22.04.2018 -

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat vergangene Woche entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber von Bewerbern nicht ohne Weiteres eine Religionszugehörigkeit fordern dürfen (EuGH-Urteil vom 17. April 2018, C-414/16). Dies wird sich erheblich auf die Auswahlverfahren kirchlicher Arbeitgeber auswirken.

In jedem Einzelfall müsse unter Berücksichtigung der Antidiskriminierungsrichtlinie abgewogen werden zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und dem Recht eines Bewerbers, nicht wegen seiner Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, so der EuGH. Dabei sei ein „angemessener Ausgleich“ herzustellen, der auch einer gerichtlichen Kontrolle unterliege.


Bewerber dürfen aufgrund fehlender Konfession nicht vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden. Das gilt nach einer Entscheidung des EuGH auch für kirchliche Arbeitgeber, solange nicht wichtige inhaltliche Gründe überwiegen.  

Der Fall

Der Entscheidung war ein langer Streit vorausgegangen: Eine konfessionslose Sozialpädagogin hatte sich 2012 auf eine Stelle im Bereich Antirassismus beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben. In der Stellenausschreibung wurde die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehörenden Kirche vorausgesetzt. Die Bewerberin erhielt eine Absage, ohne zum Vorstellungsgespräch geladen worden zu sein. Sie sah hierin ein Indiz für eine Diskriminierung und klagte auf Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Nach unterschiedlich ausgefallenen Entscheidungen der Vorinstanzen hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem EuGH den Fall vorgelegt (BAG, Be-schluss vom 17. März 2016 – 8 AZR 501/14).

Bisherige Rechtslage

Kirchliche Arbeitgeber konnten sich bisher bei der Einstellung von Bewerbern auf ihr Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung berufen und von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit verlangen. Die gerichtliche Kontrolle beschränkte sich dabei auf eine Plausibilitätsprüfung auf Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses. Gestützt wurde dies durch die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). So gibt § 9 Abs. 1 AGG den Kirchen ausdrücklich das Recht, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion zur Bedingung für eine Einstellung zu machen, wenn die Art der ausgelobten Tätigkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft dies als gerechtfertigt erscheinen lassen.

Diese nationale Vorschrift steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu Art. 4 Abs. 2 der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie (2000/78/EG), die eine bestimmte Religionszugehörigkeit als Voraussetzung für die Einstellung nur für den Fall zulässt, dass unter Berücksichtigung des Ethos des kirchlichen Arbeitgebers die konkret angebotene Tätigkeit eine Verbindung mit der Religionszugehörigkeit als angemessen erscheinen lässt.


Das Urteil des EuGH wird sich erheblich auf die Auswahlverfahren kirchlicher Arbeitgeber auswirken. 

Entscheidung des EuGH

Grundsätzlich erkannte der EuGH die Autonomie und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zwar an, stellte jedoch klar, dass ein pauschaler Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht nicht genügen darf. Vielmehr sei in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob das Recht der Bewerber, nicht aus weltanschaulichen oder religiösen Gründen diskriminiert zu werden, überwiegt.

Kirchliche Arbeitgeber müssen objektiv nachvollziehbar darlegen, dass die verlangte berufliche Anforderung für die Art der Tätigkeit und die Umstände ihrer Ausübung angesichts des Ethos der Kirche „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ ist. „Wesentlich“ bedeutet, dass die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung für die Bedeutung der beruflichen Tätigkeit maßgeblich ist, um den Ethos der Kirche zu bekunden oder die autonomen kirchlichen Rechte auszuüben. Der Ausdruck „rechtmäßig“ stellt sicher, dass mit der beruflichen Anforderung keine sachfremden Ziele ohne Bezug zum kirchlichen Ethos verfolgt werden. „Gerechtfertigt“ impliziert, dass sich die Kirche im Einzelfall dahingehend rechtfertigen muss, dass ohne die Erfüllung der beruflichen Anforderung ihr Ethos oder ihr Recht auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich gefährdet ist. Diese Kriterien sind laut EuGH zum Beispiel mit dem Verkündigungsauftrag oder bei der notwendigen glaubwürdigen Vertretung der Kirche nach außen erfüllt.

Nun geht der Fall zur Entscheidung zurück an das BAG. Die Erfurter Richter müssen unter Berücksichtigung der Leitlinien des EuGH über die Entschädigungsklage der abgelehnten Bewerberin entscheiden.

Fazit für die Praxis:

Nach dem Urteil des EuGH wird sich für die kirchlichen Arbeitgeber einiges ändern. Soll eine Religionszugehörigkeit verlangt werden, muss genau geprüft werden, wie eng die Stelle mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche zusammenhängt. Dies ist nicht immer einfach, wie der Ausgangsfall der Antirassismus-Referentin anschaulich belegt.

Die Entscheidung des EuGH zeigt auch, wie schnell das in Deutschland in sehr weitem Umfang anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auf Grund europarechtlicher Vorgaben eingeschränkt werden kann. Eine weitere Neujustierung steht möglicherweise schon aus: Demnächst entscheiden die Richter in Luxemburg in dem bekannten Chefarzt-Fall über die Kündigung eines katholischen Chefarztes aufgrund seiner Wiederheirat.

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