30.05.2010

Unzählige steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren werden über die Durchführung einer Durchsuchung bei dem Betroffenen eröffnet. Neben der Freiheitsentziehung stellt die Maßnahme der Durchsuchung bei einem Verdächtigen das schärfste Schwert der steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbehörde dar. Der Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützte Privatsphäre des Betroffenen muss in diesem Zusammenhang strengen Anforderungen genügen um den gesetzlichen Voraussetzungen gerecht zu werden.

Durch Beschluss vom 17. März 2009 hat das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvR 1940/05) die Recht der Betroffenen gestärkt und die Bedeutung des Richtervorbehalts im Rahmen der Entscheidung über den Erlass eines durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung beantragten Durchsuchungsbeschluss konkretisiert.

Der Fall

Der A war leitender Angestellter (Abteilungsleiter Produktmarketing und Beschaffung) einer N. AG, die in großem Umfang europaweit mit Mobilfunkgeräten handelte.

Im Rahmen einer bundesweit koordinierten Umsatzsteuerprüfung war die N. AG im Zeitraum 2001 bis 2003 wiederholt durch Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen aufgefallen, die der Beteiligung an sog. „Umsatzsteuerkarussellen“ verdächtig waren. Die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen der Steuerfahndung bezogen sich insbesondere  auf drei konkrete Geschäftszusammenhänge.

Auf den Antrag des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 8. Dezember 2004 die Durchsuchung des A, seiner Wohnung, Fahrzeuge und „der ihm sonst zugänglichen Räume“, seines Arbeitsplatzes und seiner Bankbehältnisse an. Sichergestellt werden sollten „sämtliche Unterlagen“ und Datenträger,

„aus denen die Entstehung und Verwendung von Einkünften oder von Vermögenswerten sowie die Anknüpfung, die Durchführung und der Abschluss von Geschäften ersichtlich sind, die auf die Beihilfe zur Gestaltung der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Umsatzsteuer Rückschlüsse ziehen lassen.“

Darüber hinaus hatte der Durchsuchungsbeschluss den folgenden Inhalt:

  • „Der Beschwerdeführer stehe im Verdacht, als leitender Angestellter Beihilfe zur strafbaren Hinterziehung von Umsatzsteuer geleistet zu haben, in dem er wissentlich und wollend im Rahmen so genannter Karussellgeschäfte mit Mobiltelefonen Hilfe leistete,
    • Umsatzsteuer nicht abzuliefern, da er belegmäßig innergemeinschaftliche Lieferungen von Waren darstellte, obwohl den Abnehmern im EU-Ausland die erforderliche Verfügungsmacht über die Waren tatsächlich nicht verschafft worden ist,
    • Vorsteuern aus Einkaufsrechnungen von Waren geltend zu machen, denen wirtschaftlich relevante Lieferungen nicht zu Grunde gelegen haben, aber die beteiligten Unternehmen als Bestandteile eines wirtschaftlichen unsinnigen Warenkreislauf anzusehen sind.“
  • Außerdem stehe der Beschwerdeführer in dem Verdacht, für das Jahr 2003 zu Unrecht die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer mit seiner Ehefrau beantragt zu haben, obwohl seine Ehefrau bereits im Jahr 2002 die bisherige gemeinsame Wohnung verlassen habe.“

Bereits mehrere Monate vor der streitgegenständlichen Durchsuchung hatte das Amtsgericht mit im Wesentlichen gleich lautenden Durchsuchungsbeschlüssen die Geschäftsräume der N. AG und der bei dieser tätigen Hauptverdächtigen durchsuchen lassen.

Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde des A verwarf das Landgericht. Zur Begründung führte es aus, dass im Durchsuchungsbeschluss nicht angegeben werden müsse, auf welche Indiztatsachen sich der Tatverdacht stütze, da derartige Angaben „regelmäßig dem Zweck der Strafverfolgung zuwiderliefen“.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts hatte der A Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde soweit sich der A gegen die Anordnung der Durchsuchung wendete zur Entscheidung an und entschied, dass der Durchsuchungsbeschluss den A in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung im Sinne des Art. 13 GG verletze.

Da eine Durchsuchung grundsätzlich schwerwiegend in die von Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Lebenssphäre eingreift, sei es – so das Gericht − aufgrund des Gewichtes dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre geboten die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorzubehalten. Der Richtervorbehalt ziele dabei auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab.

Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Bei Maßnahmen wie der Durchsuchung, die regelmäßig ohne vorherige Anhörung des Betroffenen angeordnet werden, soll die Einschaltung des Richters auch dafür sorgen, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden. Dies setzt insbesondere eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Vor diesem Hintergrund kann die richterliche Durchsuchungsanordnung auch nicht als bloße Formsache betrachtet werden.

