27.12.2015 -

Die übliche Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG kann durch die Bildung von Altersgruppen zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur abgeändert werden. Geschieht dies im Zusammenhang mit einem Interessenausgleich mit Namensliste kann dann die Sozialauswahl sogar nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun einen solchen Fall zu entscheiden und hat dabei nochmals die notwendigen Kriterien an eine wirksame Altersgruppenbildung klargestellt (BAG, Urteil v. 26.03.2015 – 2 AZR 478/13). Dabei half dem Arbeitgeber noch nicht einmal der mit dem Betriebsrat vereinbarte Interessenausgleich mit Namensliste, da wegen der unwirksamen Altersgruppenbildung die Sozialauswahl grob fehlerhaft war.

Der Fall:

Die klagende Arbeitnehmerin war seit 1992 als mechanische Helferin in der Magnetmontage bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Das Unternehmen beschäftigte 798 Arbeitnehmer. Aufgrund eines erheblichen Auftragsrückgangs vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste. Auf dieser Namensliste waren 156 Arbeitnehmer vermerkt, darunter der Name der Klägerin.

In einem am selben Tag abgeschlossenen „Sozialplan“ waren innerhalb der Gruppe vergleichbare Arbeitnehmer eine Gruppe „bis 29 Jahre“ und sieben weitere Altersgruppen in fünf Jahresschritten zu bilden. Die Klägerin gehörte der Altersgruppe 55-59 Jahre an. Innerhalb dieser Altersgruppe sollten die Arbeitsverhältnisse von 15 der 30 Arbeitnehmer gekündigt werden.

Nach Ausspruch der Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. Sie hat u.a. die Ansicht vertreten, die vorgenommene Sozialauswahl sei grob fehlerhaft. Der „Sozialplan“ lege nicht fest, in welchem Verhältnis zueinander in den einzelnen Altersgruppen Kündigungen erfolgen sollten.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

I. Sozialauswahl und zulässige Altersgruppenbildung

Die übliche Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG (Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, bestehenden Unterhaltspflichten und einer Schwerbehinderung) kann durch eine zulässige Altersgruppenbildung nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG abgeändert werden. Diese Altersgruppenbildung muss zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur der Belegschaft im berechtigten betrieblichen Interesse liegen. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, dass die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung und die daraus abgeleitete Kündigungsentscheidung zur Sicherung der bestehenden Personalstruktur tatsächlich geeignet sind.

Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall die Auswirkungen und möglichen Nachteile im Einzelnen darlegen, wenn er sich wegen der Sicherung der Personalstruktur auf die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG berufen will. Das Bundesarbeitsgericht prüft dies in folgenden drei Schritten:

Es müssen innerhalb der Sozialauswahl anstehenden Personenkreises – d.h. innerhalb der Vergleichsgruppe – nach sachlichen Kriterien Altersgruppen gebildet (Schritt 1), die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen festgestellt (Schritt 2) und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt werden (Schritt 3).

Wird eine Altersgruppe stattdessen überproportional herangezogen, wird die bestehende Altersstruktur nicht „gesichert“, sondern verändert. Das hat zur Folge, dass nicht nur die Kündigungen unwirksam sind, die unter Beibehaltung des Altersgruppensystems über den eigentlichen auf die Altersgruppe entfallenden Anteil hinausgehen. Vielmehr ist damit die gesamte Sozialauswahl nach Altersgruppen hinfällig und die fragliche Kündigung ohne dieses Privileg an der üblichen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zu messen. Der entsprechende Fehler im Auswahlverfahren führt damit zwar nicht per se zur Unwirksamkeit der Kündigung. Jedoch erstreckt sich die Ergebniskontrolle nunmehr auf die gesamte Vergleichsgruppe, weil die Voraussetzungen der Ausnahmeregel (Altersgruppenbildung) nicht erfüllt sind.

II. Eingeschränkter Maßstab bei Interessenausgleich mit Namensliste

Sind die zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich mit Namensliste zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, kann die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt. Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, dass das gewählte Auswahlverfahren als solches Anlass zur Beanstandung gibt.

So lag der Fall hier. Die Bildung nach Altersgruppen war unzulässig. Die gebildeten Altersgruppen wurden ungleichmäßig am Gesamtpersonalabbau beteiligt. Es wurde kein Proporz gebildet. Vielmehr standen in den Altersgruppen zwischen 37,29 % (35-39 Jahre) und 58,33 % (60-64 Jahre) der Arbeitnehmer zur Kündigung an. Damit hat der Arbeitgeber die Altersgruppen proportional unterschiedlich stark an dem Personalabbau beteiligt. Dies führte zu einer Veränderung der vorhandenen Altersstruktur. Eine solche Veränderung kann aber niemals ein berechtigtes Interesse von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG darstellen.

Damit war eine „normale“ Sozialauswahl durchzuführen. Die Klägerin war sozial weitaus schutzbedürftiger und ihre Kündigung war unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Obwohl sie also auf einem Interessenausgleich mit Namensliste benannt war, war die Sozialauswahl grob fehlerhaft. Die Kündigung war damit unwirksam.

Fazit:

Die Bildung von Altersgruppen ist zulässig. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts macht aber deutlich, dass die Anwendung der Altersgruppenbildung sorgfältig geprüft und durchdacht werden muss. Werden die von dem Bundesarbeitsgericht gestellten hohen Anforderungen nicht erfüllt, ist die Altersgruppenbildung insgesamt unwirksam und die Kündigung ohne dieses Privileg in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zu messen. Dies führt regelmäßig zu einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl, so dass auch ein Interessenausgleich mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG dann keine Hilfe mehr bietet.

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