18.07.2019 -

Für den Konzernbetriebsrat (wie auch für den Gesamtbetriebsrat) gelten zahlreiche Vorschriften über die Geschäftsführung der örtlichen Betriebsräte entsprechend, vgl. §§ 51, 59 BetrVG. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun einen sehr praxisrelevanten Fall zu entscheiden. Dabei geht es um die Frage, ob der Konzernbetriebsrat (KBR) gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf (Teil-)Freistellung eines seiner Mitglieder hat oder ob dies generell ausgeschlossen ist (BAG v. 23.05.2018, 7 ABR 14/17). Das BAG hat einen Anspruch auf (Teil-)Freistellung im Grundsatz bejaht. Die Praxis wird sich hierauf einstellen müssen.


Das BAG hat den (Teil-)Freistellungsanspruch von Mitgliedern des Konzernbetriebsrats im Grundsatz bestätigt. Diese Entscheidung hat hohe Relevanz für die arbeitsrechtliche Praxis. (Copyright: contrastwerkstatt/adobe.stock)

Der Fall

Bei dem beklagten Arbeitgeber handelt es sich um ein Unternehmen eines Klinikkonzerns mit ca. 2.000 Beschäftigten. Der Betriebsratsvorsitzende dieses Unternehmens ist zugleich Vorsitzender des Konzernbetriebsrates.

Bei seinem Vertragsarbeitgeber war dieser Betriebsrat nach § 38 BetrVG zunächst im Umfang von 100 Prozent seiner Arbeitszeit von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Der Konzernbetriebsrat fasste den Beschluss, den Betriebsrat und die drei stellvertretenden Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats zur Bewältigung der Aufgaben des Konzernbetriebsrats jeweils zu 50 Prozent für ihre Tätigkeit im Konzernbetriebsrat freizustellen. Der Arbeitgeber hat die begehrte pauschale Teilfreistellung des Betriebsratsvorsitzenden für die Wahrnehmung von Aufgaben als Konzernbetriebsratsvorsitzender abgelehnt.

Dennoch hat der Betriebsrat in seinem örtlichen Betriebsrat die im zugeteilte Freistellung zu 50 Prozent zurückgegeben, da er diese zur Erledigung seiner weiteren Mandatstätigkeiten im Konzernbetriebsrat nutzen wolle.

Der Konzernbetriebsrat hat daraufhin mit dem vorliegenden Verfahren die Freistellung des Betriebsrates für seine Tätigkeit als Vorsitzender des Konzernbetriebsrates im Umfang von 50 Prozent seiner Arbeitszeit gegenüber der Arbeitgeberin geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er könne die pauschale Freistellung verlangen. Die Mitglieder des Konzernbetriebsrats seien nicht nur im Einzelfall für Konzernbetriebsratstätigkeiten von der Arbeitsleistung zu befreien, vielmehr gewähre die Norm des § 37 Abs. 2 BetrVG auch einen Anspruch auf eine generelle Freistellung von der beruflichen Tätigkeit für einen bestimmten Teil der Arbeitszeit.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Konzernbetriebsrats abgewiesen. Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das BAG hingegen die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Kein Anspruch nach § 38 BetrVG

Ein Anspruch auf Freistellung von Konzernbetriebsratsmitgliedern kann nicht auf § 38 Abs. 1 BetrVG gestützt werden. Diese Vorschrift bestimmt für den Betriebsrat, dass eine von der Betriebsgröße abhängige Mindestanzahl von Betriebsratsmitgliedern für die jeweils laufende Amtsperiode von der Arbeit freizustellen ist. Die Vorschrift ist auf den Konzernbetriebsrat nicht anwendbar. Gleiches gilt für den Gesamtbetriebsrat. In den §§ 51, 59 BetrVG fehlt es an einer Verweisung auf § 38 BetrVG. Die Verweisungsvorschriften sind abschließend.

II. Teilfreistellungsanspruch möglich?

Der Konzernbetriebsrat hat jedoch nach Ansicht des BAG einen eigenen Anspruch auf eine generelle (Teil-)Freistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder nach § 59 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 2 BetrVG. Dies gilt, sofern die Freistellung für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben des Konzernbetriebsrats erforderlich ist. Das BAG leitet aus der Vorschrift des § 37 Abs. 2 BetrVG insoweit ab, dass dies auch beinhalten kann, dass eines oder mehrere Mitglieder des KBR von der Arbeitspflicht zu befreien sind. Dieser auf § 37 Abs. 2 BetrVG gestützte Freistellungsanspruch kann sowohl über die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG hinausgehende Freistellungen als auch Freistellungen in Betrieben mit regelmäßig weniger als 200 Arbeitnehmern, für die § 38 Abs. 1 BetrVG keine generellen Freistellungen vorsieht, rechtfertigen.

Wegen des Verweises in § 59 Abs. 1 BetrVG gilt § 37 Abs. 2 BetrVG für den Konzernbetriebsrat entsprechend. Daher können nach § 37 Abs. 2 BetrVG – neben anlassbezogenen Arbeitsbefreiungen – vom Konzernbetriebsrat auch generelle (Teil-)Freistellungen von Konzernbetriebsratsmitgliedern beansprucht werden, sofern dies zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist.

Hinweis für die Praxis:

Der Freistellungsanspruch ist dabei nicht von dem örtlichen Betriebsrat geltend zu machen und durchzusetzen, dem das Konzernbetriebsratsmitglied angehört. Dem Konzernbetriebsrat und seinen Mitgliedern steht ein eigener Anspruch auf Arbeitsbefreiung zu. Das BAG betont, dass dies zwar zu Abgrenzungs- und Konkurrenzproblemen mit den entsendenden Betriebsräten führen kann. Alle Beteiligten wären dann aber gehalten, dies mit ihren jeweiligen Aufgaben in Einklang zu bringen.

III. Keine automatische Freistellung

Der Freistellungsanspruch tritt dabei nicht schon aufgrund eines Beschlusses des Konzernbetriebsrates ein. Vielmehr hat der Arbeitgeber die Freistellung vorzunehmen, nicht der Betriebsrat bzw. Konzernbetriebsrat. Die Freistellungswahl des Konzernbetriebsrats begründet die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung des gewählten Betriebsratsmitglieds, sofern die Freistellung nicht sachlich unvertretbar ist. Bestehen zwischen Arbeitgeber und Konzernbetriebsrat Meinungsverschiedenheiten, so tritt allein durch den entsprechenden Beschluss des Konzernbetriebsrats die Freistellung nicht ein. Vielmehr haben dann die Gerichte für Arbeitssachen die Erforderlichkeit der begehrten pauschalen Freistellungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu entscheiden.

Fazit

Die Entscheidung des BAG orientiert sich streng am Gesetzeswortlaut. Die Möglichkeit einer (Teil-)Freistellung ist dennoch in der Praxis nicht bekannt. Betriebsräte gehen in der Regel davon aus, dass sie nur anlassbezogen freigestellt sind, nicht aber eine dauerhafte Freistellung möglich ist, sofern die Voraussetzungen des § 38 BetrVG nicht vorliegen. Insoweit kann die Entscheidung des BAG durchaus dazu führen, dass künftig mehr Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte oder Konzernbetriebsräte Teilfreistellungen, gestützt auf § 37 Abs. 2 BetrVG, verlangen.

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