So betont das Gericht, dass der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss nicht zuletzt auch dazu diene, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Um diesen Anforderungen genügen zu können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • der Beschluss muss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist;
  • der Richter muss die aufzuklärende Tat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist;
  • der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann;

Sind die vorstehenden Anforderungen nicht erfüllt, so wird der Durchsuchungsbeschluss rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind.

Die Fassung des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses ließ nach Auffassung des Gerichts besorgen, dass eine eigenverantwortliche Prüfung zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts gemäß Art. 13 Abs. 2 GG nicht stattgefunden hat. Zwar müssten sich die Gründe des Durchsuchungsbeschlusses grundsätzlich nicht zu jedem denkbaren Gesichtspunkt des Tatverdachts verhalten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei es allerdings nicht hinnehmbar, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände die Notwendigkeit der Erörterung eines offensichtlichen Problems aufdrängen musste und gleichwohl eine Prüfung vollständig fehlt.

Das Erfordernis einer weitergehenden Prüfung und Erörterung ergab sich im Streitfall aufgrund der Tatsache, dass die Räume der N. AG und die Büros und Wohnhäuser der Mitbeschuldigten des A bereits mehrere Monate zuvor durchsucht worden waren und anschließend die sichergestellten Unterlagen ausgewertet und zahlreiche Zeugen vernommen wurden. Angesichts dessen hätte es sich aufdrängen müssen, die Bedeutung der seither gewonnenen Erkenntnisse für den Verdacht gegen den Beschwerdeführer zumindest kurz darzulegen.

In dem angegriffenen Durchsuchungsbeschluss wurde allerdings nicht ansatzweise aufgezeigt, welchen Tatbeitrag der A persönlich geleistet haben soll. Allein die Benennung seiner Position im Unternehmen der N. AG genügt angesichts des Umfangs der Geschäftstätigkeit jedoch nicht aus, den mutmaßlichen Tatbeitrag des A hinreichend genau zu kennzeichnen. Darüber hinaus wurde nicht deutlich, inwiefern sich der vom Ermittlungsrichter nur als Beihilfe gewertete Beitrag des A von dem der übrigen, als Haupttäter beschuldigten Entscheidungsträgern unterschieden haben soll.

Schließlich genügte auch die nur knappe und lediglich abstrakte Beschreibung des angenommenen Modells der Steuerhinterziehung, ohne den konkreten Lebenssachverhalt näher zu bezeichnen, nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen. Insbesondere der schlichte Hinweis auf die Vornahme von sog. Karussellgeschäften erfüllte die inhaltlichen Voraussetzungen nicht.

Die Leitsätze

  • Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem den Inhalt der konkret gesuchten Beweismittel nicht erkennen lässt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212, 220; 71, 64, 65).
  • Allein die lediglich abstrakte Beschreibung eines angenommenen Modells der Steuerhinterziehung (Umsatzsteuerkarussell), ohne den – obwohl nach dem Ermittlungsstand möglich – konkreten Lebenssachverhalt (Geschäftsabschlüsse, Warenlieferungen, geleisteten Zahlungen oder sonstigen Geschäftsvorfälle) näher zu bezeichnen und zumindest beispielhaft einzelnen Straftatbeständen zuzuordnen, genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Inhalt eines Durchsuchungsbeschlusses.
  • Allein die Benennung der Position in einem Unternehmen kann u.U. bei einer umfangreichen Geschäftstätigkeit des Unternehmens nicht ausreichen, um einen mutmaßlichen Tatbeitrag hinreichend genau zu kennzeichnen.
  • Allein aus der Übernahme des Antrags der Staatsanwaltschaft durch den Ermittlungsrichter kann noch nicht auf das Fehlen einer eigenverantwortlichen Prüfung des Sachverhalts geschlossen werden. Auch müssen sich die Beschlussgründe grundsätzlich nicht zu jedem denkbaren Gesichtspunkt des Tatverdachts verhalten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar ist es aber, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände die Notwendigkeit der Erörterung eines offensichtlichen Problems aufdrängen musste (vorliegend eine vorangegangene Durchsuchung) und gleichwohl eine Prüfung vollständig fehlt.

Hinweis

Nicht jeder Rechtsverstoß im Rahmen der Durchsuchung führt zur Aufhebung der Beschlagnahme. Ein eklatanter Verstoß gegen den Anspruch des Betroffenen auf den Schutz seiner Persönlichkeit, der rechtlichen Grenzen der strafprozessualen Maßnahme erheblich verletzt, führt jedoch insbesondere zu einem Verwertungsverbot der auf der Grundlage eines rechtwidrigen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses beschlagnahmten Gegenstände.

Gegen richterliche Anordnungen der Durchsuchung und Beschlagnahme steht dem Betroffenen das  Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 StPO zu.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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