05.03.2012 -

Zugleich Ergänzung zum Beitrag vom 28.09.2011

 

Problemstellung:

Übernimmt ein Arzt die Praxis eines anderen, geht es dabei nicht immer um die Übernahme eines bereits eingeführten Praxisstandortes, von Inventar oder Patientenbindungen.

Möchte sich ein Arzt im überversorgten, also zulassungsgesperrten Bezirk niederlassen, ist die Übernahme einer bestehenden Praxis und damit verbunden auch der Zulassung des (Alt)Inhabers der einzige Weg zur ambulanten niedergelassenen Tätigkeit in eigener Praxis. Nur die Durchführung des in § 103 Abs. 4 SGB V geregelten Ausschreibungs- und Nachbesetzungsverfahrens ermöglicht die Übertragung der Zulassung auf einen anderen Arzt, der aber zugleich die Praxis des Abgebers als Gesamtheit übernehmen muss.

Nicht wenige Praxisübernahmen werden also ausschließlich mit dem Zweck vereinbart, dem Erwerber der Praxis eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und die damit verbundene Möglichkeit der Erbringung und Abrechnung von Leistungen zu ermöglichen. Mit der Praxis, bzw. der Zulassung geht ja dann im Regelfall auch ein bestimmtes Abrechnungsbudget, bzw. Regelleistungsvolumen auf den Käufer über.

Die steuerliche Behandlung der in diesem Zusammenhängen gezahlten Kaufpreise war seit Jahren streitig. Wie, bzw. ob überhaupt, der auf die Zulassung entfallende „Kaufpreis“ in diesem Zusammenhang relevant ist, wurde von den Finanzbehörden und Gerichten teilweise völlig unterschiedlich bewertet. Seit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 09.08.2011, Az. VIII R 13/08, ist eine gewisse Klarheit dahingehend eingetreten, dass der Arzt im Regelfall den vollen Kaufpreis für die Übernahme einer Praxis abschreiben kann. Dies gilt also auch dann, wenn der Kaufpreis zu einem erheblichen Teil für die Übertragung der Zulassung gezahlt wird.

In der genannten Entscheidung betonte der BFH, dass beim Erwerb einer Vertragsarztpraxis im Regelfall neben dem erworbenen Praxiswert kein weiteres selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut in Form des „mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils“ vorhanden sei. Der Kaufpreis für eine Vertragsarztpraxis lasse sich grundsätzlich nicht, auch nicht teilweise, dem wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung zuordnen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich der Kaufpreis der Praxis – wie im vom BFH entschiedenen Fall – nach dem Verkehrswert richte. Denn dann lasse sich von dem Praxiswert kein gesondertes Wirtschaftsgut „Vorteil aus der Zulassung“ abspalten. Der Praxisabgeber könne den Vorteil aus der Zulassung grundsätzlich nicht selbständig verwerten. Nach Auffassung des BFH ist damit der gesamte Kaufpreis im Regelfall abschreibbar.

Die Entscheidung des BFH lässt aber dennoch Fragen offen. Es ist die Rede davon, dass die Zulassung „im Regelfall“ kein selbständiges Wirtschaftsgut sei. Gibt es „Regelfälle“, gibt es schon denklogisch also auch Ausnahmen. Eine solche Ausnahme könnte insbesondere vorliegen, wenn der Käufer die Praxis in Wirklichkeit gar nicht übernehmen wolle und die Bestimmung des Kaufpreises sich gar nicht am Verkehrswert orientiere.

Mit der Frage, ob die BFH Rechtsprechung 1:1 umzusetzen ist oder ob andere Grundsätze gelten, hatte sich in einer aktuellen Entscheidung nun das Finanzgericht Köln (Urteil vom 26.01.2012, Az. 6 K 4538/07) zu befassen.

Der Fall:

Geklagte hatte eine radiologische Gemeinschaftspraxis, die für eines Ihrer Mitglieder die an einem anderen Ort gelegene Praxis einer älteren Kollegin erworben hatte. Ziel war (verkürzt geschildert) die Übernahme der Zulassung der Praxisabgeberin durch das Mitglied der Gemeinschaftspraxis und die weitestgehende Übertragung des Abrechnungsbudgets der Verkäuferin auf die Gemeinschaftspraxis. Ein Teil des Budgets sollte an eine andere Praxis veräußert werden. Auch das Archiv der Praxis sollte auf die Gemeinschaftspraxis übertragen werden. Vereinbart wurde ein Kaufpreis von rund 900.000 EUR. Die Abgeberin der Praxis hatte nachfolgend für einen Übergangszeitraum von einem halben Jahr auch in der Praxis der Erwerber mitgearbeitet. Die ursprüngliche Praxis der Abgeberin wurde vereinbarungsgemäß geschlossen, der Standort wurde nicht übernommen.

In Folge einer Betriebsprüfung kam es zur Auseinandersetzung: Die Betriebsprüfung kam zu dem Schluss, dass der Kaufpreis auf den Vertragsarztsitz (500.000 DM) und auf die mit dem Vertragsarztsitz erworbenen Abrechnungspunkte (420.000 DM) aufzuteilen sei, da es sich jeweils um selbständig erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens handele. Eine Teilwertabschreibung sei nur hinsichtlich der Abrechnungspunkte möglich, nicht hingegen für den Betrag, der auf die Zulassung entfalle.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Gemeinschaftspraxis Klage zum Finanzgericht Köln um die volle Abschreibbarkeit des Kaufpreises zu erreichen. Die Klage war im Wesentlichen erfolgreich.

