25.08.2015 -

Im Rahmen eines Betriebsübergangs sieht die Vorschrift des § 613a Abs. 2 BGB eine gesamtschuldnerische Haftung des bisherigen Inhabers und des Betriebserwerbers für bestimmte Fälle vor. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun die praxisrelevante Frage zu entscheiden, ob diese Vorschrift auch im Rahmen betriebsverfassungsrechtlicher Rechtsstreite Anwendung findet (BAG, Beschluss v. 20.08.2014 – 7 ABR 60/12). Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass nur der jeweils aktuelle Arbeitgeber verpflichtet ist und bisherige, frühere Arbeitgeber, nicht in Anspruch genommen werden können.

Der Fall:

Beteiligte des Verfahrens sind der Betriebsrat eines Seniorenheims sowie der aktuelle Betriebsinhaber und zwei frühere Inhaber, die jeweils wegen Betriebsübergangs keine Arbeitgeberstellung mehr innehaben.

Der Betriebsrat leitete gegen den damaligen Arbeitgeber im August 2010 zwei Beschlussverfahren ein. Zum 1. Januar 2011 kam es zu einem Betriebsübergang. Nach diesem Betriebsübergang wurden die Beschlussverfahren durch Vergleich beendet. In den beiden Beschlussverfahren sind Anwaltskosten in Höhe von einmal 2.214,59 € und von einmal 1.044,23 € entstanden. Weder der bisherige Arbeitgeber noch der neue Arbeitgeber sind der Aufforderung zum Ausgleich der Kostenrechnungen nachgekommen.

Der Betriebsrat hat daraufhin ein Beschlussverfahren, gerichtet auf Freistellung von diesen Kosten, eingeleitet. Der neue Arbeitgeber hat dabei die Ansicht vertreten, er sei nicht verpflichtet, den Betriebsrat von den Anwaltskosten freizustellen, da er nicht Verursacher der Anwaltskosten gewesen sei. Der alte Arbeitgeber hat demgegenüber die Ansicht vertreten, er sei nicht mehr Inhaber des Betriebes. Ihn könne daher keine Kostentragungspflicht mehr treffen.

Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben dem Freistellungsanspruch allein gegen den neuen Arbeitgeber stattgegeben. Eine gesamtschuldnerische Haftung mit dem bisherigen alten Arbeitgeber entstehe nicht.

Im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ist es zu einem weiteren Betriebsübergang gekommen. Auch dieser neue Arbeitgeber wurde nun an dem Verfahren beteiligt.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Anspruch nunmehr allein gegen diesen letzten, dritten Arbeitgeber stattgegeben.

I. Beteiligtenstellung der verschiedenen Arbeitgeber

Im Beschlussverfahren vor den Arbeitsgerichten ist man automatisch Prozessbeteiligter. Die Beteiligtenstellung richtet sich allein nach materiellem Recht, ohne dass es einer hierauf gerichteten Handlung der Person oder Stelle oder des Gerichts bedarf. Für das Prozessrechtsverhältnis ist entscheidend, wer materiell-rechtlich berechtigt oder verpflichtet ist. Wird der „Arbeitgeber“ in Anspruch genommen, so ist das sowohl i.S.v. § 83 Abs. 3 ArbGG als auch i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes der Inhaber des Betriebs. Berührt der Verfahrensgegenstand dessen betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition, sei es als Verpflichteter, sei es als Rechtsinhaber, und geht im Laufe eines Beschlussverfahrens der Betrieb auf einen Erwerber über, nimmt dieser als neuer Inhaber auch ohne entsprechende Prozesserklärung der Verfahrensbeteiligten automatisch die verfahrensrechtliche Rechtsstellung des bisherigen Rechtsträgers ein.

Hinweis für die Praxis:

Der automatische Eintritt in eine Rechtsträgerstellung erfolgt jedenfalls in den Fällen, in denen die Übernahme der Rechtsträgerschaft unzweifelhaft und unstreitig ist. Dies war hier der Fall. Wären die Betriebsübergänge an sich streitig gewesen, hätte auch diese Vorfrage zunächst geklärt werden müssen.

II. Kostentragungspflicht welchen Arbeitgebers?

Die Kostentragungspflicht entsteht gem. § 40 Abs. 1 BetrVG. Danach hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Hierzu gehören auch die Honorarkosten für einen Rechtsanwalt, dessen Heranziehung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Betriebsrat für erforderlich halten durfte. Die allgemeinen Voraussetzungen lagen hier vor.

Zahlungsverpflichtungen gehen bei einem Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB auf den Betriebserwerber über. Allerdings regelt die Vorschrift des § 613a BGB nur individualrechtliche Folgen eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs. Über betriebsverfassungsrechtliche Pflichten besagt die Vorschrift nichts. Im Falle eines Betriebsübergangs tritt jedoch der neue Inhaber des Betriebs materiell-rechtlich in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des bisherigen Betriebsinhabers ein. Der Betriebserwerber haftet daher grundsätzlich als neuer Betriebsinhaber für noch nicht erfüllte Freistellungsansprüche des Betriebsrats.

Die den Arbeitgeber treffenden Verpflichtungen sind dabei vom jeweiligen Rechtsträger des Betriebs zu erfüllen. Wechselt dieser, treffen die materiell-rechtlichen Verpflichtungen aus der Betriebsverfassung den neuen Rechtsträger und der alte Rechtsträger wird aus seiner Verpflichtung im Verhältnis zum Betriebsrat vollständig entlassen.

Hinweis für die Praxis:

Der Umstand, dass der Übergang der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten auf den neuen Betriebsinhaber zu möglicherweise von diesem nicht vorgesehenen finanziellen Belastungen führen kann, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es ist Sache des jeweiligen Inhabers des Betriebs, sich vor dessen Erwerb Kenntnis auch von den bestehenden betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu verschaffen. Dies gilt für Ansprüche aus § 40 Abs. 1 BetrVG in gleicher Weise wie für die übrigen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. Mögliche Rückgriffsansprüche des Erwerbers gegen den bisherigen Inhaber des Betriebs etwa wegen der Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten bleiben freilich unberührt.

Fazit:

Im Falle eines Betriebsübergangs muss sich der neue Betriebsinhaber nicht nur über den Inhalt der Arbeitsverträge Kenntnis verschaffen. In besonderer Weise besteht eine Informationspflicht im Hinblick auf bestehende Beschlussverfahren. Die gesamtschuldnerische Haftung gem. § 613a Abs. 2 BGB findet im Rahmen eines Betriebsübergangs keine Anwendung für betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten. Finanzielle Verpflichtungen gehen allein auf den neuen Betriebsinhaber über.

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