Der BGH hat mit Urteil vom 31. Mai 2011 – II ZR 109/10 – eine seit langem umstrittene gesellschaftsrechtliche Frage geklärt: Handelt es sich bei der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung einer GmbH über die Kündigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit dem herrschenden Gesellschafter um einen „körperlichen Sozialakt“ oder um eine „reine Geschäftsführungsmaßnahme“ gegenüber dem herrschenden Gesellschafter? Die Qualifikation hat erhebliche praktische Auswirkungen. Bei einer Qualifikation als körperschaftlicher Sozialakt ist der herrschende Gesellschafter und Vertragspartner des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages bei der Beschlussfassung stimmberechtigt; bei einer „reinen“ Geschäftsführungsmaßnahme wäre er dagegen ausgeschlossen.
An der Beklagten waren eine L-GmbH, die (zusammen) Geschäftsanteile zum Nennwert von 90 % des Stammkapitals hielt, sowie die (spätere) Insolvenzschuldnerin mit einem Geschäftsanteil in Höhe von 10 % beteiligt. Die Beklagte schloss im Jahr 1999 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit ihrer Mehrheitsgesellschafterin – der L-GmbH – ab, der erstmals zum Ablauf des 31. Dezember 2004 mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich gekündigt werden konnte. Ein Ausgleichsanspruch zu Gunsten der Minderheitsgesellschafterin war ausdrücklich ausgeschlossen. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Minderheitsgesellschafterin beantragte in einer Gesellschafterversammlung die – außerordentliche, hilfsweise ordentliche – Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages der Beklagten mit der L-GmbH. Der Antrag des Insolvenzverwalters wurde mit den Stimmen der herrschenden Gesellschafterin – der L-GmbH – abgelehnt. Dagegen richtete sich die Klage des Insolvenzverwalters, mit der er die Feststellung der Nichtigkeit des (ablehnenden) Beschlusses begehrte und die Feststellung der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der Beklagten und der L-GmbH aus 1999.
Die Klage hatte in der ersten Instanz hinsichtlich der Feststellung der Nichtigkeit Erfolg; im Übrigen wurde sie abgewiesen. Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des LG auf und wies die Klage vollständig ab. Die Revision des Klägers beim BGH hatte keinen Erfolg.
Die vom Insolvenzverwalter begehrte Feststellung der außerordentlichen Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages der Beklagten mit der L-GmbH hatte schon deshalb keinen Erfolg, da der Insolvenzverwalter keinen wichtigen Grund nennen konnte, der eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt hätte. Das einzige Interesse des Insolvenzverwalters einer besseren Verwertung des 10%igen Geschäftsanteiles an der Beklagten reiche für eine fristlose Kündigung nicht aus.
Der Abschluss sei auch nicht insoweit nichtig, als die Gesellschafter mit den Stimmen des herrschenden Gesellschafters und Vertragspartners des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages die ordentliche Kündigung abgelehnt haben. Die ordentliche Kündigung sei zwar die Vornahme eines Rechtsgeschäftes gegenüber dem (herrschenden) Gesellschafter gemäß § 47 Abs. 4 S. 2 Alt. 1 GmbHG, da es sich um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung handele. Die Kündigung bedarf daher der Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Bei der Abstimmung ist der herrschende Gesellschafter und Vertragspartner des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages allerdings nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen, da es sich um einen körperschaftlichen Sozialakt handelt, bei dem auch der „Vertragspartner-/Gesellschafter“ sein Stimmrecht ausüben kann.
Die Entscheidung über die Kündigung/Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages sei ebenso wie der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit einem Eingriff in die Organisationsstruktur der Gesellschaft verbunden. Es handele sich daher nicht nur um einen rein schuldrechtlichen Vertrag, sondern um einen gesellschaftsrechtlichen Organisationsvertrag. Mit der ordentlichen Kündigung/Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages „wandele“ sich die Beherrschung durch den Vertragspartner/Gesellschafter von einer unmittelbaren Beherrschung aufgrund des Beherrschungsvertrages in eine „mittelbare“ Beherrschung über seine Stellung als Mehrheitsgesellschafter um, aufgrund dessen er die Geschäftsführung durch Gesellschafterbeschlüsse anweisen oder durch die Auswahl der Geschäftsführer mittelbar Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen könne. Zudem verliere die beherrschte Gesellschaft ihren Verlustausgleichsanspruch; ein außenstehender Gesellschafter – soweit vereinbart – seinen Ausgleichsanspruch.
Eine Analogie zum Aktienkonzernrecht, bei dem gemäß §§ 296 ff. AktG die Aufhebung sowie ordentliche Kündigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes ist, komme nicht in Betracht. Die Qualifikation der Kündigung als Geschäftsführungsmaßnahme würde zu einem „weisungsfreien“ Raum der Geschäftsführung einer GmbH führen, die mit dem Wesen einer GmbH nicht vereinbar sei.
Fazit: Der BGH hat mit dieser Entscheidung eine seit langem strittige Rechtsfrage zum Binnenrecht der GmbH, insbesondere zum GmbH-Konzernrecht, geklärt. Die Aufhebung/ordentliche Kündigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ist zwar die „Vornahme eines Rechtsgeschäftes“ gegenüber dem Gesellschafter; dieser ist allerdings bei der Abstimmung über diese Vornahme stimmberechtigt, da es sich um einen körperschaftlichen Sozialakt handelt. Herrschende Gesellschafter brauchen daher – gerade bei Insolvenz des Minderheitsgesellschafters – nicht (mehr) zu befürchten, dass der Insolvenzverwalter (über das Vermögen des Minderheitsgesellschafters) in einer Gesellschafterversammlung gegen den Willen des Mehrheitsgesellschafters eine Aufhebung/Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages durchsetzen kann.
Autor
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.