Die Entscheidung des FG Köln

Das FG Köln nimmt in seiner Entscheidung Bezug auf die Ausführungen des BFH vom 09.08.2011 und kommt zu dem Schluss, dass hier kein Abweichen von den „im Regelfall“ anzunehmenden Grundsätzen des BFH geboten sei.

Konkret heißt es in der Entscheidung (auszugsweise):

„Im Streitfall ist eine Verselbständigung des Vorteils aus der Zulassung als Vertragsarzt nicht anzunehmen und vielmehr vom Erwerb eines einheitlichen Praxiswertes mit der Möglichkeit der linearen Abschreibung auszugehen. So bestand nach der vom Beklagten nicht widerlegten Einlassung der Klägerin ein besonderes Interesse an den Patienten- und Zuweiserbindungen der Praxisabgeberin, um den eigenen Geschäftsbetrieb der Klägerin weiter auszubauen.

Bestätigt wird dies durch die in der Vereinbarung (…) betreffend die Übernahme des Archivs der Praxisabgeberin durch die Klägerin, sodass sie jederzeitigen Zugriff auf die dort befindlichen Röntgenaufnahmen und Befunde er- bzw. behielt. Zugleich hat die Praxisabgeberin aufgrund der getroffenen Vereinbarung vom 27.09.2001 sechs Monate lang vom 01.10.2001 bis zum 31.03.2002 eingebunden in die Räumlichkeiten der Klägerin gearbeitet, was eine Überleitung der besagten Patienten und Zuweiserbindungen begünstigt haben dürfte.

Anders als in dem vom Niedersächsischen Finanzgericht am 28.09.2004 (13 K 412/01, entschiedenen Fall, auf den der BFH in dem oben zitierten Urteil im Zusammenhang mit den für möglich gehaltenen Sonderfällen vergleichend hingewiesen hat, besteht im vorliegenden Fall also nicht allein ein Interesse an der bloßen Zulassung.

Vielmehr waren mit dem hier zu beurteilenden Erwerbsvorgang für die Klägerin – neben dem zwangsläufig mit der Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteil, die Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen zu können – weitere wesentliche Aspekte verbunden. So sollte hierdurch nicht nur der Stamm an gesetzlich krankenversicherten Patienten, sondern auch der nicht unerhebliche Stamm privat versicherter Patienten so weit wie möglich übernommen werden.

Der Anteil des Umsatzes im privatärztlichen Bereich machte nach dem Vortrag der Klägerin in der Praxis der Abgeberin mit 500.000 DM rund ein Drittel ihres gesamten Jahresumsatzes aus. Daneben diente der Erwerb der Praxis auch der Verbesserung der Wettbewerbssituation am Markt zugunsten der Klägerin.

Im Hinblick auf den nicht ganz widerspruchsfreien Vortrag der Klägerin hinsichtlich des Umfangs der Mitarbeit der Abgeberin bis zu ihrem Ausscheiden und der hiermit verbundenen Patientenbindung aufgrund eines zwischenzeitlich zur Klägerin aufgebauten eigenen Vertrauensverhältnisses zu den Patienten, erscheint es dem Senat angemessen von einer mittleren Abschreibungsdauer von vier Jahren auszugehen.“

Fazit:

Die Entscheidung des FG Köln ist, wie bereits die Ausgangsentscheidung des BFH vom 09.08.2011 durchaus arztfreundlich.

Auch in der vom FG Köln entschiedenen Konstellation wird im Ergebnis die Abschreibbarkeit des vollen Kaufpreises bejaht. Lediglich bezüglich gewisser Kaufnebenkosten kommt das Gericht zu einer anderen Bewertung, die im Rahmen dieses Beitrages aber nicht relevant ist.

So erfreulich die Entscheidung im Ergebnis auch ist, wirkliche Rechtssicherheit besteht hier weiterhin noch nicht. Das FG Köln fügt dem vom BFH angenommenen „Regelfall“ nur eine weitere Konstellation hinzu. Der BFH hatte ausdrücklich betont, dass zu Lasten des erwerbenden Arztes dann eine Ausnahme angenommen werden könne, wenn die Fortführung der Praxis gar nicht wirklich angestrebt sei. Dass im Falle des FG Köln vom „Regelfall“ im Sinne der BFH Rechtsprechung auszugehen sei, drängt sich jedenfalls bei erster Lektüre des Sachverhaltes nicht zwingend auf. Immerhin war ausdrücklich Teil der Vereinbarung, dass die Praxisabgeberin ihre eigene Praxis schließt. Räumlichkeiten und Inventar sollten nicht übernommen werden.

Zu Gunsten der Käuferin führt das FG Köln an, dass auch das Archiv, die Zuweiserbindungen und die temporäre Mitarbeit der Abgeberin und Budgetpunkte Gegenstand der Vereinbarung waren. Die Argumentation des Gerichts ist sicher vertretbar, jedenfalls soweit auch die Zuweiserbeziehungen übertragen wurden. Bezüglich des „Archives“ dürften Zweifel angebracht sein. Denn aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht, kann dieses von den Käufern ohnehin nicht ohne weiteres genutzt werden. Es stellt eher ein reines Aufbewahrungsverhältnis dar.

Tendenziell dürften Ärzte und ihre Berater aus dem Urteil also die Lehre ziehen, dass es in jedem Falle anzustreben ist, in solchen Fällen, in denen eine Praxis nicht konkret am Ort fortgeführt werden soll, sondern es eben doch primär um eine Zulassung und die damit verbundenen Abrechnungsmöglichkeiten geht, möglichst viele weitere Kaufbestandteile zu definieren, damit sich entsprechende Anhaltspunkt für den vom BFH anzunehmenden „Regelfall“ bieten. Eine gewisse Kreativität dürfte nützlich sein.

Lorbeerkranz

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