29.10.2015 -

Arbeitgeber müssen bei Bewerbungsverfahren vielfältige besondere Förderpflichten im Hinblick auf schwerbehinderte Bewerber beachten. Fehler können leicht zu einem Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung nach dem AGG führen. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem wichtigen Urteil nun klargestellt, dass Entschädigungsansprüche nur dann ausgelöst werden können, wenn der schwerbehinderte Mensch auf seine Anerkennung als Schwerbehinderter ausdrücklich im Anschreiben oder im Lebenslauf hinweist (BAG, Urteil v. 18.09.2014 – 8 AZR 759/13). Die Entscheidung verschafft Rechtsklarheit und ist zu begrüßen. Wir möchten die Kernaussagen daher hier aufbereiten und vorstellen.

Der Fall:

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG, den der Kläger aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft bei einem Bewerbungsverfahren geltend macht.

Der klagende Arbeitnehmer hat einen GdB von 50. Er bewarb sich bei dem beklagten Arbeitgeber, einer Universität, zunächst mit E-Mailschreiben vom 16. Juni 2010 auf die Stelle eines Projektkoordinators im Prorektorat. Der Bewerbung war ein 34-seitiges Anlagenkonvolut beigefügt, mit dem erst auf Seite 29 der Schwerbehindertenausweis überreicht wurde. Im Lebenslauf oder im Anschreiben waren keine Hinweise auf die Schwerbehinderteneigenschaft enthalten. Der Kläger wurde daraufhin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt im Anschluss eine Absage.

Der Arbeitgeber schrieb dann erneut eine auf drei Jahre befristete Vollzeitstelle aus. Auf diese neue Ausschreibung bewarb sich wiederum der Kläger per E-Mail. Auch hier enthielten weder das Bewerbungsanschreiben noch der Lebenslauf einen Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers. Wieder war, diesmal auf Blatt 24, der Schwerbehindertenausweis lediglich in den Anlagen eingefügt.

Die Beklagte bestätigte den Eingang der Bewerbung des Klägers. Im Rahmen der anstehenden Vorstellungsgespräche wurde er diesmal jedoch nicht eingeladen. Der Kläger erhielt auch keine Absage. Die Stelle wurde anderweitig besetzt.

Auf seine telefonische Nachfrage vom 24. Januar 2011 wurde ihm mitgeteilt, dass er bei der getroffenen Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden habe.

Er machte daraufhin einen Entschädigungsanspruch per Telefax geltend und erhob später Entschädigungsklage beim Arbeitsgericht. Dabei hat er die Auffassung vertreten, er sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Die Beklagte sei u.a. ihrer Verpflichtung nach § 82 S. 2 SGB IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht nachgekommen. Von seiner Schwerbehinderung habe er die Beklagte bei dieser Bewerbung ordnungsgemäß unterrichtet. Seine Bewerbung sei auch ernsthaft.

Das Arbeitsgericht hat der Entschädigungsklage über 10.757,16 € in Höhe von 1.000,00 € stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entschädigungssumme auf 5.378,58 € festgesetzt.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Entschädigungsanspruch zu.

I. Fristen prüfen!

Bei Entschädigungsklagen sind zunächst vorrangig die Fristen zu prüfen. Diese sind nach dem AGG recht kurz. So muss ein Anspruchsteller nach § 15 Abs. 4 S. 1 AGG seine Ansprüche innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend machen. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung.

Wird der Anspruch dennoch von Arbeitgeberseite abgelehnt, muss nach § 61b Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) eine Klage auf Entschädigung innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden.

Werden diese Fristen nicht eingehalten, scheiden Entschädigungsansprüche von vornherein aus.

Hinweis für die Praxis:

Arbeitgeber müssen den Zugang der Ablehnung nachweisen können, um den Fristbeginn zu dokumentieren. Dies führt in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten, denn gerade bei umfangreichen Bewerbungsverfahren kann nicht jedem Bewerber die Absage nachweisbar zugestellt werden. Arbeitgeber müssen hier im Einzelfall abwägen, welcher Weg sinnvoller, wirtschaftlicher und damit für sie konkret vertretbar ist.

II. Form der Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass sich Bewerber auf ihre Schwerbehinderteneigenschaft nur dann berufen können, wenn diese Eigenschaft dem Arbeitgeber auch positiv bekannt ist. Will ein Bewerber seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen, so hat er den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderteneigenschaft im Bewerbungsschreiben selbst unter Angabe des GdB, ggf. einer Gleichstellung zu informieren. Möglich ist auch eine Information im Lebenslauf. Diese hat jedoch an hervorgehobener Stelle und deutlich, etwa durch eine besondere Überschrift, zu geschehen.

Daher sind „eingestreute“ oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc. keine ordnungsgemäße Information des angestrebten Vertragspartners.

Hinweis für die Praxis:

Diese Hinweise des Bundesarbeitsgerichts schaffen Rechtsklarheit. Bewerber müssen im Anschreiben selbst oder aber im Lebenslauf auf ihre Schwerbehinderteneigenschaft hinweisen. Versteckte Kopien in umfangreichen Anlagenkonvoluten reichen dazu nicht aus.

III. Mitteilung bei jeder Bewerbung aufs Neue notwendig

Der Schutz des AGG wird nur durch die jeweilige Bewerbung im Einzelfall erworben. Daher ist die Eigenschaft als behinderter oder schwerbehinderter Mensch bei jeder Bewerbung aufs Neue klar und eindeutig mitzuteilen. Zudem liegt es in der Entscheidung des Bewerbers, ob er seiner Behinderung oder Schwerbehinderung vom Arbeitgeber bei der Behandlung der konkreten Bewerbung berücksichtigt haben will oder nicht. Eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung schon bei einer Bewerbung besteht grundsätzlich nicht.

Ein Arbeitgeber kann auch nicht wissen, ob eine anlässlich einer früheren Bewerbung mitgeteilte Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch noch vorliegt. Die Voraussetzungen nach § 2 SGB IX können weggefallen sein. Deshalb kann sich ein Bewerber auch nicht darauf berufen, die Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft sei bereits aus früheren Bewerbungen vorhanden oder damals jedenfalls zur Kenntnis genommen worden.

Hinweis für die Praxis:

Etwas anderes kann bei einer Innenbewerbung gelten, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft schon aus der Personalakte positiv bekannt ist. Denkbar ist auch, dass die Behinderung offenkundig ist, z.B. bei einem auf den Rollstuhl angewiesenen Bewerber. In diesen Fällen muss der Mitarbeiter nicht nochmals ausdrücklich gesondert auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hinweisen.

Fazit:

Nach dieser Entscheidung sind Arbeitgeber also nicht verpflichtet, sämtliche Bewerbungsunterlagen auf einen etwaigen Schwerbehindertenausweis zu „durchsuchen“. Der Bewerber muss selbst klar und eindeutig auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hinweisen. Unterlässt er eine solche Mitteilung, kann er sich später nicht auf eine (angebliche) Diskriminierung berufen.

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