaubsanspruch beschränken können, sind unwirksam. Dies gilt sogar für Tarifregelungen. Hingegen können die Tarifvertragsparteien Urlaubsansprüche, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen, frei regeln.

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