05.06.2019 -

Die Wegezeiten zur Arbeit sind eigennützig. Sie sind damit regelmäßig keine Arbeit für den Arbeitgeber und gelten auch nicht als Arbeitszeit. Dies gilt aber nur, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit im Betrieb zu erbringen hat. Welche Regeln gelten, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebes verrichtet, z.B. bei Fahrten zu Kunden, hat das Bundesarbeitsgericht nun in einem aktuellen Urteil entschieden (BAG v. 25.4.2018, 5 AZR 424/17).


Das BAG hat in einem aktuellen Fall entschieden, welche Regeln für die Arbeitszeitvergütung gelten, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebes verrichtet. (Copyright anyaberkut/adobe.stock) 

Der Fall:

Der Arbeitgeber montiert, wartet und repariert Aufzugsanlagen. Der Kläger ist als Aufzugs- und Inspektionsmonteur seit 1988 beschäftigt. Die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 35 Stunden und er erhält ein Bruttomonatsgehalt von 4.376,00 Euro.

Für die Tätigkeiten stellt der Arbeitgeber ein mit den erforderlichen Werkzeugen und Ersatzteilen bestimmtes Kraftfahrzeug zur Verfügung, das der Kläger auch privat nutzen darf.

Die jeweils zu wartenden Aufzugsanlagen stellt der Arbeitgeber den Monteuren und damit auch dem Kläger in Sammelaufträgen zu. Seine Tätigkeit kann sich der Kläger im Wesentlichen frei einteilen. Er fährt morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstages und vom letzten Kunden dorthin zurück. Den Betrieb des Arbeitgebers sucht er nur für organisatorische Tätigkeiten wie die Abgabe der Wochenmeldungen oder die Versorgung von Ersatzteilen auf.

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie (BMTV). Dort ist u.a. für Montagemitarbeiter wie den Kläger Folgendes geregelt:

§ 5
Nahmontage für Montagestammarbeiter
5.1 Nahauslösung

Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht.
Montagestelle ist die Stelle, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet wird und die Bezahlung der Arbeitszeit beginnt.

Für die Fahrten des Klägers von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstages und vom letzten Kunden zurück zur Wohnung zahlt der Arbeitgeber keine gesonderte Vergütung, sondern lediglich eine Nahauslösung nach Maßgabe dieser Regelung des BMTV.

Der Kläger macht Vergütung für seine Fahrten zum Kunden und wieder zurück geltend. Er ist der Auffassung, diese zählt nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeit. Für den Zeitraum Dezember 2015 bis November 2016 ergäben sich daher insgesamt 278 Überstunden, die mit einem Satz von 35,20 Euro brutto abzugelten seien. Dem stünde der BMTV nicht entgegen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Weitergehende Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers bestehen nicht.

I. Reisezeiten als Arbeitszeit?

Hat der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen, gehören auch Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit ist dann darauf gerichtet, verschiedene Kunden aufzusuchen, sei es um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die An- und Abreise. Dies erfüllt den Arbeitszeitbegriff, denn „Arbeit“ ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt dies erst recht, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug mit den für die auswärtige Tätigkeit erforderlichen Werkzeugen, Ersatzteilen u.ä. führen muss.

II. Vergütungspflicht?

Die Einordnung der hier streitigen Fahrten als Arbeit und der dafür aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit klärt hingegen noch nicht die Frage der Vergütungspflicht. Dabei kann durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigenständige Tätigkeit und damit auch für Fahrten der vorliegenden Art getroffen werden. Diese Regelungsbefugnis wird auch nicht durch Europarecht beschränkt. Die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG regelt nicht Fragen des Arbeitsentgelts, sondern nur der Arbeitszeit.

Hier haben die Tarifvertragsparteien in § 5 Abs. 1 Satz 2 BMTV eine solche abweichende Vergütungsregelung getroffen. Weitergehende Vergütungsansprüche stehen dem Arbeitnehmer damit wegen dieser vorrangigen Regelung nicht zu.

Hinweis für die Praxis:

Hinzuweisen ist noch darauf, dass sowohl die Arbeitsvertrags- als auch die Tarifvertragsparteien keine Vergütungsregelungen treffen dürfen, durch die der zwingende gesetzliche Mindestlohnanspruch unterschritten würde. Dies war hier aber wegen des hohen Gehalts des Arbeitnehmers nicht relevant.

Fazit:

Die Entscheidung macht deutlich, dass nicht alle An- und Abreisezeiten zur Arbeit eigennützig sind. Erfolgen diese im Interesse des Arbeitgebers, insbesondere, wenn Kunden unmittelbar aufgesucht werden, gelten auch diese Zeiten als Arbeitszeit. Die Frage der Vergütungspflicht muss davon aber unterschieden werden. Eine Vergütungspflicht besteht immer dann, wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag keine abweichende Regelung getroffen wurde. Es muss also nicht jede Arbeitszeit automatisch auch bezahlt werden. Arbeitgeber sollten hierauf bei der Vertragsgestaltung achten.

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