25.02.2020 -

Eine Alkoholabhängigkeit stellt einen personenbezogenen (krankheitsbedingten) Kündigungsgrund dar. Der Maßstab für eine Kündigung richtet sich daher nach den Grundsätzen, die von der Rechtsprechung zu Krankheitskündigungen entwickelt wurden. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte jetzt zu entscheiden, ob diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Mitarbeiter ordentlich unkündbar ist (LAG Berlin-Brandenburg v. 24.07.2019, 15 Sa 2498/18). Das Urteil befasst sich im Einzelnen mit den notwendigen Prüfungsschritten und beleuchtet die sehr hohen Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um eine solche Kündigung zu rechtfertigen.


Die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung wegen bestehender Unkündbarkeit bei dauerhafter Erkrankung, insbesondere bei einer Alkoholsucht, sind besonders hoch. (Copyright: beeboys/adobe.stock) 

Der Fall (verkürzt)

Die klagende Arbeitnehmerin ist bereits seit 1991 bei der beklagten Gewerkschaft als Verwaltungsangestellte mit einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.128 Euro beschäftigt. Sie ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Nach den arbeitsvertraglich einschlägigen Regelungen ist sie ordentlich unkündbar.

Die Klägerin ist unstreitig alkoholabhängig. Sie führte bereits vom 2. Oktober 2014 bis zum 25. Dezember 2014 eine Entwöhnung durch. Im Jahr 2014 war sie an 242 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2015 war sie an 185 Arbeitstagen arbeitsunfähig. In den Jahren 2016 und 2017 war sie durchgängig erkrankt.

Am 11. April 2016 brach die Klägerin eine Entziehungskur ab. Es fanden dann in der Folgezeit mehrere Gespräche auf Basis einer für den Betrieb geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe statt. Am 14. Juni 2017 begann die Klägerin eine Entwöhnungstherapie, die bis zum 12. Oktober 2017 andauerte.

Nach einer Eingewöhnungsphase nahm die Klägerin am 5. Januar 2018 ihre Arbeit wieder auf. Allerdings war sie schon ab dem 15. Januar 2018 wieder arbeitsunfähig erkrankt. Am 22. Januar 2018 lieferte der Sohn der Klägerin diese wegen Alkoholmissbrauchs in eine Klinik ein.

Insgesamt fanden vier Gespräche zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement in den Jahren 2014, 2015 und 2017 statt. Zudem wurde die Klägerin in der Zeit von September 2014 bis Oktober 2017 insgesamt 16-mal stationär im Krankenhaus aufgenommen.

Nach der erneuten Erkrankung am 15. Januar 2018 leitete der Arbeitgeber das Kündigungsverfahren ein. Der Betriebsrat wurde zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, die der ordentlichen Höchstkündigungsfrist entsprach, angehört. Der Betriebsrat äußerte innerhalb der Anhörungsfrist Bedenken gegen die Kündigung. Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten Kündigung zu. Daraufhin wurde das Arbeitsverhältnis am 23. Februar 2018 außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. September 2018 gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

I. Prüfungsschema bei Krankheitskündigung

Die Rechtsprechung prüft die Kündigung einer Alkoholerkrankung nach dem üblichen Drei-Stufen-Schema für krankheitsbedingte Kündigungen. Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Im Rahmen der zweiten Stufe müssen erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen vorliegen, die insbesondere auch bei wirtschaftlichen Belastungen gegeben sein können. Auf der dritten Stufe ist schließlich eine Interessenabwägung durchzuführen.

II. Strengere Anforderungen bei Unkündbarkeit

Dieser Prüfungsmaßstab ist allerdings auf allen drei Stufen erheblich strenger bei einer außerordentlichen Kündigung wegen Unkündbarkeit. Sowohl die prognostizierten Fehlzeiten als auch die sich hieraus ergebenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen könnte. Der Leistungsaustausch muss zwar nicht komplett entfallen, aber schwer gestört sein. Insofern bedarf es eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Insbesondere auf der dritten Stufe ist dabei zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten ist.

Hinweis für die Praxis

Für die negative Gesundheitsprognose auf der ersten Stufe verlangt die Rechtsprechung dabei eine deutliche Fehlquote von mehr als 50 Prozent im Jahr. Nur dann ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung in diesem Sinne gravierend gestört. Im vorliegenden Fall waren diese Voraussetzungen erfüllt, da die Mitarbeiterin über Jahre hinweg nur ca. 10 Prozent ihrer Arbeitsleistung erbracht hat. Zudem lagen die jährlichen Entgeltfortzahlungskosten deutlich über dem Sechs-Wochen-Zeitraum, sodass auch auf der zweiten Stufe die wirtschaftlichen Interessen schwer beeinträchtigt waren. Auch auf der dritten Stufe ging die Interessenabwicklung zu Lasten der Arbeitnehmerin aus. Zahlreiche Entwöhnungsmaßnahmen waren gescheitert und dem Arbeitgeber war es nicht mehr weiter zuzumuten, der Arbeitnehmerin weitere Therapien zuzugestehen.

Fazit

Die Entscheidung macht einerseits deutlich, dass die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung wegen bestehender Unkündbarkeit bei dauerhafter Erkrankung, insbesondere bei einer Alkoholsucht, besonders hoch sind. Auf allen Prüfungsstufen müssen deutlich strengere Maßstäbe angelegt werden. Andererseits konnte der Arbeitgeber die Kündigung im Ergebnis durchsetzen. In besonders gravierenden Fällen, insbesondere wenn ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis vorliegt, kann daher auch bei einer bestehenden Unkündbarkeit ausnahmsweise außerordentlich mit einer Auslauffrist, die der ordentlichen Höchstkündigungsfrist entspricht, ein Arbeitsverhältnis beendet werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt aber umfassend der Arbeitgeber. Insoweit empfiehlt es sich, zunächst zahlreiche Gespräche im Rahmen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements zu führen und dem Arbeitnehmer bei einer bestehenden Alkoholerkrankung Entwöhnungskuren und Therapien zuzugestehen. Nur bei wiederholtem Scheitern dieser Therapieversuche kann die negative Prognose begründet werden.

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