20.04.2015 -

Bei einer größeren Anzahl von Kündigungen, sogenannte Massenentlassung, muss eine Massenentlassungsanzeige nach §§ 17, 18 KSchG bei der zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden. Unterbleibt die Anzeige, sind die ausgesprochenen Kündigungen unwirksam. Das Bundesarbeitsgericht hat nun erstmals klargestellt, dass Änderungskündigungen auch dann als „Entlassung“ zu berücksichtigen sind, wenn Mitarbeiter das mit der Änderungskündigung verbundene Änderungsangebot annehmen (20.02.2014 – 2 AZR 346/12).

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber, einem Softwareunternehmen, als Softwareentwicklungsingenieur beschäftigt. Der Arbeitgeber beschäftigt 170 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 30. März 2009 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2009 im Wege einer Beendigungskündigung. Der berief sich auf Umsatzeinbußen. Daneben erklärte der Arbeitgeber 17 weitere Kündigungen, darunter zwei Änderungskündigungen.

Der Arbeitnehmer hat Kündigungsschutzklage erhoben und sich u.a. darauf berufen, die Kündigung sei nach § 17 KSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam. Der maßgebende Schwellenwert für eine Massenentlassungsanzeige sei erreicht. Gleichwohl habe der Arbeitgeber die Entlassungen der Agentur für Arbeit unstreitig nicht angezeigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie in der Berufung hingegen abgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Kündigung war unwirksam.

I. Änderungskündigung als Entlassung

Bei einer bestimmten Anzahl beabsichtigter Entlassungen muss nach §§ 17, 18 KSchG eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet werden. Unter „Entlassung“ in § 17 KSchG ist die Erklärung der Kündigung zu verstehen. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass eine Änderungskündigung als „Entlassung“ in diesem Sinne zu verstehen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Änderungskündigung abgelehnt, akzeptiert oder aber nur unter Vorbehalt angenommen wird. Jede Änderungskündigung ist zu berücksichtigen! Damit hat das Bundesarbeitsgericht erstmals zum geltenden Recht diese Rechtsfrage geklärt.

II. Unwirksamkeit der Kündigung

Hat der Arbeitgeber eine nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzeige nicht erstattet, führt dies gem. § 17 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 KSchG i.V.m. § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Beendigungskündigungen, auch derjenigen, die im Rahmen von Änderungskündigungen erklärt worden sind. Unterlässt der Arbeitgeber eine Massenentlassungsanzeige und spricht er Kündigungen aus, bevor er seine Anzeigepflicht erfüllt hat, handelt er den gesetzlichen Vorgaben zuwider. Dies führt zur unheilbaren Unwirksamkeit der Kündigung.

Im hier gegebenen Fall wurden 170 Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt. Damit bestand eine Anzeigepflicht ab 17 beabsichtigten Entlassungen. Die Zahl der im Referenzzeitraum tatsächlich erfolgten Entlassungen lag aber bei 18. Die beiden Änderungskündigungen zählten mit. Der Arbeitgeber hatte aber eine Anzeige nicht vorgenommen. Damit waren die Kündigungen unweigerlich unwirksam.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht hat eine wichtige Rechtsfrage für die Praxis nunmehr abschließend geklärt. Änderungskündigungen sind auch dann uneingeschränkt zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot – und sei es ohne Vorbehalt – annimmt. Wir können der Praxis nur dringend empfehlen, in Zweifelsfällen immer eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, um eine formale Unwirksamkeit der Kündigung allein wegen der fehlenden Anzeige zu vermeiden.

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