16.09.2020 -

Der Betriebsrat ist bekanntlich bei Versetzungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen. Der Versetzungsbegriff ist in § 95 Abs. 3 BetrVG definiert. In der Praxis kommt es aber immer wieder zu Streit über die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Versetzung erfüllt sind bzw. der Betriebsrat zu beteiligen ist. Es hängt dann meist an der konkreten Frage, ob ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wurde bzw. sich die Umstände der Tätigkeit erheblich geändert haben. Im Einzelfall ist hier die Abgrenzung mehr als schwierig. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat spezielle Fragen für den Bereich des Einzelhandels in einem Möbelhaus entschieden (LAG Niedersachsen v. 29.4.2019, 12 TaBV 51/18). Die Entscheidung hat durchaus grundsätzliche Bedeutung und lässt sich daher auch auf andere Branchen übertragen. Das Landesarbeitsgericht hat aus diesen Gründen die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen (BAG 1 ABR 21/19).


Der Versetzungsbegriff ist schwierig auszufüllen (Copyright: MQ-Illustrations/adobe.stock).

Der Fall (verkürzt)

Der Arbeitgeber betreibt bundesweit über 40 Möbelhäuser. Bei einem der Möbelhäuser wendet sich der dort gebildete Betriebsrat gegen kurzzeitige Versetzungen.

So ist es bei besonders hoher Kundenfrequenz bei dem Arbeitgeber üblich, dass Beschäftigte aus anderen Arbeitsbereichen bei personellen Engpässen insbesondere in den Arbeitsbereichen Kasse und Logistik aushelfen müssen. Abgezogen werden dazu Beschäftigte u.a. aus den Arbeitsbereichen Food, Verkauf, Kommunikation und Einrichtung sowie aus der Personalabteilung.

Die Einsatzdauer an den anderen Arbeitsplätzen in der Logistik oder an der Kasse beträgt in der ganz überwiegenden Anzahl ein bis zwei Stunden. In wenigen Fällen betrug die Einsatzdauer bis zu sechs Stunden bzw. eine Tagesschicht.

Die Tätigkeit an der Kasse zeichnet sich u.a. durch eine hohe Lärmbelastung aus. Verglichen mit einer Tätigkeit im Großraumbüro sind die Beschäftigten an den Kassen in erhöhtem Maße dem Einfluss von Zugluft ausgesetzt. Die Tätigkeit an der Kasse ist dergestalt fremdbestimmt, dass schematisch Kunde für Kunde abkassiert wird bzw. an den Selbstbedienungs-/Scanner-Kassen unmittelbar auf die jeweiligen Kundenanforderungen reagiert werden muss.

Die Bedarfstätigkeiten in der Logistik unterscheiden sich ebenfalls. So sind dort die Beschäftigten höheren Temperaturschwankungen ausgesetzt als im Großraumbüro. Die Zusammenstellung der Waren im Rahmen der Kommissionierung ist mit einer mindestens mittelschweren körperlichen Belastung verbunden.

Hingegen ändert sich die Lage der Arbeitszeit nicht. Es erfolgt die streitbefangene Zuweisung anderer Tätigkeiten in der Logistik und an der Kasse stets auf dem Gelände des Einrichtungshauses. Die Beschäftigten erhalten auch weiterhin die Vergütung ihres Ausgangsarbeitsplatzes.

Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsverfahren eingeleitet. Er begehrt zukünftig die Beteiligung nach § 99 BetrVG. Er ist der Auffassung, auch die sehr kurzzeitigen Zuweisungen der Tätigkeiten in der Logistik und an der Kasse erfüllen den Versetzungsbegriff. Anlass für die Einleitung des Beschlussverfahrens sei insbesondere der Umstand gewesen, dass die auf Personalmangel zurückzuführenden aushilfsweise auszuführenden Tätigkeiten von Beschäftigten ein zumutbares Maß überschritten hätten.

Der Arbeitgeber hat hingegen die Auffassung vertreten, die kurzfristigen aushilfsweisen Einsätze gehörten zur akzeptierten Unternehmenskultur. Eine Änderung der tariflich geschuldeten Vergütung gehe mit den Tätigkeiten nicht einher.

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat die Anträge des Betriebsrats insgesamt zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hingegen den Versetzungsbegriff bejaht.

I. Der Begriff der Versetzung

Bei einer Versetzung nach der für § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG maßgeblichen Definition in § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG handelt es sich um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die entweder die Dauer von einem Monat voraussichtlich überschreitet oder – bei kürzerer Dauer – mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit geleistet werden muss. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches handelt es sich, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit dem betrieblichen Verhältnisses vertrauten Beobachters als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich aus dem Wechsels des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, kann aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit, d.h. der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist und kann mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein.

Aber: die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches erfüllt für sich allein den Versetzungsbegriff nur, wenn sie für längere Zeit als einen Monat geplant ist.

Handelt es sich um eine kürzere Zeitdauer, ist der Versetzungsbegriff bei einer Änderung des Arbeitsbereiches nur dann erfüllt, wenn mit dieser Zuweisung zugleich eine erhebliche Änderung der Umstände einhergeht, unter den die Arbeit zu leisten ist. Diese Arbeitsumstände sind die äußeren Umstände, unter denen der Arbeitnehmer seine andere Tätigkeit zu verrichten hat. Dazu zählen etwa die zeitliche Lage der Arbeit, die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfsmitteln und zudem Faktoren wie Lärm, Schmutz, Hitze, Kälte oder Nässe. Einzelne dieser Umstände müssen sich nicht nur überhaupt geändert haben, ihre Änderung muss „erheblich“ sein.

II. Wertende Gesamtschau erforderlich

Das Landesarbeitsgericht hat dazu klargestellt, dass bei der Betrachtung und Beurteilung, ob eine in diesem Sinne erhebliche Änderung der Umstände vorliegt, unter denen die Arbeit zu leisten ist, keine atomisierende Betrachtungsweise gewählt werden darf. Vielmehr bedarf es einer wertenden Gesamtschau aller Umstände, unter denen die konkrete Arbeit zu leisten ist. Dazu gehört im Einzelhandel nach Auffassung des Gerichts insbesondere die Frage, ob die Arbeit überwiegend mit oder ohne Kundenkontakt zu leisten ist. Dieser Umstand beeinflusst die Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist.

III. Zeitliche Komponente nicht ausschlaggebend

Demgegenüber ist nach Überzeugung des Gerichts die zeitliche Komponente, also die Frage, ob die andere Aufgabe unter erheblicher Änderung der Umstände für drei Stunden, drei Tage oder z.B. drei Wochen wahrzunehmen ist, nicht entscheidend. Nach der Regelungssystematik des § 95 Abs. 3 BetrVG geht es gerade um die kurzzeitig zugewiesene andere Tätigkeit. Überschreitet die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes voraussichtlich jedoch die Dauer von einem Monat, liegt ohnehin der Normalfall einer Versetzung vor. Bei einer erheblichen Änderung der Umstände liegt daher stets eine Versetzung und eine Mitwirkungsmöglichkeit des Betriebsrats vor. Auf die Stundenanzahl kommt es nicht an.

Hinweis für die Praxis:

In Ausfüllung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht eine Versetzung jedenfalls dann bejaht, wenn aus den folgenden Arbeitsbereichen Mitarbeiter in die Logistik bzw. an die Kasse versetzt werden: Personalabteilung, Mitarbeiter aus dem Marketing, Haustechnik, Bereich Sales und Support. Verneint wurde die Versetzung hingegen bei der Versetzung von Mitarbeitern aus dem Food-Bereich oder dem Bereich Verkauf.

Fazit

Der Versetzungsbegriff ist schwierig auszufüllen. Die Entscheidung macht vor allem deutlich, dass eine Versetzung nicht erst dann zu bejahen ist, wenn ein Mitarbeiter für die voraussichtliche Dauer von mehr als einem Monat versetzt werden soll. Die Monatsfrist gilt nur bei der Veränderung des Arbeitsbereiches. Wird dieser Arbeitsbereich allerdings erheblich verändert, kann die Versetzung auch schon bei einer nur stundenweisen anderen Tätigkeit bejaht werden! Der Betriebsrat ist dann zu beteiligen. Unterbleibt die Beteiligung, steht dem Betriebsrat die Rechte aus § 101 BetrVG zu und um Wiederholungsfall kann auch ein Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG eingeleitet werden.

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